Tag 23

2 0 0
                                    

Wenn ich ertrinken würde,
würde man meinen Körper suchen?
Würde man Taucher auf den Grund des Sees schicken um nach meinem vermoderten, halb aufgelösten Leichnam zu suchen?
Oder würde er nach einigen Jahren an die Wasseroberfläche treiben?
Weil er von den Fäulgasen gefüllt und so leicht geworden war das er nach oben trieb.

Die Haut an meinen Händen und Füßen wäre weich und hätte sich von meinem Fleisch und den Muskeln gelöst.
Man könnte sie wie Handschuhe und Socken von meinem Körper streifen.
Sie umstülpen.
Sie sich selbst überstreifen.
Natürlich würden nur Psychopathen so etwas tun.
Natürlich.

Aber wenn man darüber nachdachte, wenn man zu viel darüber nachdachte, bildeten diese Überlegungen ein Bild vor dem inneren Auge.

Eine Leiche.
Fahl, weiß.
Haut die sich vom Fleisch und von den Knochen abgelöst hat und schlaff an dem leblosen Körper herabhängt.
Haare.
Nur noch ein paar, der Rest hätte sich bereits im Wasser abgelöst und würden irgendwo dort herumtreiben.
Einen Badenden berühren der vielleicht denkt das es nur eine Alge war.
Aber bei genauerem hinblicken sieht man was es wirklich ist.
Ein lebloser Überrest.
Ein Körper der nicht mehr atmete.
Ein Herz das nie wieder Blut pumpen würde.
Kalt, leblos und schlaff.
Selbstmord, das war es was es war.
Ein Versuch.
Ein Erfolg.
Wenn man nur lange den Drang zu leben unterdrücken konnte.

Als ich wieder aufwachte, war dieser Wille mein Leben noch weiter zuführen so schwach, das ich glaubte mein Körper würde von selbst einfach zusammenbrechen und aufhören zu arbeiten.

Die Luft um mich herum war kalt.
Alles war kalt.
Es war als würde alles stehen bleiben, als wäre für einen Moment, alles um mich herum erfroren.

Meine Haut überzog sich mit Gänsehaut als ich darüber nachdachte.
Eingefroren.
Eingeschlossen für die Nachwelt, in einem Schaukasten aus Glas.
Bloßgestellt, nackt.
Wie eine Puppe, ein Austellungsmodel.

Ich öffnete meine Augen, schaute mich um.
Ich war nicht in dem weißen Raum.
Wieder nicht.
Ich lag auf dem Boden des anderen Raumes.
Nackt.
Entblößt.

Langsam stand ich auf, jede Faser meines Körpers schmerzte bei der Bewegung.
Ich schleppte mich zu dem Sessel, starrte ihn an.
Der Mantel war nicht da.
Da war nichts.
Nur die Polster des Sessels.
Grau, glatt und kalt.

Kurz runzelte ich die Stirn.
Ich drehte mich einmal um meine eigene Achse, betrachtete den Raum, beobachtete.

Auf den ersten Blick sah noch alles normal aus.
Doch als ich richtig hinschaute, wahrnahm was um mich herum passierte, zog sich mein Inneres zusammen.
Es war heller geworden.
Ich wusste nicht wie mir das aufgefallen war, aber es war eindeutig heller geworden.
Fast war es so hell das man seine Augen zusammenkneifen musste.
Fast.

Die Bücher waren verschwunden.
An den Wänden an denen eigentlich Bücherstapel bis fast unter die Decke waren, lagen jetzt nur noch vereinzelte Bücher herum.
Manche waren aufgeschlagen, andere waren alt und zerrissen.
Ich ging ein Stück in die Richtung der Tür, die in das weiße Zimmer geführt hatte.
Doch da war nichts mehr, keine Tür, nicht mal ein Knauf.
Nur eine weiße Wand die kein einziges Anzeichen einer Tür vermuten ließ.

Ich drehte mich wieder um, das Gefühl in meinem Körper wurde immer schlimmer.
Es fühlte sich so an als würde mich jemand wegziehen, in mich hinein.
Weg von hier.
Einfach nur weg.

Ich ließ meinen Blick weiter durch den Raum schweifen.
Die Regale.
Sie waren fast leer und ich bildete mir sogar ein das ein paar von ihnen fehlten.
Als ich ein paar Schritte auf sie zuging, sah ich wie abgenutzt sie schon waren.
Sie hatten Kratzer, Eindellungen und sahen so wackelig und Morsch aus, das ich Angst hatte sie könnten jeden Moment umfallen und in sich zusammenfallen.
Ich runzelte die Stirn, was war hier los?
Ich streckte meine Hand aus, wollte über die wenigen Bücher streichen die noch übrig waren, so wie ich es schon so oft getan hatte.
Doch bevor meine Fingerspitzen die Bücherrücken berühren konnten, ließ mich der Schmerz, der sich plötzlich wie eine Klinge durch meinen gesamten Körper zog, zusammenzucken.

Ich krümpte mich vor Schmerzen, umklammerte meinen Oberkörper in der Hoffnung auf etwas das den Schmerz lindern würde.
Ich sank zu Boden.
Meine Knie donnerten auf den harten Untergrund und ich schrie auf vor Schmerz. Was passierte hier? Gott was passierte hier?
Warum tat es so weh?
Warum?
Warum?
Wimmernd zog ich meine Beine an meine Brust und kauerte mich auf den Boden vor eines der Regale.
So harrte ich aus.
Bis es besser wurde.
Bis der Schmerz weniger wurde.
Bis ich mich nicht mehr so fühlte als würde ich gleich streben.
Eine Weile.

Ein Knall durchbrach die unbewegte Luft des Raumes.
Laut, hart und so kraftvoll sodass ich erneut zusammen zuckte.
Erschrocken schaute ich mich um.
Doch ich fand nichts.
Konnte nichts erkennen was dieses Geräusch gemacht haben könnte.
Dann schaute ich nach oben.
Das Regalbrett über meinem Kopf war zusammengebrochen.
Gebannt schaute ich auf das Holz.
Es war einfach so weggebrochen.
Die kleinen Holzfasern, schauten aus der Bruchstelle heraus wie winzige Knochen aus einem Bruch.

Das Regal knarrte.
Für einen Moment blieb ich noch so sitzen. Schaute das kaputte Holz an, betrachtet die Bruchstelle.
Sah das Holz.
Außen dunkles braun, innen hell und weich.
Es war zerbrechlich, obwohl es eigentlich den Anschein gehabt hatte stabil und stark zu sein.

Plötzlich sah ich, wie das Regal auf mich zukam.
Panisch schaute ich mich um.
Ich musste hier weg.
Musste hier weg.
Schnell und unkontrolliert robbte ich von dem umstürtzenden Regal weg.
Auf allen Vieren.
Rückwärts.
Wie ein gehetztes Tier das versucht vor seinem Verfolger zu fliehen.
Mein Atem ging unkontrolliert.
Ich schob meinen Körper nach hinten.
Weg.
Einfach nur weg.

Mit einem lauten Knall, kam das Regal auf dem Boden auf.
Es war ein Knall der die Luft zerriss und alles um sich herum mitnahm. Er war laut.
So unglaublich laut.
Er halte in dem Raum wieder und ließ alles erbeben, ließ meinem Körper erbeben.

Als der Knall langsam verebbte und der Staub der aufgewirbelt wurde sich wieder legte starrte ich nur auf das Regal.
Auf die Stelle wo es aufgekommen war.
Es hatte ein Loch gerissen.
In die Luft.
In den Raum.
In die Atmosphäre.
Und das Loch zog mich an.
Zog mich hinab.
So schnell und mit einer solchen Kraft das ich nichts anderes tun konnte als nachzugeben.

Ich wurde hinabgerissen.
Irgendwo hin.
Mir wurde schwarz vor Augen.
Ich konnte nichts mehr sehen.
Nur ein leuchten, das immer heller wurde.
Mein Körper fühlte sich leicht an, losgelöst und frei. Ich hatte keine Kontrolle mehr über ihn. War nur noch ein Diener der in dieser Hülle lebte.
Und so wurde ich weg gerissen.
Es fühlte sich als würde ich mich durch eine Seifenblase bewegen.
Die Wände waren irgendwie zähflüssig und hinterließen einen nassen, leicht schleimigen Film auf der Haut.
Dann, als ich im Inneren der Seifenblase angekommen war, war plötzlich die Luft wieder da.
Klar, frisch und unberührt.

Ich öffnete die Augen.
Und atmete.
Atmete.

24 Tage bis MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt