.30 - Schmerz

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„Herr Al-Hamid", nahm ich die autoritäre Stimme meines Mannes wahr und spürte gleichzeitig die plötzliche Leere zwischen meinen Händen und meiner Taille. Sprachlos versuchte ich mich aufrecht zu setzten und traute mich kaum noch in die Augenpaare zu sehen. Die hinterhältige Frage, ob Eymen die enge Distanz zwischen meinem Chef und mir gesehen hatte, beängstigte mich zu sehr. Die offene Frage ließ in mir die Nervosität um das Doppelte wachsen und ich spürte nur noch das schnelle Schlagen meines Herzes. Mein Körper war so lahmgelegt, dass es schon ohne meinen Verstand zu arbeiten versuchte. Meine Beine glichen sich wie dünne Äste, die in jedem Augenblick zerbrechen könnten und doch stand ich regungslos da. Ich war dermaßen angespannt, dass mein Kiefer anfing zu Schmerzen. Und als ob das nicht ausreichen würde, konnte ich das Zittern meiner Hände nicht verhindern. Vergeblich versuchte ich mich zu beruhigen und versuchte meine zu trockene Mundhöhle mit meinem Speichel zu befeuchten. Doch meine Mundhöhle war so trocken wie die Sahara Wüste. Meine Wangen brannten wie auf der Sahara. Und mein Verstand war genauso verloren wie ein unerfahrener Tourist auf dem gefährlichen Saharagebiet. „Herr Özbay!", entgegnete Herr Al-Hamid ebenfalls freundlich und autoritär meinem Mann gegenüber und lief die wenigen Schritte auf ihn zu. Eymen erblickte mich erst als er ins Zimmer eintrat. Er lächelte mich kurz an und richtete danach seine Blicke wieder seinem Chef zu. Es war ein belangloses Lächeln, was mich etwas beruhigte. Er missverstand die Situation zum Glück nicht. Erleichtert atmete ich aus und griff nach meiner Mappe, der auf dem Beistelltisch vor dem Schreibtisch lag. Ich musste hier so schnell wie möglich weg. „Einen Moment kurz, Herr Özbay", unterbrach Herr Al-Hamid nach wenigen Minuten Eymen und wandte sich mir um. „Frau Özbay, wir sehen uns dann wie abgemacht morgen um sieben Uhr vor dem Gebäude", sprach er mich lächelnd an. Eymen warf sogleich einen verwirrten Blick auf mich zu, doch ich versuchte diesen zu ignorieren. Nickend erwiderte ich den Abschied von Herrn Al-Hamid und lief zügig aus dem Büro raus. Tief einatmend bewegte ich mich eilig in mein Büro, versuchte dabei mein pochendes Herz zu beruhigen und konnte das Ganze nicht genau zusammenfassen. Die Frage ‚was wäre wenn' schwirrte unkontrollierbar durch mein Kopf und erweckte die Unbehaglichkeit erneut auf. Seufzend lief ich durch den schmalen Gang durch und strich mir mehrmals über mein verschwitztes Gesicht. Ich war sichtlich froh darüber, dass er es zur letzten Sekunde nicht sah. Doch ich konnte im Voraus erahnen, in was für schwierigen Situationen ich weiterhin landen würde. Im Büro angekommen, war Lina gerade dabei ihr PC herunterzufahren und wollte ihre Tasche zusammen packen bis sie mich besorgt ansah. „Hey, alles in Ordnung?" Erschöpft lief ich auf meinen Tisch zu und ließ mich auf meinen Stuhl fallen. „Ja, alles Bestens", log ich meine Arbeitskollegin an und griff nach meiner Wasserflasche. Unschlüssig warf sie mir einen prüfenden Blick zu und nahm ihre Tasche zur Hand. „Bist du dir sicher? Dir fehlt gerade wirklich Farbe im Gesicht", wollte sie sich erkunden. Matt stützte ich meinen Kopf mit meiner Hand und nickte ausgelaugt mit dem Kopf. Es ging mir alles andere als Gut. Doch ich schob das ganze auf den Stress und Adrenalinstoß. „Also gut. Ich mach dann für heute Schluss. Ruhe dich wenigstens gut aus, nicht dass du uns morgen noch hinfällst", ermutigte sie mich, bevor sie auf die Tür zu lief. Müde versuchte ich ein Lächeln auf meine Lippen zu zieren. „Wir sehen uns dann morgen" - „Ach bevor ich es vergesse, Lina. Wir sollen morgen um sieben Uhr vor dem Geschäft stehen, um eine Fahrgemeinschaft bilden zu können", wiedergab ich die Bitte von Herrn Al-Hamid wieder und strich schlaff meine Haare hinter meinem Ohr. Sie nickte grinsend mit dem Kopf. „Ich freu mich schon riesig auf die Besprechung, zumal ich mal gespannt bin, ob ich dessen Aussprache wirklich verstehen werde", sprach sie lachend ihre Gedanken laut aus und brachte mich selber zum Schmunzeln. „Das wird schon. Hoffe ich zumindest", verunsicherte ich mich selber und trank etwas aus meiner Wasserflasche. „Also gut, wir sehen uns dann morgen um sieben hier", nahm sie einen erneuten Anlauf zum Abschied und winkte mir zu, bevor sie die Tür hinter sich schloss und mich somit endgültig im Raum alleine ließ. Ohne lang nach zu denken, begab ich mich sogleich an die Arbeit und erledigte die gewünschten Aufgaben. Währenddessen nahm ich noch eine weitere Schmerztablette ein, da die vorherige ihre Wirkung langsam nachließ und die Schmerzen sich vermehrt hatten. Kaum waren die Pläne zum Ausdrucken bereit, klopfte es an der Tür. Erschrocken wandte ich meinen Blick auf die Tür und erblickte einen schmunzelnden Eymen am Türrahmen stehen. „Frau Özbay, wann wollen Sie den Feierabend machen? Ihr Mann wartet schon seit einer halben Stunde auf Ihre Anwesenheit", scherzte er amüsiert und trat ins Büro ein. „Ich muss nur noch die Pläne hier ausdrucken, dann werde ich auch schon meinen Feierabend ankündigen, Herr Özbay", erwiderte ich lächelnd und gab den Auftrag zum Drucken ab. Eymen ließ sich auf den Stuhl von Lina fallen und begann meine Bewegungen zu beobachten. Ich ließ mich nicht weiter beirren, fuhr meinen PC runter und griff nach meiner Jacke. „Was war heute los?", fragte Eymen beiläufig, während er den Tisch von Lina analysierte. Verwirrt blieb ich inne und grübelte nach, was heute geschah. „Was meinst du?" – „Na du hattest mindestens eine einstündige Besprechung mit dem Junior gehabt. Da fragt man sich schon, was los ist. Ich bin mindestens zwei Mal gekommen und wurde jedes Mal von der Sekretärin verscheucht worden." – „Es ging um das Projekt in Madrid. Die Besprechung wurde auf morgen vorgeschoben, wusstest du das? Naja auf jeden Fall-" – „Moment mal", unterbrach er mich sogleich und stand vom Stuhl auf. „Heißt das, dass du den ganzen Tag mit dem Junior alleine verbringen wirst?" Genervt verdrehte ich müde die Augen. Nicht schon wieder. „Hättest du für wenige Sekunden noch gewartet, könntest du dir diese Frage auch sparen", seufzte ich auf und griff nach meiner Tasche. „Das heißt?", blieb er jedoch hartnäckig dabei. „Ich bin unten", reagierte ich stinkig und lief aus dem Büro. „Bade!", rief er empört aus, doch ich ignorierte es wie gekonnt.

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