Kapitel 6

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Es wunderte Bruno nicht im geringsten, dass Lucia danach so schnell es ging, allein sein wollte. Er begleitete sie noch aus der Wand und da rannte sie schon raus aus Casita auf die Straße und Bruno verlor schnell den Überblick. Er ging ihr nicht nach oder versuchte sie im Auge zu behalten. Er respektierte ihren Wunsch nach Alleinsein und er verstand ihn. Hätte seine Mamá über ihm selbst das gesagt, was Adella über Lucia sagte, dann würde er auch allein sein wollen.

Seit diesem Morgen hatte Bruno nun ein vollständig anderes Bild von Adella im Kopf. Er wusste schon immer, dass sie sehr streng war – hatte sie ihm nicht einmal in die Ohren gekneipt, als er aus Versehen auf eine ihrer Rosen getreten war? – aber das sie zu solchen Aussagen kräftig war, hatte ihn schon sehr überrascht. Niemals würde Bruno es auch nur wagen, über jemanden so zu reden, sei es auch sein größter Feind. Nein, sowas war absolut nicht in Ordnung.

Adella war eine Teufelsfrau. Vor noch einigen Tagen hatte er den Kopf geschüttelt, als Lucia dies behauptete, aber nun war er fest überzeugt. Sie war Lucias Tante, ihre Familie, und trotzdem wagte sie es so schreckliche Dinge über sie zu sagen, nur weil sie Träume hatte.

Er fragte sich, ob Lucia ihre Tante ansprechen würde. Er selbst wäre sich da nicht sicher, ob er seine Mamá sagen würde, dass er das Gespräch mitbekommen hatte, wenn sie auch solche Sachen über ihn gesagt hätte. Nun, streng genommen hatte sie das schon getan, aber es war nichts gewesen, was Bruno nicht auch schon so wusste, weswegen es eigentlich nicht zählte.

Bruno seufzte und ließ sich an der Wand zu Boden sinken. Er hatte den Flur mit dem Bild noch nicht verlassen, seine Gedanken hatten ihn bis zu den Moment daran gehindert. Sollte er vielleicht doch Lucia suchen gehen? Brauchte sie vielleicht gerade jemanden, der sie tröstete?

Er wusste es nicht. Wahrscheinlich nicht.
Sie brauchte bestimmt Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen und zur Ruhe zu kommen. Da wäre er nur ein ungebetener Gast. Nein, sie brauchte mit Sicherheit niemanden gerade.

Oder irrte er sich?

Weinte sie sich vielleicht gerade die Seele aus dem Leib und betete vom Grunde ihres Herzens, dass doch jemand komme und ihr Beistand leiste? Lag sie vielleicht verzweifelt am Boden, unwissend, was sie mit dem Sturm an Emotionen in sich tun soll?
Denn wenn es so wäre, dann müsste er gewiss nach ihr suchen. Und zwar sofort.

Aber ... was dann? Was sollte er ihr dann sagen? Dass alles gut wird? Dass Adella sich irrt und eine dumme Kuh ist? Irgendwie unpassend.

Es wäre wohl besser, wenn er jemanden frug, der sich besser mit dem Gefühlschaos einer jungen Frau auskannte. Und selbst wenn diejenige sich nicht hundertprozentig in Lucias Lage hineinversetzen konnte, was Bruno als fast unmöglich einstufte, so war es doch nicht gerade unwahrscheinlich, dass sie trotzdem einen guten Rat für Bruno habe.
Also, wen würde er fragen?

Seine Mamá? Nein, sie war schlau und würde sofort wissen, dass Bruno und Lucia ihr Gespräch belauscht hatten.

Julieta? Besser, aber sie war noch im Dorf beschäftigt und Bruno wollte sie nicht von ihrer Aufgabe ablenken.

Dann blieb nur noch Pepa übrig und während Bruno so darüber nachdachte, schämte er sich, dass er nicht als erstes an sie gedacht hatte, denn mit einer Gabe wie ihrer musste Pepa sich doch am besten mit Gefühlen auskennen!

Sofort sprang Bruno auf und machte sich auf dem Weg zu Pepas Zimmer. Sie war an diesem Morgen nicht mit herunter ins Dorf gekommen, weil man heute ihre Gabe nicht benötigte; Das Wetter war gut so, wie es war. Vielleicht würde sie gegen Nachmittag nochmal einen kurzen Stecher nach Encanto machen, aber im Moment ruhte sie sich in ihrem Zimmer aus.

Er zögerte keinen Moment als er vor ihrer Tür ankam und klopfte an. Es dauerte eine Weile, bis Pepa kam und Bruno wurde nervös. Sollte er Pepa sagen, was er gehört hatte? Er musste, ansonsten würde sie ihm bestimmt keinen guten Rat geben können. Allerdings gehörte Pepa zu den geschwätzigsten Personen, die er kannte und er war sich nicht sicher, ob sie das alles auch wirklich für sich behalten konnte.

Ich sehe dich, BrunoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt