Tag 22

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Irgendetwas stimmte nicht.

Als ich wieder zu mir kam, merkte ich sofort das irgendetwas nicht stimmte.
Ich lag auf dem Rücken.
Wie immer.
Und doch war etwas anders, irgendetwas stimmte nicht, fühlte sich nicht richtig an.
Wie ein Fehler.
Ein Fehler in dem System was mich angetrieben hatte, was meine letzten 20 Tage bestimmt hatte.
Oder waren es schon 21 gewesen?

Ich konnte mich nicht mehr erinnern, konnte nicht mehr sagen wann welcher Tag zuende war und wann ein neuer Tag begann.

Auch die Narben auf meiner Haut waren nicht mehr zuverlässig, ich war nachlässig geworden.
Unkontrolliert.
Unaufmerksam.

Mit geschlossenen Augen strich ich über die Wunden die mittlerweile verblast und manche schon fast vernarbt waren.
Ganz vorsichtig ließ ich meine Finger über die Seite meines Körpers gleiten und zählte.
Zählte die Wunden, die Tage die ich mitgezählt hatte.

16

Das waren zu wenig.
Es waren mehr als 16 Tage gewesen.
Nolan.
Seitdem Nolan aufgetaucht war hatte ich sie nicht weitergeführt, hatte aufgehört.
Nolan.

Langsam öffnete ich meine Augen.

Ich lag nicht in dem Bett, um mich herum waren keine weißen Wände, kein Spiegel.

Ich ließ meinen Blick umherschweifen.
Ich befand mich in dem anderen Raum.
Bücher, Bücherregale, Sessel.

Als ich meinen Kopf zur anderen Seite drehte zuckte ich kurz zusammen.
Er hockte neben mir.
In Jeans, barfuß, mit einem grauen T-Shirt und seinen Haaren die ihm immernoch wirr vom Kopf abstanden.

Nolan.
Auf seinen Lippen ein Grinsen.
Ein Lächeln das seine Lippen so verformte das in seinen Mundwinklen diese kleinen Wirbel entstanden.

Ich schaute ihn an, ohne Scharm, ohne Angst, und fragte mich wie es sich anfühlen würde ihn zu berühren, diese Wirbel zu küssen.

Ohne etwas zu sagen stand er plötzlich auf. Er ging aus meinem Blickfeld und kurz dachte ich er wäre verschwunden.
Doch dann kam er wieder, mit dem Mantel.
Er legte ihn über mich, sanft, fürsorglich und immer noch ohne einen Laut von sich zu geben.

Der Stoff des Mantels war immer noch rau.
Doch der Duft den er ausströmte war so warm und wohltuend das er sich weich und so gemütlich anfühlte das ich ihn noch enger an mich zog.

Kurz saß Nolan noch so da, betrachtete mich, dann legte er sich neben mich.
Einfach so.
Ohne ein Wort.

Ich atmete, atmete mit ihm.
Mit ihm war alles leichter, alles schöner.
Und doch spürte ich das da etwas war.
Etwas dunkles und verbotenes.
Es klebte an ihm und umgab ihn.

Ein letztes Mal atmete ich noch ein und aus.
Es war schwer sich los zureißen, es fühlt sich so gut an, so richtig.
Und doch musste ich hier weg, musste aufstehen, mich bewegen.
Nur noch für einen Moment.
Noch einen kleinen Moment.

Ich schloß noch einmal meine Augen, atmete.

Plötzlich flackerten Lichter vor meinen Augen.
Hell.
Ein stächender Schmerz fuhr mir durch die Brust, wie ein elektrischer Stoß ging er durch meinen gesamten Körper und ließ ihn zusammen zucken.

Ich riss meine Augen auf.
Mein Atem ging unkontrolliert, ich keuchte.
Mein Blick suchte Nolan.
Neben mir.
Er musste neben mir sein.
Genau dort.
Genau dort wo jetzt nichts mehr war, nur noch ein schwarzer Schatten der sich kalt und düster im Raum ausbreitet und alles andere verschlang.

Ich keuchte noch einmal, versuchte Luft zu bekommen.
Nichts.

Mit zitternden Gliedern rappelte ich mich auf, wollte weg, musste weg.
Als meine Füße den Boden berührten, hatte das zittern meines Körpers immer noch nicht aufgehört.

Ich atmete noch einmal tief durch, versuchte mich zu beruhigen während ich stolpernd nach hinten taumelte.

Als ich mit dem Rücken gegen das Regal stieß, zuckte ich kurz zusammen.
Doch genau in diesem Moment verschwand die Dunkelheit.
Der Schatten der sich zuvor ausgebreitet hatte und mich in diese Ecke gedrängt hatte war verschwunden.

Erleichtert atmete ich auf.

"Du musst loslassen"

Als ich die tiefe, weiche Stimme neben mir hörte zuckte ich zusammen.
Ruckartig drehte ich meinen Kopf zu Seite.
Nolan.

Er sah müde aus.
Tiefe Augenringe zeichneten sich dunkel auf seiner Haut ab.
Seine Augen sahen eingesunken aus, wie kleine Käfer die aus dunklen Höhlen hervorblickten, und deren schillernder Panzer aus der Dunkelheit hervorblitzend.
Er war mager.
Seine Arme hingen schlaff an der Seite hinunter und sein Körper sah aus wie ein Luftballon aus dem jemand die Luft rausgegangen hatte.
Insich zusammengefallen, mit kleinen Falten die teilweise durchsichtig waren.

Sein Anblick tat weh.
Er löste etwas in mir aus, das mein Inneres sich zusammenziehen ließ.
Gänsehaut überzog meine Arme.

Er schaute mich an.
Was hatte er gesagt?

Ich sollte loslassen?

Was meinte er bitte damit?

loslassen

Immernoch schaute er mich einfach nur an.
Er sah schrecklich aus.
Fast hätte man sich vor ihm gruseln können.
Was war mit ihm?

"Was ist mit dir?"

Wieder schaute er mich nur an, sagte nichts.
Nichts.
Dann, einfach so, drehte er sich um und ging.
Ich lief ihm hinterher.

"Hey! Was ist mit dir? Was passiert hier?"

Nolan lief weiter.
Obwohl er aussah als würde er in jedem Moment zusammenbrechen und einfach liegen bleiben, lief er so schnell das ich kaum hinterher kam.

"Nolan!"

Ruckartig drehte er sich um.
Fast wäre ich in ihn hineingefallen.
Er schaute mich an.
Schaute in meine Augen.
Ein kalter Schauder lief über meinen Rücken.
Er war so nah.
Fast glaubte ich, ich könnte ihn berühren.

"Schau mich an"

Sagte er dann ruhig und kontrolliert.
Ich schaute ihn an.

"Schau mich doch an!"

Seine Stimme war jetzt lauter, fordernder, fast wütend.
Ich schaute ihn an.
Schaute in seine Augen.
Sie waren dunkel.
Die dünnen Adern in seinen Augen waren geplatzt sodass das weiß der Augäpfel blutrot war.

Seine Haut war fahl und dünn.
Man sah jeden Knochen unter ihr, spitzt, glatt.
Beinahe sah seine Haut so aus als könnte sie jeden Moment durchreißen.

"Du musst mich loslassen"

Jetzt waren seine Worte leise.
Flehend und verzweifelt.
Er flüsterte sie in den Raum.
So zart und zaghaft das sie auf dem halben Weg zu mir, fast in der Luft verstummt wären.

Und dann, ohne das ich etwas tun musste, ohne das er noch etwas sagen musste, ließ ich los.
Ich ließ ihn los.

Es war als hätte mein Inneres von ihm abgelassen.
Als hätte es sich einfach so getrennt, als wäre eine Verbindung einfach so abgekappt wurden.

Kurz schloss ich meine Augen.
Atmete einmal tief durch um es endgültig zu machen.
Um mich zu verabschieden.
Es tat weh.
Es tat weh sich zu verabschieden.
Etwas in meinem Inneren zeriss, blutete.
Noch einmal atmete ich ein und aus.
Ließ es heilen.
Ließ es sein.
Riss es nicht noch einmal auf.
Ließ los.

Und dann, als ich meine Augen wieder öffnete, befreit, geheilt, frei, war ich allein.
Er war verschwunden.
Einfach so.
Doch es tat nicht mehr weh.
Ich hatte mich verabschiedet.
Hatte losgelassen.

Hatte ihn losgelassen.

24 Tage bis MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt