Kapitel 13: Abstand

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Emma
Frau Clarke hatte mich tatsächlich noch nach Hause gefahren. Den anderen hatte ich geschrieben, dass mein Vater mich abgeholt hätte, denn ich hatte keine Lust auf irgendwelche Fragen. Eigentlich hatten wir vor, bei Jule zu übernachten, aber da hatte Frau Clarke mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich verstand nicht, was das sollte. Es ist die eine Sache, mich zu trösten und mir zu zuhören, aber mich dann auch noch nach Hause fahren... Das alles verstand ich nicht. Ich durfte mich seltsam verhalten, schließlich war ich in sie verliebt gewesen. Naja, ich würde darauf wohl keine Antworten bekommen. Das einzige, was sich nicht ignorieren ließ war, dass sie ihren Freund anscheinend hat sitzen lassen. Obwohl ich damit kein Problem hatte, tat er mir leid. Ich meine, ich fände es auch nicht schön, wenn jemand mitten in der Verabredungen 'abhaut'.

Das komplette Wochenende war noch sehr gelassen gewesen, da ich den ganzen Tag im Bett verbracht hatte. Meine Mutter brachte mir am Samstagmorgen das Frühstück ins Bett und wie immer, befand sich auf dem Tablett, eine Kopfschmerztablette. Die hatte ich aber auch dringend nötig. Aber ich verbrachte meine Zeit nicht ausschließlich im Bett, weil ich zu viel getrunken hatte, sondern auch, weil ich traurig war. Frau Clarke geisterte in meinen Gedanken umher und sorgte für die unterschiedlichsten Gefühle. Sie konnte mich glücklich machen, mein Herz zum schlagen bringen, aber sie konnte mich auch traurig machen. Ich musste an ihr Lächeln, ihre Stimme, ihre schönen langen schwarzen Haaren, ihre Augen und ihr gesamtes Aussehen denken, was mich in seinen Bann zog. Aber auch musste ich an die Begegnung, in der Bar, denken. Es war nicht fair, dass sie so viel von mir in Besitz nehmen durfte. Ich musste über sie hinwegkommen, denn sonst würde ich immer weiter hinein rutschen und irgendwann nicht mehr alleine rauskommen. Doch was sollte ich machen? Zuvor war ich noch nicht verliebt gewesen, also wusste ich nicht, wie man über jemanden hinweg kommen konnte. Dann hatte ich aber eine Idee. Verliebt habe ich mich durch die Nähe zu ihr, nun müsste ich also Abstand halten. Die Gespräche müssten also aufhören und der Kontakt, sich nur aufs nötigste beschränken.

Ich ging also nach dem Wochenende wieder zur Schule und hatte mir vorgenommen, sie zu ignorieren, insofern das umsetzbar war. Montags war das nicht allzu schwierig, schließlich hatte ich dort keinen Unterricht mit ihr. Doch Dienstag hatte ich Englisch-Leistungskurs bei ihr. Ich betrat, nach der Pause, also mit schnellen Schritten den Raum und setzte mich auf meinen Platz. Als sie sich umdrehte, wollte ich am liebsten meinen Plan über Bord werfen. Sie sah wunderschön aus, fast schon wie am Freitag zuvor. Aber ich konnte mich wieder fangen, als ihre Augen auf meine trafen. Ich schmiss jegliche Emotionen aus meinen Körper und schaute aus dem Fenster. Währenddessen ich versuchte sie zu ignorieren, hatte ich mehrmals ihren besorgten Blick gespürt, aber ich ignorierte es. Vielleicht mag es nicht so rüber kommen, aber es tut mich tatsächlich maßlos überfordern. Es tut mir selbst weh, das zu tun. Aber ich hatte ein Ziel und anders konnte ich dieses nicht erreichen. "Emma, kannst du bitte noch bleiben?" fragte mich Frau Clarke, als die Stunde vorbei war. "Nein." brachte ich hervor. Ich verließ sofort den Raum, um auf den Schulhof zu gelangen. Erleichtert atmete ich aus. Ich hatte es geschafft, zumindest dachte ich das. Nach der letzten Stunde, ging ich zur Bushaltestelle und traf dabei auf Frau Clarke, diese sofort auf mich zukam. "Kann ich bitte kurz mit dir sprechen?" fragte diese, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf. Ich ging weiter. "Es ist mir aber wichtig." rief sie etwas lauter, doch ich reagierte nicht. Was sollte das? Ursprünglich wollte sie es doch akzeptieren, wenn ich nicht sprechen wollte. Zwar gab es andere Gründe, für mein Schweigen, dennoch hatte sie kein Recht dazu, mich mehrmals anzusprechen. Auch die nächsten Tage versuchte sie es mehrmals, doch scheiterte. Es fiel mir am Freitag sogar relativ leicht. Vielleicht würde sie jetzt verstehen, dass ich nicht sprechen würde.

Ich ging für etwa drei Wochen auf Abstand und blockte sie vollkommen ab. Nur hatte darunter dummerweise auch meine Leistung, in ihren Fächern, gelitten. Sobald ich nicht mehr in sie verliebt war, konnte ich diese hoffentlich wieder retten, doch bisdahin musste ich noch warten. Es war nicht so, dass ich schlecht war, aber eben auch nicht gut. Ich stand auf einem 'befriedigend', obwohl ich in Englisch und Sport immer ein 'Sehr gut' hatte. Aber das ließ sich nicht rückgängig machen. Meinen Freunden hatte ich übrigens, mehr oder weniger erzählt, dass ich in eine weibliche Person verliebt war. Nachdem ich gesagt hatte, dass es aussichtslos war, wollten sie auch nicht mehr wissen, wer es war. Sie waren allerdings stutzig darüber, wie ich mich in Sport verhielt. Aber darüber verlor ich kein Wort und war nach den besagten drei Wochen sichtlich erleichtert. Fest war ich davon überzeugt, dass ich über sie hinweg war und fühlte mich besser. Freier. Dienstags ging ich also, wie immer, zu Englisch und setzte mich auf meinen Platz. Diesmal machte ich jedoch wieder verstärkt mit, wobei mir die Verwunderung nicht missfiel. Sie war sichtlich überrascht, dass ich von einem auf den anderen Tag wieder mitmachte. Auch wenn das normalerweise gar nicht nötig war, da ich durchs schriftliche sowieso eine gute Leistung hatte. Trotzdem bittete sie mich nach dem Unterricht darum, noch zu bleiben, was ich auch tat.
"Geht es dir inzwischen besser?" fragte mich Frau Clarke. Ich nickte. Erst gab sie sich zufrieden, ergriff dann aber wieder das Wort. "Wieso hast du mich ignoriert, nach dem Abend in der Bar?" Irgendwie war ja klar gewesen, dass sie fragen würde. Aber wie sollte ich ihr das erklären? "Ich habe Sie nicht ignoriert." log ich also und brach den Blickkontakt. "Anscheinend schon, denn bei den anderen Lehrkräften hast du mitgemacht und normal mit diesen gesprochen." Moment. Hatte sie wirklich mit meinen restlichen Fachlehrern gesprochen? Sah ganz so aus, sonst hätte sie dies nicht mit Sicherheit sagen können. Aber wieso? Was hatte es sie zu interessieren, ob ich sie ignorierte? Das konnte ihr doch egal sein. "Ich kann es Ihnen nicht sagen. Keinesfalls habe ich Sie absichtlich 'ignoriert', schließlich gibt es dafür keinen Grund." log ich wieder wie gedruckt. Sie nickte. "Du kannst jetzt gehen. Bis Morgen." sagte sie ein wenig schroff. Wieso war sie jetzt so? Ich verabschiedete mich und ging in die Pause.

Can it be wrong? | Jane Clarke & Emma Krämer {1}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt