.01- Schwiegertochter

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Konzentriert konturierte ich die Dosenlasche meines Zeichenmodels, der ungerührt seit über 55 Minuten auf dem Schreibtisch stand. Es belauschte insgeheim meine Musik, der dumpf aus meinen Kopfhörern dröhnte. Nebenbei beobachtete es meine jüngere Schwester, die auf dem Bett mit ihrem Handy beschäftigt war. Ich hielt kurz inne, schwankte mit meinem Kopf in Takt des spanischen Liedes und begutachtete mein bisher gezeichnetes Ergebnis. Etwas erschöpft legte ich meinen weichen Bleistift auf die Staffeleiauflage und zog den Buntstift aus meinen Haaren, der noch vor kurzem meine langen Haare zusammen hielt. Die kleinen Muskelverspannungen am Po und Rücken verspürte ich recht schnell, sodass ich meine Arme in die Höhe streckte. Gähnend lief ich auf mein Schreibtisch zu und griff nach meinem Handy. Ich rieb an meiner Kopfhaut und ging zeitgleich auf die Staffelei zurück, um aus meiner Sitzposition ein Bild von meiner Dose zu machen. Nachdem ich dies erledigt hatte, zog ich meine Kopfhörer aus meinen Ohren raus und warf sie unachtsam auf mein Bett. Ich streckte mich übermüdet aus und lief auf die Tür zu, bis ich ein Klingeln wahrnahm. Kurz blieb ich stehen, schielte kurz auf meine Armbanduhr und versuchte zu lauschen, wer um die Uhrzeit zu Besuch kam. „Oh Bruder, warum bist du so früh dran?", hörte ich meinen Bruder lachend fragen. Verwirrt legte ich mein Ohr auf die Holzoberfläche des Türes und versuchte vergeblich zu verstehen, was da abging. „Ich wollte dich nicht zu lang warten lassen.", erkannte ich die Stimme wieder und spürte wie mein Herz ein Rückwärtssalto schlug. „Komm rein Zühal, wir lassen mal die zwei Streithähne alleine", nahm ich die Stimme meiner Mutter wahr, die ihre engste Freundin wahrscheinlich ins Wohnzimmer rein bat. Ich wandte mich zu meiner jüngeren Schwester um, die mich schon ungewiss beobachtete. „Eymen und Tante Zühal sind da, kommst du mit rein?", fragte ich nervös und erhaschte einen kurzen Blick in den Spiegel. Als Eylül jedoch mit einem kurzen „Nö" mein Angebot ablehnte, öffnete ich grinsend die Tür.

"Hallo, Tante Zühal!", begrüßte ich die beste Freundin meiner Mutter, die sich schon gemütlich auf dem abgenutztem Sofa gemacht hatte. Sie lächelte mich herzlich an und winkte zu sich. "Was für ein hübsches Mädchen du doch geworden bist", fing sie wieder mit ihren Komplimenten an. Die Röte stieg mir ins Gesicht. Manchmal tut es einem Gut, solche ehrliche Komplimente zu hören, doch Tante Zühal übertrieb es jedesmal um das Zehnfache. Nach einem kurzen Smalltalk, begab ich mich in die Küche und wollte mir was zum Trinken holen. Als ich jedoch die Küche betrat, schlugmich sofort die schwere Duftwolke des starken Männerparfüms, der mir zu Bekannt vorkam. Ohne lang nach zu denken, donnerte mir sein Name direkt in den Sinn. Eymen. Lächelnd lief ich durch die Wolke und ging auf die Küchenzeile zu. Nervös strich ich mir meine imaginär nervende Strähne aus dem Gesicht und atmete einmal tief ein, bevor ich nach einem Glas im Hängeschrank griff.

„Danach müssten wir nochmals nachrechnen, ob die ganze Konstruktion auch überhaupt Stand hält.", hörte ich schon seine wunderschön betäubende Stimme aus dem Balkon, bevor er aus dem Balkontür in die Wohnung rein trat. Kurz verirrten sich seine dunkelbraunen Augen in meine, als er mich angelehnt an der Küchenzeile auffand. Wie es sich angefühlt hat? – Wunderschön. Wunder und Schön. Ein Wunder, dass er den Augenkontakt, auch wenn nur für paar Sekunden, hielt. Schön, weil ich für eine kurze Zeit wieder in seine leeren Augen sehen konnte. In diese stillen Blicke, die nichts sagten. Nichts äußerten. Mich nur still ansahen.„Hey", begrüßte ich die beiden aufgeregt und ließ das leere Glas auf die Arbeitsfläche legen, der vor kurzem in meiner Hand war. Trotz das ich ein Glas Wasser trank, fühlte sich mein Rachen plötzlich so trocken und klebrig an. „Hey", hörte ich meinen Bruder sagen und sah den beiden zu, wie sie sich am Esstisch bequem machten. Eymen, der mich nach unserem stummen Blickkontakt nicht mehr ansah, ließ sich auf den Stuhl nieder, fühlte sich keines Wegs angesprochen und sah sich seine Blätter stumm an. Es wurde schon als selbstverständlich angesehen, dass er mich ignorierte. Warum? – Das weiß keiner und wollte wohl auch keiner wissen. Als die beiden Männer in der Küche sich an ihre Arbeit konzentrierten und mich wohl oder über aus der Küche verscheuchten, lief ich grimmig zurück ins Wohnzimmer

[...]

Seufzend ließ ich den Füller, der noch zwischen meinen Fingern war, auf die Tischplatte und blickte starr auf die Tafel. Mir schwirrte nur noch ein einziger Name. Eymen. MeinEymen. Jedes Gespräch mit Ihm verlief gleich. Ich wagte einen Schritt, versuchte vergeblich das Gespräch zu beginnen und wurde doch jedesmal stumm ignoriert. Es war keine große Sache. Für meine Familie zumindest. Ich seufzte auf und stütze meinen Kopf überfordert mit meiner linken Handfläche. Inzwischen musste ich mich damit abfinden, dass er mich nun mal gerne ignorierte. Vielleicht hatte er Respekt meiner Familie gegenüber. Oder vielleicht hatte er eine Freundin. Allein schon der Gedanke, stach mehrfach in die Herzkammern meines fast schon verblutendes Herz. Ich fing an schwach zu lächeln. Ich konnte es mir selber nicht erklären, warum ich ausgerechnet ihm gegenüber Gefühle hatte. Wie ich überhaupt Gefühle für ihn entwickeln konnte. Ein kleines Lachen entglitt aus meinen trockenen Lippen, sodass ich erschrocken meine Hand vor dem Mund hielt und mit meinen Augen durch den vollen Saal schwankte. Keiner hatte es bemerkt und ich konnte wieder beruhigt atmen. "Gut, dann wünsche ich Ihnen einen schönen Tag noch!", nahm ich die letzten Worte meines Professors wahr, bevor er aus dem Saal lief. Ich schreckte leicht auf und sah etwas benommen dem Professor hinterher. Etwas perplext packte ich langsam meine Sachen in meine große Tasche ein, während meine Kommilitonen es wohl eilig hatten. "Bade, möchtest du mich noch kurz in die Stadt begleiten?", hörte ich meine Freundin Derin mich lieb fragen, die nach wenigen Minuten neben mir stand. Etwas aus dem Ruder blickte ich sie verwirrt an. "Ist alles ok bei dir?", fragte sie mich besorgt. "Alles Bestens!" Somit liefen wir still aus dem schon leer geräumten Saal.

„Danke für das Fahren", verabschiedete ich mich bei meiner Freundin mit einem Wangenkuss und stieg langsam aus dem Auto. Mit einer großen Tüte in der Hand lief ich die wenigen Schritte zum Haus und entdeckte das geparkte Auto von Eymen in unserem Hof. Schmunzelnd eilte ich den Treppenhaus hoch und sah die mehrere fremde Schuhpaare vor der Haustür stehen. Ich sog zur Beruhigung tief ein und schloss die schwere Tür zeitgleich auf. Kaum stand ich im Flur, bekam ich die Gelächter im Wohnzimmer mit. Angespannt zog ich meine Schuhe aus und legte sie zur Seite, bevor ich die Tür hinter mir schloss. Begüm, meine älteste Schwester, trat mit Gläsern aus der Küche und begrüßte mich, während ich meine dünne Jacke in der Garderobe auf einen Bügel aufhang. „Tante Zühal und Eymen sind da. Wir werden gleich essen.", informierte sich mich kurz, bevor meine Mutter nach ihr rief. Ich lächelte sie an, verstaute meine Tüte in meinem Zimmer und blickte letztlich in den Spiegel. Als ich in den Esszimmer eintrat, erblickte ich zu meiner Überraschung Eymens Vater Necati zuerst. Alle saßen schon an ihren Plätzen und warteten wohl auf mich, sodass ich sie kurz begrüßte. Ich nahm zwischen Eymen und meinem Bruder Platz und blickte beschämt auf meine Hände. Trotz das die Röte in mir stieg und mich innerlich wärmen sollte, spürte ich die eisige Kälte neben mir. Als würde man ohne eine wärmende Jacke im Nordpol laufen, sodass die Wärme in dir langsam erlischt. Witzig, jedoch wahr.

Ich räumte die gestapelten Teller in die Spülmaschine ein, während meine Mutter mit Tante Zühal aufs Balkon ging. Mein Bruder, Eymen und sein Vater saßen im Wohnzimmer und tranken genüsslich Schwarztee, während ich mit meinen zwei älteren Schwestern mit dem Abräumen des Esstisches beschäftigt waren. „Hast du schon Eymen gefragt?", hörte ich meine Mutter flüstern, als ich das Geschirr auf die Arbeitsfläche abließ. Ich schielte kurz auf die Balkontür, die wohl durch den Wind ein Stück offen blieb. Ich sah mich durch den Raum und bemerkte recht schnell, dass ich alleine in der Küche stand. „Ich bin gar nicht dazu gekommen! Er möchte mir nicht mal zuhören.", beschwerte sich Eymens Mutter. Stutzig wusch ich meine Hände am Spülbecken ab und trocknete diese mit einem Zewa Tuch ab. „Ich habe versucht, Ercan unbemerkt ein bisschen auszufragen. Doch er lässt es nicht zu." Ich lehnte mich nachdenklich an der Küchenzeile ab und versuchte dem Gespräch weiter zu folgen. „Hast du das Bild bekommen, den ich dir zugeschickt habe?" – „Ay ja! Was für ein hübsches Mädchen sie doch ist Zeynep! Genau wie du es beschrieben hast! Hoffen wir mal, dass sie Eymen auch gefällt.", beichte Tante Zühal aufgeregt ihre Gedanken meiner Mutter. Ich erstarrte augenblicklich. Ich hielt erschrocken meine noch feuchte Hand vor meine Lippen und riss meine Augen weit auf. Mein Herz raste unkontrollierbar und ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Wie ein Schlag ins Gesicht sah ich regungslos auf die Balkontür. Sie hatten für Eymen eine potentielle Braut gefunden?!

Ohne Dich.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt