.43 - Tiefpunkt

2.5K 165 41
                                    


Gedankenversunken kämmte ich meine frisch gewaschenen Haare in die gleiche Richtung. Der Schmerz, den ich mir dabei zuführte, merkte ich kaum. Die Sätze schwirrten wild in meinem Kopf umher und versuchten einen Zusammenhang zu finden. Trotz das ich nur die halbe Geschichte wusste, waren die bisherigen Erkenntnisse erschreckend.

Eymen betrog mich, das stand fest. Eymen liebte mich nicht, das stand auch fest. Was aber auch fest stand war, dass er das Ganze ohne mit der Wimper zu zucken durchzog. Ich konnte dieses Gefühlschaos in mir nicht identifizieren. Ich hasste Eymen. Aber spürte trotzdessen die dominante Liebe zu Ihm. Ich verfluchte ihn, aber versuchte zeitgleich sein Handeln recht zu fertigen.

Warum tat ein Mensch einem Unschuldigen sowas?

Tiefe, angeschwollene Augenringe zierten unter meinen rotunterlaufenen Augen, während meine Wangen die glühende Hitze wortwörtlich alarmierten. Seufzend betrachtete ich mein Spiegelbild und entschied mich, Eymen doch zu verfluchen.

Wie wollte ich so bei meinem Bruder antanzen, wenn ich ihm das Ganze auch noch verheimlichen wollte? Zungenschnallend warf ich den Kamm auf die Ablagefläche und stütze mich am Beckenrand ab.

Doch die Frage war eher, ob ich die Kraft für weitere Notlügen besaß. Tief atmend wand ich mein Blick vom Spiegel ab und versuchte durch paar Atemzüge mich zu beruhigen.

Warum tat ich mir das eigentlich an? Warum war ich bemüht, den ganzen Scheiß zu verhüllen? Warum wollte ich Eymen von dem ganzen Mist bewahren? Mit zusammengezogenen Brauen schoss mein Kopf wieder in die Höhe. Eymen war doch selbst derjenige, der ohne auf die Konsequenzen zu achten mich ohne weiteres Verlassen hatte.

Die Wut stieg wieder an und die Entschlossenheit blitzte durch meinen Kopf. Wenn Eymen sich erlaubte, mir mein Herz zu brechen, dann durfte ich mir auch den Spaß gestatten, ihm denselben Schmerz zuzufügen.

[...]

Ich warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und nickte mir zufrieden zu. Das rote Kleid schmiegte sich ungeniert an meiner Taille und ließ sich dann ab meiner Hüfte in die Länge fallen. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich die Lust jetzt genau hatte, ausgerechnet dieses Kleid anzuziehen.

Vielleicht lag es daran, dass Eymen sie mir gekauft hatte. Oder aber auch, dass es ihm an mir gefiel. Ich wusste, dass ich mich immer wieder aufs Neue widersprach, doch zugeben war bisher nie meine Stärke gewesen. Ich sollte mich deswegen hassen, aber die Gefühle kannten nunmal keine festgelegten Entscheidungen.

Stöhnend über meine widersprüchlichen Handlungen, ließ ich mich auf das große Ehebett fallen und stieß dabei auf das Kissen von Eymen. Ohne meinen Blick von der Decke abzuwenden, zog ich das dominant nach ihm riechende Kissen an mich und inhalierte zögernd den Duft in mich ein.

Unbemerkt schloss ich sogleich meine Augenlider und sog den Duft bis in meine Lungen ein. Mein Herz zog sich augenblicklich zusammen, doch diesen versuchte ich zu ignorieren. Es war mir bewusst, dass dieser Weg ein sehr steiler und steiniger sein würde. Doch es jagte mir Angst ein, auch zu wissen diesen alleine überstehen zu müssen. Was ich eigentlich nicht wollte. Ich hatte mir ein glückliches Leben vorgestellt. Und das nicht alleine, sondern mit Eymen an meiner Seite. Eine brennende Träne drang durch meine geschlossenen Wimpern und fuhr unbestimmt ihren Weg auf meiner Wange.

Durch ein lautes Klingeln schreckte ich aus meinen Gedanken auf und warf entsetzt den Kopfkissen in die Ecke. Was tat ich nur hier?! Atemlos stieg ich sofort aus dem Bett und erblickte sogleich mein Spiegelbild. Die Träne hatte schön ihre Umrisse an meiner geschminkten Wange hinterlassen und auch noch für die etwas Röte in meinen Augäpfeln gesorgt.

Ohne Dich.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt