.06- Familientreffen

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„Was?", ertönten erschrockene Stimmen gleichzeitig. Meine Blicke huschten überfordert zu Eymen rüber, jedoch lehnte er sich amüsiert auf dem Gartenstuhl zurück und sah sich das ganze Desaster als Außenstehender an. Ich wollte einfach nur vom Erdboden verschluckt werden. „Stimmt das?!", hörte ich meine Mutter wütend fragen. Mein Blick fiel auf den Boden. In mir verbreitete sich das Schamgefühl und meine Wangen fingen an zu brennen. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie auch schon tomatenrot eingefärbt waren. „Ja, es stimmt" Ich erhob erschrocken meinen Kopf und sah Eymen mit einem offenem Mund an. „Und sie hat es angenommen!", fuhr Eymen fort und in dem Moment bereute ich meine gestrige Entscheidung. Ich sah ihn enttäuscht an und als er mich jedoch nur anlächelte, stand ich wortlos aus meinem Stuhl auf und verzog mich zurück in mein Zimmer.

[..]

Immer noch wütend kritzelte ich in meinem Zeichenblock rum und dachte über das Geschehene nach. Konnte Eymen nicht eine bessere Lösung finden, als die nackte Wahrheit zu beichten? Die enttäuschten Blicke meiner Mutter und Schwestern kamen mir vor die Augen. Genervt wusch ich die kommende Träne an meiner Wange weg. „Als ob es nicht reichen würde, dass ihr uns eure Beziehung verheimlicht habt, seid ihr auch noch unter euch verlobt! Sag mir mal; Was sind wir hier?", hörte ich Ercan aufgedreht rufen. Da seine Stimme aus dem Balkon schallte, erleichterte er mir unbewusst die Aufgabe, ihn zu belauschen, da das Fenster im Zimmer gekippt offen stand. Ab und an hörte ich meine Mutter Ercan ermahnen, doch er ignorierte es wie gekonnt. Es blieb daraufhin eine Weile still, bis mich ein Türklopfen raus riss. Ich wandte mich, ohne einen Mucks zu geben, zur Tür und erblickte Eymen am Türrahmen warten. „Kann ich rein kommen?" Er kratzte sich am Nacken und lehnte sich nun am Türrahmen. Ich erlaubte ihm mit einem Kopfnicken den Zugang in mein Zimmer und ließ den Bleistift auf den Tisch ab, der vor kurzem noch in meiner rechten Hand war. „Ist alles in Ordnung?", hallte seine Stimme im Zimmer leise. Ich schnaubte auf. War alles in Ordnung? - Nein war es definitiv nicht. Je länger ich mit der Antwort zögerte, wurde Eymen hibbeliger. Er wippte mit seinem linken Fuß hoch und runter, spielte nervös mit seinen Fingern, während er mir in die Augen sah. Ich lächelte schwach. „Seitdem du diese Lüge auf die Welt gebracht hast, ist gar nichts mehr in Ordnung.", begann ich zu sprechen, hielt eine kurze Pause ein und befeuchtete ich mit meiner Zunge währenddessen meine trockenen Lippen. „Weißt du Eymen, ich kann es dir nicht ganz abkaufen. Das ganze hier.", dabei wedelte ich mit meinen Händen in die Luft. „Dein Heiratsantrag, dein Liebesgeständnis. Allein dass du auf einmal mir deine Aufmerksamkeit schenkst, ist mir Neuland" Er sah mich erstaunt an. „Ich kann es verstehen. Aber Bade, ich mein es wirklich ernst mit dir!", ließ er mich sturr wissen. Ich seufzte auf. Ich war wieder in einer Zwiespalte und wusste einfach nicht welchen Weg ich nehmen musste. Ein Weg mit Eymen oder ohne? Welches wäre der beste Weg? Nach einem kurzen Zögern, griff ich nach dem Ring, den er in seiner Handfläche hielt. Ich sah es mir lange genug an, bis ich doch letztlich zum Entschluss kam. „Eymen.." Nun saß er ganz ruhig vor mir auf meinem Bett, seine Augen sprachen Verzweiflung und Angst aus, doch das ließ meine Entscheidung nicht beeinflussen. Ich streckte meinen Arm aus und forderte ihn somit auf, den Ring wieder aus meiner Hand zu nehmen. Er blickte mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Du willst mich verlassen?!", fragte er entsetzt. Ich war mit dem ganzen einfach nur Überfordert. Ich schüttelte hastig meinen Kopf. „Nein! Ich will.." Er sah mich fragend an. „Ich brauche einfach meine Zeit. Ich will dich kennen lernen, verstehst du das?" Ich sah runter auf meine Finger, die ich schon schmerzend massierte. „Es geht mir einfach zu schnell", beichte ich meine wahren Gedanken und ergriff die Mut, ihn wieder anzusehen. Er seufzte gefährlich aus und ging mit seiner Hand durch seine kurzen dunkelbraunen Haare. „Was hat das ganze mit dem Ring zu tun? Der Ring kann trotzdem bei dir bleiben. Sobald du dafür bereit bist, kannst du sie dir ja tragen" Er sah mich nicht an, während er sprach. Ich seufzte wieder auf. Wie wollte ich noch diesem Mann den Vorschlag abwimmeln? Ich nickte zustimmend und nahm ihm den Ring wieder aus seiner Hand. „Ich bitte dich aber Tante Zühal und Onkel Necati aufzuklären. Sag ihnen, dass ich den Antrag unter der Bedingung angenommen habe, darüber nach zu denken." Er lachte auf. „Machst du gerade Witze, Bade? Du hast meinen Antrag angenommen, warum soll ich so einen Scheiß meinen Eltern sagen? Warum soll ich meine Eltern anlügen?", hörte ich ihn energisch fragen. Er konnte sich schwer beherrschen, dass sah man ihm ohne große Überanstrengung an. „Weil du es mir zu liebe machen wirst. Vergiss nicht, wie unsere Beziehung angefangen hat" – „Gut meinetwegen", nuschelte er kühl, stand aus meinem Bett auf und ging aus dem Zimmer raus. Er hinterließ dabei seine Duftwolke in meinem Zimmer, den ich auch sehnsüchtig in mich einsog.

[...]

Es verging weitere zwei Wochen, doch es herrschte immernoch die kühle Atmosphäre in unserem Haus. Meine Mutter war sauer auf mich sowie Ercan, die mich komplett ignorierten. Meine Schwestern hingegen nahmen das Ganze locker auf. Wenigstens sie unterstützen mich.

Tante Zühal und Onkel Necati kamen uns überraschenderweise nicht mehr so oft besuchen. Während Eymen und ich mehr Zeit miteinander verbrachten. Er kam nach der Arbeit mich abholen und wir gingen meistens gemeinsam etwas essen oder spazierten den Neckar entlang. In den zwei Wochen bekam ich einen ganz anderen Eymen zu Gesicht. Ein Eymen, der an allem Spaß hatte. Er hatte ein offenes Ohr für jeden. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart einfach wohl und geborgen. Er bewies mir jeden Tag aufs Neue, dass er der Richtige war. So gelang ihm, die schwirrenden Fragen in meinem Kopf zu eliminieren.

[...]

August 2011

„Bade, Tante Zühal ist am Telefon. Sie will mit dir sprechen!", hörte ich meine Schwester hinter mir sagen. Ich lief nervös die paar Schritte auf sie zu, nahm das Telefon in die Hand und schloss die Zimmertür hinter mir zu.

„Tante Zühal?" - „Hallo, meine Liebe. Wie geht es dir?" - „Ganz gut und selbst?" - „Danke der Nachfrage. Bade, da Eymen ja morgen abreisen wird, habe ich gedacht" Ich stand erschrocken aus meinem Bett auf. Ich legte meine Stirn in Falte. Er flog nach England? „und ihr seid alle heute herzlich zu mir eingeladen.", fuhr sie fort, ohne bemerkt zu haben, dass ich kurzzeitig gar nicht bei ihr war. „Eigentlich wollte ich es deiner Mutter bescheid geben, aber Begüm hat gerade gemeint, dass sie nicht zu hause wäre" - „Ja sie ist gerade auf dem Garten", stammelte ich vor mich hin.

Punkt 18 Uhr standen wir alle aufgereiht vor dem blaugestrichenen Mehrfamilienhaus. „Herzlich Willkommen!", hörte ich Tante Zühal fröhlich rufen. Wir liefen in einer Reihe in die Wohnung rein und begrüßten Tante Zühal mit einem Wangenkuss. „Lasst uns direkt mit dem Essen beginnen. Bade, kannst du bitte Ercan und Eymen herrufen?", wies sie uns an, bevor sie meine Mutter nahm und sich schon an den Esstisch setzten ließen. Stumm lief ich auf Eymens Zimmer zu und klopfte leise hintereinander an der Tür. Mit zittrigen Händen öffnete ich die Tür und sah Ercan mit Eymen am Schreibtisch angelehnt etwas diskutieren. Ercan kam direkt nach der Arbeit zu Eymen, um womöglich die Begegnung mit mir zu verhindern. „Tante Zühal ruft euch zum Abendessen." - „Wir kommen gleich!", ließ mich Ercan desinteressiert wissen und scheute sich nicht, mir die kalte Schulter zeigen. Ich seufzte auf und verstand nicht, wie man seiner Schwester noch für so eine Kleinigkeit sauer sein konnte. Er müsste wenn dann, auf Eymen sauer sein! „Herzlich Willkommen, Bade!", hörte ich nun Eymen vergnügt mich begrüßen und spürte einen Kuss auf meiner rechten Wange. Verblüfft hielt ich meine rechte Hand auf meine Wange und bestaunte seinen Mut, mich neben meinem Bruder zu küssen.

Als auch alle da waren und wir Frauen den Tisch gedeckt hatten, fing das Abendessen offiziell an.

„Eymen, wann wirst du zurück kehren?" Ich nippte an meinem Glas bis ich anfing tüchtig zu husten. Eymen sah mich besorgt an, während Nisa auf meinen Rücken leicht schlug. Als ich mit dem Husten aufgehört hatte, beantwortete er die Frage meiner Mutter höflich. „Nächste Woche Dienstag, hoffentlich" - „Dann könnt ihr die Woche darauf zu uns kommen und um die Hand von Bade bitten" Diesmal blieb das Brotstück in meinem Rachen hängen, als ich die Wörter meiner Mutter wahr nahm. Wieder einmal fing ich an tüchtig zu husten und lief mit eiligen Schritten ins Bad. Scheiße!

Ohne Dich.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt