Tag 2

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Ich wachte auf, in einem Raum.
In dem Raum.
In dem Raum denn ich nicht kannte. Der fremd war und zugleich doch alles was ich hatte.
Ich wusste immer noch nicht wo ich war. Ich hatte Angst, aber nicht soviel wie an dem Tag zuvor.
War es ein Tag gewesen?
Waren es nur Stunden?
Es hätten auch Wochen gewesen sein können. Ich wusste es nicht.

Als ich meine Augen öffnete waren sie wieder nass und voller Tränen. Das war wohl etwas das sich nie ändern würde.
Die Erinnerungen meines letzten Wachzustandes überkamen mich als ich das zweite Mal blinzelte.

Mein Sichtbild war jetzt wieder klar. Klar und weiß.
Klar und grün.
Ich setzte mich auf.
Noch immer hatte ich Angst, daß war keine Frage, aber die Angst übermannte mich nicht. Sie war tief in mir, ganz leise schlummerte sie in meinem Inneren und wartete nur darauf wieder an die Oberfläche zu gelangen.

Ich setzte mich auf. Langsam. Mein Schädel dröhnte.
Es fühlte sich an, als würde das summen einer Biene meinen gesamten Kopf ausfüllen.
Sum
Sum
Aber warum?
Warum dröhnte mein Kopf?
Sum
Sum
Plötzlich fing ich wieder an zu zittern.
Scheiße
Scheiße
Scheiße
Ich wollte das nicht.
Ich wollte nicht zittern. Wollte nicht schwach sein. Wollte nicht nachgeben.
Ich schlangg mir die Arme um meinen Körper und hielt ihn fest. Ganz fest.
Meine Augen huschten im Zimmer umher.
Weiß
Weiß
Grün
Ich
Ich!
Mein Gehirn klammerte sich an mein Spiegelbild. Meine Augen blieben stehen und ich starrte mich an.
Ich saß da. In mitten von weißen Lacken. Mein Gesicht mit Tränen überströmt.
Schwach
Verloren
Allein
Dann, plötzlich hörte es auf.
Das zittern, die Tränen und das dröhnen in meinem Kopf. Es hörte auf. Einfach so.

Wie betäubt stand ich auf. Lief zum Spiegel. Berührte ihn. Berührte mich. Im Spiegel.
Immer noch war ich nackt, so wie das letzte Mal als ich mich im Spiegel gesehen hatte.
Meine Haut war blass, fast weiß, und unter ihr zeichneten sich Knochen ab. Hart, dünn und zerbrechlich.
Vorsichtig legte ich meine Hand flach auf den Spiegel und schloß für einen Moment die Augen. Dann öffnete ich sie und starrte zurück.
Grüne, tiefe Augen. Doch es schien so als wäre nichts dahinter. Nichts. Kein Funke. Kein Glitzern. Nichts.
Ich blinzelte. Eine einzelne Träne löste sich aus meinem Auge und rollte über meine Wange. Ich verfolgte sie, wie sie langsam an meinem Gesicht hinab ran und an meinem Kinn hängen blieb.
Doch sie tropfte nicht herunter, hing dort.
Verloren.
Allein.
Mit einer schnellen Handbewegung wischte ich sie weg.
Noch ein letztes Mal musterte ich mich im Spiegel. Von oben bis unten.
Füße
Beine
Hüfte
Bauch
Hände
Arme
Brust
Hals
Gesicht
Augen
Ehe ich mich noch einmal in ihnen verlieren konnte, wandte ich mich ab.

Es war als würde mich eine fremde Kraft leiten. Sonst wäre ich niemals zur Tür gelaufen und hätte nach der Klinge gegriffen.
Als meine Finger das kalte Metall berührten zuckte ich kurz zusammen. Ich zögerte für einen Moment.
Scheiße
Scheiße
Scheiße
Dann riss ich die Tür, trat einen Schritt nach vorne und zog die Tür hinter mir zu.

Vor mir erstreckte sich ein riesiger Raum mit hohen Wänden und Regalen die bis unter die gewölbte Decke reichten. Die Regale waren vollgestopft mit Bücher die teilweise aussahen als wären sie mehere Jahrtausende alt.
Mein Blick schwif weiter durch den Raum. Hier und da stand ein Sessel, ein Tisch oder eine kleine Couch und überall waren Bücher. Auf dem Boden, auf den Möbeln, selbst an der Wand entlang gestapelt waren Bücher. Vor meinen Füßen lag eins, aufgeschlagen, auf die beschriebenen Seiten gelegt.
"Erkennst du mich wieder?"

Vorsichtig hob ich es auf und drehte es um. Auf der beschriebenden Seite stand nur ein Satz.

"Wir vergessen nur dann, wenn wir vergessen werden wollen."

Mit gerunzelter Stirn schlug ich das Buch zu und legte es auf einen Bücherstapel zu meiner rechten.

Zögernd trat ich ein paar Schritte weiter in den Raum hinein. Ein Windzug ging durch die sonst unbewegte Luft und ließ mich erschaudern. Meine Haut überzog sich mit Gänsehaut und ich schlang meine Arme wieder um mich.

Langsam ging ich ein wenig neher an die Bücherregale heran. Sie waren wunderschön, aus dunklem Holz, groß, mächtig und stark.
An den Seiten jedes Regals befand sich eine Leiter, auf die man steigen konnte um an die obersten Bücher zu gelangen.
Mit meinen Fingern Strich ich über die Einbende der Bücher.
Rau, brüchig. Teilweise Uralt teilweise wie neu gemacht.

Ich traute mich nicht zu weit in den Raum hinein zu gehen. Traute mich nicht zu sehen was in seinen Tiefen lag. Traute mich nicht.

Der Raum war schön.
Schön.
Aber irgendwie Unheimlich zu gleich. Obwohl es keine Lampen oder Leuchter an der Decke gab, war der Raum in helles Licht getaucht. Doch woher kam es? Und eigentlich viel wichtiger woher kam der Raum?
Woher kam ich?
Was zum Teufel machte ich hier eigentlich?!

Die Angst packte meinen Körper wieder wie eine kalte Hand und schleuderte mich zurück in den Wahnsinn.
Blitzschnell lief ich in das weiße Zimmer und lehnte mich von Innen an die Tür.
Mein Atem ging unkontrolliert und ich zitterte schon wieder am ganzen Leib.
Langsam ließ ich mich auf den Boden sinken.
Ruhig
Ruhig
Ganz ruhig
Dann öffnete ich meinen Mund und schrie.
Ließ alles raus und schrie einfach.
Weil es das Einzige war was ich tun konnte. Und es fühlte sich gut an.
Es fühlte sich gut an.

Manchmal ist alles was es braucht ein Schrei. Ein Schrei der alles auseinander reißt. So das alles zerbricht. Damit man dann, die Scherben wieder einsammeln kann und ein ganzes daraus schaffen kann.

Mein Schrei dauerte so lang bis meine Stimme zerbrach und mit ihr ich selbst. So das nichts mehr von mir übrig blieb außer der Nachhall an den weißen Wänden.

24 Tage bis MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt