Kapitel 12

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Es war der Tag angekommen, an dem La Fiesta de la Vela stattfinden würde. Ganz Encanto war schon seit Stunden auf den Beinen, um sich um die letzten Vorbereitungen zu kümmern. Sie hängten weitere Laternen zwischen den Straßen und bauten Stände auf, wo sie Essen verkaufen würde. An jeder Ecke wurden Kerzen aufgestellt, die zwar noch nicht brannten, aber zur Eröffnung am Abend angezündet werden. Die Musiker machten sich ebenfalls bereit, in dem sie ihre Instrumente stimmten oder sich schon einmal einspielten, selbst wenn sie noch genügend Zeit hatten.

Durch all den Trubel liefen Lucia und Bruno eilig zu Adellas Haus. Die Farbe war getrocknet, weshalb sie jetzt mit den Möbeln beginnen konnten und mit was würde sich denn am besten starten, als mit dem roten Sessel, der auf dem Dachboden von Lucias Tante stand?

Zudem waren nicht nur Adella, sondern auch Mamá, Pepa und Julieta auf dem Marktplatz unterwegs, weshalb sie ungestört den Sessel durchs Haus tragen konnten.

Bruno war sein Zusammenbruch noch immer peinlich. Er hätte sich zusammenreißen müssen, wie er es schon immer getan hatte. Er hätte seine Fassung nicht verlieren dürfen, vor allem nicht vor Lucia. Wobei ein kleiner Teil in ihm sehr froh darüber war, dass es gerade vor Lucia war, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand anderes sich so um ihn gekümmert hätte als sie. Lucia hatte ihn verstanden und ihn nicht verurteilt, sie hat ihn nicht schwach fühlen lassen, weil er geweint hatte. Sie war einfach da gewesen.

Ihm ging dieser Moment nicht mehr aus dem Kopf. Die Art und Weise, wie sie durch seine Haare gefahren war und immer wieder beruhigende Worte geflüstert hatte. Noch Stunden danach ertappte Bruno sich dabei, wie er sich durch die Haare fuhr und sich vorstellte, dass es Lucia wäre. Oder als er das Hemd, welches sie getragen hatte, wieder in seinen Schrank legen wollte, denn im letzten Moment entschied er sich daran zu riechen und als er feststellte, dass es nach Lucia roch, landete das Hemd keineswegs im Schrank – sondern unter seinem Kopfkissen.

Bruno hatte gefühlte Jahre in seinem Bett wachgelegen und sich gefragt, was das alles sollte. Warum wollte Lucia einfach nicht aus seinem Kopf verschwinden? Es war, als wäre sie dort eingezogen und machte keine Anstalten zu gehen.

„Worüber denkst du nach?", fragte Lucia und stieß ihn mit ihrer Schulter an.

Bruno versuchte nicht einmal zu lügen. „Über dich"

Lucia errötete. „Ich weiß", sagte sie. „Du hast meinen Namen gemurmelt"

„Oh"

Sie zuckte mit den Schultern. „Komm, Adella redet gerade mit Bianca!", sie nahm seine Hand und zog ihn ins Haus ihrer Tante. Drinnen rannten sie die Treppe hoch in ihr Zimmer und Lucia kletterte auf ihr Bett, um an die Schlaufe zu kommen, die die Dachluke öffnete. „Ich schwöre, die ist seit dem letzten Mal höher geworden", ächzte sie, während sie sich streckte und beinahe mit den Fingerspitzen an die Schlaufe kam.

„Soll ich mal versuchen-?", fragte Bruno, aber Lucia schüttelte den Kopf. „Nein, du musst mich auffangen, falls ich runterfalle.", sie zwinkerte, wackelte aber so sehr, dass Bruno sich vorsichtshalber etwas näher zum Bett stellte und seine Arme schon einmal ausstreckte.

„Gleich ... habe ... ich ... es – Ha!", Lucia stand auf Zehenspitzen und der Art und Weise nach, wie sie ihren Arm nach oben gestreckt hatte, sah es aus, als hätte sie ihn sich ausgekugelt. Aber es schien es wert gewesen zu sein, denn sie hatte die Schlaufe gefasst und zog sie herunter. Eine Leiter klappte sich aus der Luke und bereitete ihnen so einen Eingang auf den Dachboden.

Lucia sprang vom Bett und nahm eine Kerze von ihrem Nachttisch. „Begleitest du mich in das Unvorhersehbare?", fragte sie dramatisch.

Bruno grinste. „Wie könnte ich denn nur nicht?"

Ich sehe dich, BrunoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt