Emma
Um 7 Uhr wurde ich von einem lauten Klang geweckt und schaltete mein Wecker genervt aus. Ich setzte mich auf und hielt erstmal inne. Heute war der erste Schultag nach den Sommerferien, gleichzeitig auch der erste Schultag nach meinem Suizidversuch. Ich war etwa 14 Wochen in der Psychatrie. Acht Wochen davon war ich in der Geschlossenen-Geschützten Station und sechs Wochen in der Offenen. Obwohl ich wusste, dass ich mich auf meine Freunde verlassen konnte, war ich ziemlich nervös. Wie würden die anderen reagieren? Würden sie mir Fragen stellen? Was ist, wenn ich dadurch anders behandelt werde? So viele Fragen, die meine Nervosität nur steigerten. Um nicht noch verrückt zu werden, schüttelte ich die Gedanken ab und machte mich fertig.
Anschließend stand ich vor meinem Spiegel, welcher in meinem Zimmer stand und betrachtete mich von oben bis unten. Da die Tage noch sehr warm waren, hatte ich mich für einen schwarzen, knielangen Rock und ein weißes Top entschieden. Darüber warf ich noch meine Jeansjacke, um anschließend runter zuschleichen. Ich zog noch meine weißen Air Force an und verließ schließlich das Haus.
Ich hatte es nicht weit bis zur Schule, weshalb ich heute zu Fuß lief. Der Weg dauerte nur etwa 15 Minuten.An der Schule angekommen, traf ich sofort auf meine Gruppe. Diese bestand aus Jule, Fabian und Leyla. Leyla und ich kannten uns seit dem Kindergarten und gingen seitdem durch dick und dünn. Als wir beide auf die Schule kamen, lernten wir Fabian kennen, welcher eine Stufe über uns war. Vor etwas weniger als zwei Jahren, kam Jule auf unsere Schule, da sie hergezogen war und mit ihr verstanden wir uns gleich ganz gut.
Ich umarmte die drei nacheinander und war dankbar, dass sie für mich da waren. "Wollen wir?" fragte Jule und deutete auf den Eingang. Wir stimmten zu. Jedes Jahr fand eine Versammlung statt, bei denen die neuen Lehrer*innen vorgestellt, Stundenpläne ausgeteilt und Klassenlehrer festgelegt werden. Es war zwar immer sehr öde, aber beschwert hat sich keiner, da somit kein Unterricht stattfand. Wir gingen also in den Saal für heute und als ich mich gerade setzte, viel mein Blick sofort auf ein unbekanntes Gesicht, mit blauen Augen, rosa Lippen und schwarzen Haaren. Das musste einer der neuen Lehrerinnen sein, oder? Sie sah recht jung aus, sie könnte ebenso eine Praktikantin oder Referendarin sein.
"Ich wünsche euch einen schönen Guten Morgen und hoffe, dass ihr alle entspannte Ferien hattet. Wir werden gleich mal damit beginnen, die Stundenpläne auszuteilen. Dafür werde ich euch einzelnd aufrufen." erklärte unsere Schulleiterin, Frau Bauer. Meine gesamte Aufmerksamkeit war nun auf diese gerichtet. Sie rief die Schüler*innen nacheinander auf, um diesen den Stundenplan auszuhändigen. "Emma Krämer." sagte diese schließlich, woraufhin ich aufstand und nach vorne ging. Ich nahm meinen Stundenplan entgegen und lächelte Frau Bauer sanft an. "Ein erfolgreiches und hoffentlich besseres Schuljahr." flüsterte diese und zwinkerte mir zu. Ich hatte in der Vergangenheit viele Gespräche bei ihr gehabt, wo wir über meine psychische Verfassung gesprochen hatten, da es bis zu diesem Zeitpunkt keine/n Schulsozialarbeiter*in gab. "Danke." Ich drehte mich um und wollte zurück zu meinem Platz gehen, doch wieder trafen meine Augen auf die, der Unbekannten. Für einen Moment hielt ich inne, um anschließend zu den anderen zu gehen.
"Zeig mal her." sagte Leyla und schaute gespannt auf mein Stundenplan. "Du hast einen der neuen Lehrer*innen. Cla steht dort. Wer das wohl ist?" Ich zuckte mit den Schultern und richtete meine Aufmerksamkeit wieder nach vorn. "Da wir nun durch sind, möchte ich die neuen Lehrkräfte rauf bitten, um sich den Schülerinnen und Schülern vorzustellen." erklärte Frau Bauer, woraufhin diese sich zu ihr gesellten. Mit ihnen auch die Unbekannte, mit den blauen Augen, welche erneut auf meine trafen. Sie hinterließ sofort einen bleibenden Eindruck bei mir, aber zu dem Zeitpunkt konnte ich noch nicht sagen, was da auf mich zukam. "Mein Name ist Frau Clarke. Ich unterrichte Sport und Englisch, außerdem werde ich dieses Jahr Beratungslehrerin der Q1 sein." erklärte die, bis eben Unbekannte. Frau Clarke. Wiederholte sich der Name immer wieder in meinen Gedanken. Ich war so in Gedanken gewesen, dass ich garnicht mehr mitbekam, dass wir bereits durch waren. "Emma, möchtest du hier noch ewig sitzen bleiben?" fragte mich Leyla belustigt und schaute mich auffordernd an. Ich schüttelte den Kopf und stand auf. "Wir gehen jetzt mit den anderen der Q1 in einen anderen Raum, um noch andere organisatiorische Dinge zuerledigen.""Erstmal möchte ich euch sagen, dass ich mich sehr auf das nächste Jahr freue. Ich werde in eurem Jahrgang den Leistungskurs in Englisch unterrichten, da eure geplante Lehrerin nun in Elternzeit ist. Außerdem werden einige von euch auch in meinem Sportkurs sein." erklärte uns Frau Clarke. Ich versuchte ihr angestrengt zu folgen, was mir nicht sehr leicht fiel. Ich sah etwas in ihr, was ich zuvor noch nie in einem Menschen gesehen habe, dabei kannte ich sie garnicht. "Bist du nicht im Englisch LK?" fragte mich plötzlich meine beste Freundin und riss mich überraschend aus meinen Gedanken. Ich nickte bestätigend. "Sie scheint nett zu sein." gab Leyla zu. Sie hatte recht. Obwohl sie bisher nur oberflächlich mit uns gesprochen hatte, wirkte sie sofort sympathisch und war definitiv einer der Menschen, die man niemals mehr aus dem Kopf bekam. "Emma Krämer?" Ich schaute erschrocken auf. "Ja?" presste ich hervor und erschrack mich selbst über meine unsichere Stimmlage. "Ich würde gerne kurz vor der Tür mit dir sprechen." Ich nickte nur und erhob mich, um hinter ihr den Raum zu verlassen. "Ich möchte mit dir darüber reden, weshalb du vor den Ferien erkrankt warst. Vielleicht gehen wir dafür lieber in mein Büro?" fragte diese vorsichtig. Wieso wollte sie mit mir darüber reden? Wusste sie etwa, was passiert war. "Emma?" Ich schaute sie irritiert an, dann fiel mir ein, dass sie mich etwas gefragt hatte. "Ähm.. Ja, das wäre gut." antwortete ich schließlich. Wir gingen also durch die Schule, bis zu ihrem Büro. Es war letztes Jahr noch das Büro von Frau Weiß gewesen, welche ich wirklich gern gehabt habe. Sie war immer für einen da gewesen und war außerdem eine gute Lehrerin, jedoch freute es mich sehr, dass sie ein Kind bekommen hatte. Das hatte sie verdient. "Hast du gehört?" holte mich Frau Clarke erneut aus meinen Gedanken. "Nein, tut mir leid." gab ich leicht beschämt zu. "Du brauchst dich nicht entschuldigen. Ich habe dich nur gefragt, ob du bereit bist, um darüber zu sprechen?" War ich bereit dazu? Ich wusste es nicht, schließlich war es nicht so lange her gewesen. "Ich weiß es nicht, aber sagen sie ruhig, was sie mir sagen wollen." antwortete ich schließlich. "In Ordnung. Sobald es dir zu viel wird, sagst du bescheid, okay?" Ich kannte sie nicht, aber sie wirkte auf mich besonders. Ihre Art bewunderte ich bereits ab diesem Moment. "Okay." gab ich also von mir. "Ich habe mit Frau Bauer und auch mit Frau Weiß gesprochen. Beide haben mir erklärt, dass du im vergangenen Schuljahr Probleme hattest und nun möchte ich dir anbieten, dass du jederzeit mit mir sprechen kannst, wenn etwas sein sollte. Außerdem wollte ich fragen, ob du in Therapie bist und wie es dir heute geht?" Hm, ja... wie ging es mir? "Ich stehe momentan auf einer Warteliste und wie es mir geht, weiß ich nicht so wirklich. Ich schätze besser." antwortete ich wahrheitsgemäß. "Das ist gut. Beides." Sie lächelt mich an und sofort versank ich wieder in meinen Gedanken. Was war das nur, was sie in mir auslöste? Ich konnte es mir nicht erklären.
Als wir wieder im Klassenraum waren, ging es gerade um unseren Abiball, welcher nächstes Jahr stattfinden würde. Voraussichtlich es würden alle bisdahin schaffen. Als das Thema abgehakt war, wurden wir nach Hause entlassen. Beim verlassen des Raums, blickte ich nochmal zu Frau Clarke, welche meinen Blick erwiderte. "Einen schönen Tag." sagte sie und lächelte. "Ihnen auch."
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Can it be wrong? | Jane Clarke & Emma Krämer {1}
RandomLiebe ist etwas, was von nichts und niemandem beeinflusst werden kann. Es ist ein Gefühl, was durch seine Intensität, unaufhaltsam ist. Sie ist wichtig, kann nicht unterdrückt werden und ist frei. Doch wieso dürfen einen andere dann sagen, wie falsc...