Wenn Die Vergangenheit Dich Einholt

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Bisher dachten wir ja, dass das alles nur halb so schlimm sein wird, wenn wir auf getrennte Schulen gehen werden. Meine Schule ist ja im selben Gebäude wie jetzt, was bedeutet, ich hätte immer nur warten müssen, bis Cleo von der Schule kommt, oder sie hätte mich so abholen können.

Wir verbrachten die letzten Monate echt fast unsere ganze Freizeit gemeinsam. Außer wenn ich trainieren war, oder sie beim Pferd.
Das wird sich jetzt wohl ändern, ob ich will oder nicht.

Klar, es sind nur 30 Minuten mit dem Bus, aber das Ticket dahin kann ich mir beim besten Willen nicht jeden Tag leisten. Ich muss froh sein, wenn ich mir das jede Woche leisten kann.
Und Cleo muss sich auf die neue Schule konzentrieren, dass musste sie mir hoch und heilig versprechen.

Die letzten paar Wochen vergehen schnell, ich versuche nicht zu oft daran zu denken.

"Ich kann ja in den Ferien ganz oft bei dir übernachten und am Wochenende auch, wenn meine Mum es mir erlaubt." versucht Cleo mich aufzumuntern. "Klar!" entgegne ich ihr und versuche zu lächeln. Sie soll sich nicht schlecht fühlen, nur weil ich ein Idiot bin, der mit Trennung nicht klar kommt.
"Und im neuen Jahr haben wir eh beide so viel mit der neuen Schule zu tun, dass wir eh keine Zeit mehr für einander haben werden." Ja, ich bin kein Optimist, ich bin Realist. So wird es sein.

Cleo blickt mich traurig an, nimmt meine Hand und sagt: "Du bist meine beste Freundin, ich werde immer Zeit für dich haben. Wirst du das nicht auch für mich haben?"

Ich finde die passenden Worte nicht, mir ist das alles zu viel. Ich kann ihr ja nicht gut sagen, dass ich es vermissen werden, wie mein Herz dieses warme Gefühl durch meinen ganzen Körper pumpt, gleich wenn ich sie nur von weitem sehe.
Ich umarme sie und versuche, dabei nicht zu weinen. Sie muss mich so schon für absolut melodramatisch halten.

Der letzte Schultag ist geschafft, die ersten Pläne für die Ferien gemacht.

Einige Mitschülerinnen werden mich auch ins neue Schuljahr begleiten und ein paar aus meiner alten Schule auch.
Das wird interessant, aber erst mal genießen wir jetzt besser den Sommer.

Ich arbeite einige Zeit bei meinem Vater auf der Baustelle, so kann ich etwas Geld sparen um mir den Bus zu Cleo zu leisten. Meine Eltern weigern sich, mir das Jahresticket zu kaufen und ich selbst kann mir das echt nicht leisten.

Wir gehen ins Kino, gehen schwimmen, sehen uns bei mir daheim Filme an. Cleo liegt dann oft in meinem Arm und wir schlafen so ein. Das ist schön und ich genieße es, auch wenn ich weiß, dass sie nie das fühlen wird, was ich fühle.

Cleos neue Wohnung ist größer als die davor und Cleo hat ein eigenes Zimmer mit Computer drin. Den wird sie für die Schule brauchen.

Von ihrem Zimmer aus sieht man bis zur Bushaltestelle bei der ich ein und aussteige, wenn ich zu ihr fahre.
Sie sagt, die neue Wohnung ist irgendwie komisch, sie ist lieber bei mir. Mir macht das nichts, im Gegenteil. Ich habe mich damit abgefunden, dass diese Freundschaft alles ist, was ich bekommen werde und diese Freundschaft ist so viel Schöner als alles was ich davor jemals erlebt habe und ich würde sie um nichts in der Welt aufgeben.

Der Sommer geht viel zu schnell vorbei und der "Ernst des Lebens" beginnt wieder einmal aufs Neue für uns.

Ich habe Cleo eine langen Brief geschrieben, den sie in der Schule lesen kann, wenn sie sich einsam fühlt oder einfach so.
Darin stand, dass ich sie liebe und wir verbrachten unser Leben bis zum Ende gemeinsam. Ende!

Eh klar, dass das nicht passierte, oder?
Klar wollte ich ihr meine Liebe gestehen, aber doch nicht so.
Ich hatte nämlich entschieden, dass ich das zwar wollte, aber nicht tun würde. Es wäre viel zu egoistisch und ich würde sie damit nur verletzen.
Also stand in dem Brief nur was davon, wie stolz ich auf sie bin und an sie glaube. Was ja auch der Wahrheit entspricht.

Mein erster Schultag war etwas anders als ich es erwartet hatte.
Jess, eine gute Freundin aus meiner alten Schule, war hoch erfreut, dass wir wieder zusammen waren. Unsere Clique war leider nicht dafür bekannt, bei den Lehrern besonders beliebt zu sein, im Gegenteil. Und auch andere Schüler hatten Angst vor uns. Nicht, dass ich je jemandem etwas getan hatte. Im Gegenteil, ich war eher die, die dafür gesorgt hatte, dass den Schwächeren nichts passiert. Aber unser Ruf war so und da ich bei den Lehrern ohnehin nur der Versager vom Dienst war, spielte ich das Spiel mit.

Jetzt war das anders, ich versuchte im letzten Jahr nicht zu sehr aufzufallen, nicht alle zu sehr zu vergraulen.

Und doch stand sie jetzt vor mir und holte mich ein, meine Vergangenheit.

"Matz, wie schön, ich dachte schon, ich muss diese Streber hier alleine aufmischen. Und die Lehrer, die sollen ja hart zu knacken sein, aber wir gemeinsam rocken das hier."

Ich hatte mich für den sozialen Zweig angemeldet, warum kann ich euch beim besten Willen nicht sagen. Ich hatte das Gefühl, mal was anderes als Technik zu brauchen. Technik würde ich ja mein ganzes Leben lang noch genug erleben. Sowieso gab's da auch Buchhaltung und es war ja kein Fehler, als Tochter vom Chef auch davon etwas zu verstehen.

Naja, ein wenig hatte ich ja gehofft, dass all die Knalltüten aus meiner alten Schule, die ich ja eigentlich mochte, aber die nicht mehr so gut in mein Leben passten, sich für einen anderen Zweig angemeldet hatten. Aber nein, sie sind alle in meiner Klasse. Welch eine Freude.
Klar, ich freute mich natürlich, irgendwie, aber ich hatte Cleo versprochen, mich zu benehmen.

Mit einem Handschlag ziehe ich Jess zu mir, wir umarmen uns und klopfen uns gegenseitig kräftig auf die Schultern. Wir wissen beide, wir würden uns nie gegenseitig im Stich lassen. Und genau das macht mir gerade sehr große Angst.

Was, wenn es Liebe ist?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt