Berechtigte Angst

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Nachdem Rebe mich so angesehen hatte, war mir klar, wie sehr ich sie verletzt hatte. Nicht, dass mir das nicht ohnehin klar war, aber ich hatte einfach so sehr gehofft, dass ich falsch liegen könnte. Ich weiß, ich habe das verdient. Ich habe ihre Freundschaft nicht verdient und vermutlich habe ich sie damit so sehr verletzt, dass ich sie verloren habe.

In mir zerbricht gerade eine ganze Welt und außer mir hat keiner Schuld daran.

Bärbel sieht mich von weitem böse und enttäuscht an und schüttelt nur den Kopf, ohne auch nur ein Wort zu sagen dreht sie sich um und geht weg. Ich laufe ihr nach, halte sie auf und bitte sie, mir zumindest kurz zuzuhören. "Ich will nur wissen, wie es ihr geht, dann gehe ich und ihr sehr mich nie wieder. Aber bitte sag mir, dass sie sich wieder fangen wird." flehte ich regelrecht.
"Ihre beste Freundin hat sie belogen, über Wochen. Was denkst du, wie es ihr geht? Wie sie sich fühlt? Du bist noch nicht mal persönlich zu ihr!"

Ich kann nur noch zu Boden sehen, kann mich selbst gerade wohl am wenigsten leiden.
"Und wage es nicht, dass Schulgelände zu verlassen, bevor du das nicht wieder in Ordnung gebracht hast!" setzte Bärbel nach.

Ich nicke und lasse mich auf den kalten Boden sinken. Tränen strömen mir ins Gesicht und ich bekomme keine Luft mehr, ich spüre, wie mir die Luft zum atmen fehlt, wie meine Brust sich immer enger anfühlt. Als Jess mich sieht, kramt sie sofort in meiner Tasche und hält mir meinen Inhalator an den Mund. Ich atme so tief ein, wie es geht und fühle, wie meine Lunge wieder zu arbeiten beginnt und der Druck sich löst.

Es klingelt, der Schulhof leert sich langsam doch ich bewege mich nicht. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich ihr unter die Augen treten soll. Cleo würde mir jetzt wohl Feuer unterm Hintern machen, aber sie ist ja nicht da, sie, die mir Halt geben könnte, die in mir die Hoffnung am Leben hält, selbst wenn sie mir wohl gerade die Hölle heiß machen würde.

>Reiß dich gefälligst zusammen Matz, steh auf und entschuldige dich. Tu, was notwendig, wann es notwendig und so lange es notwendig ist. SOFORT! <

Ich atme tief ein, wische mir die Tränen aus dem Gesicht, schnappe mir meine Rucksack und renne los. Hoffentlich ist Rebe noch in der Garderobe, ich schiebe mich zwischen den Schülern die Treppen hoch, Stufe für Stufe. Das die nicht schneller laufen können, kapieren die nicht, dass es hier um einen Notfall handelt? Oben angekommen ist Rebe natürlich nicht mehr in der Garderobe, zum Glück kenne ich ihren Stundenplan auswendig und weiß, wo ich sie finden kann. Ich drehe mich um und will loslaufen, da steht sie mit verschränkten Armen vor mir, in einem der Räume die das Schulhaus in zwei Bereiche trennen.
"Das hat jetzt aber länger gedauert als ich dachte!" sagt sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Ihr Blick ist nicht voller Wut, nein, es ist viel schlimmer, es ist Enttäuschung.
"Ich hatte eigentlich gedacht, dass du mich nicht mal weggehen lassen würdest."

Ohne groß nachzudenken, was ich darauf erwidern soll, lasse ich mich auf die Knie fallen. "Ich werde alles tun, damit du mir wieder vertrauen kannst. Ich flehe dich an, bitte gib mir die Chance dazu. Ja, ich habe das nicht verdient, ich weiß das. Es gibt keine Entschuldigung dafür, was ich getan habe und ich wollte dich nie verletzen."

Schüler laufen an uns vorbei, manche tuscheln, andere bleiben stehen und hören zu, aber mir ist das sowas von egal. Alles was jetzt zählt ist, dass Rebe mich nicht für immer hasst.
"Habt ihr noch nie jemanden gesehen, der extreme Scheiße gebaut hat und jetzt um Vergebung bittet, bei dem Menschen der nie auch nur einen Hauch von etwas Schlechtem verdient hat, weil sie die beste Freundin ist, die ein Mensch sich wünschen kann?" sage ich kühl und abgeklärt in deren Richtung. Ich bin noch immer auf meinen Knien und habe nicht vor, das zu ändern.

Rebe greift nach meinen Händen, doch statt mich nach oben zu ziehen, grinst sie die glotzenden Schüler frech an, wirft mich um und setzt sich auf mich, umarmt mich und lässt nicht mehr los. Ich traue mich kaum, sie auch zu umarmen, aber ich bin so glücklich, dass ich schon wieder weinen könnte.

"Wie reden später, ja? Ich denke wir haben noch einiges zu klären." sagt mir Rebe leise ins Ohr und steht auf. Spielerisch schubst sie mich mit ihrem Fuß um, dass ich vor ihr auf dem Boden liege. "Bau bis dahin keinen Mist, ja?" Ich nicke und bleibe noch einen Moment liegen bevor ich aufstehe.

In der Pause stehe ich schon vor Rebes Klasse, bevor sie eine Chance hat, diese zu verlassen. Ich bin erstaunt, als sie, wie sonst auch immer, meine Hand nimmt. Statt aber nach unten auf den Pausenhof zu gehen, zieht sie mich die Treppen hoch. Hier oben ist kein weiteres Stockwerk mehr, lediglich eine Art Abstellplatz, der aber leer ist. Sie legt einen Finger auf ihre Lippen um mir zu signalisieren, dass ich leise sein soll, bis die anderen alle draußen sind.

Nicht lange und es ist komplett still, wir sitzen am Boden und ich spiele mit der Kordel meiner Jacke herum.
"Ich weiß ehrlich nicht, wo ich anfangen soll." ich versuche den Augenkontakt zu halten, auch wenn es mir gerade sehr schwer fällt. Als ich weiter reden will, greift Rebe nach meinen Händen und sagt: "Ich weiß, dass du mich nicht verletzen wolltest, aber du hast es getan. Das kommt nie wieder vor, ja?" Ich nicke.

"Nina kommt da auch nicht so einfach damit davon, wenn sie mit mir zusammen bleiben will, muss sie sich jetzt echt beweisen."
Ich bin verwirrt und irritiert und weiß gar nicht, wie ich auf diese Information reagieren soll.
"Ihr seid also noch zusammen? Obwohl sie ein Mädchen ist?"

Rebe umarmt mich wortlos, sie weiß, dass die Aussage alles andere als böse gemeint war.

Was, wenn es Liebe ist?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt