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Mit geschlossenen Augen fahre ich mir über die Stirn und atme einmal tief durch, bevor ich meine Schritte auf das Schulgebäude zu lenke.

Hinter meinen Schläfen pocht es, weil ich nicht genug geschlafen habe. Dabei sollte ich das mittlerweile gewohnt sein, denn genug Schlaf bekomme ich selten. Es bietet sich einfach nicht an.

Kurz vor Schulbeginn stehe ich ausnahmsweise rechtzeitig von unserem Klassenraum. Ein kleines triumphierendes Grinsen kann ich mir nicht verkneifen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das heute schaffe.

Die erste Stunde ist Mathe und ich habe meine Hausaufgaben nicht, wie schon in den letzten Stunden. Herr Fischer wirft mir einen missbilligenden Blick zu und ich rede mich damit raus, dass ich die Aufgabe nicht verstanden habe, obwohl ich das Thema fast auswendig erklären könnte.

Ungläubig schnaubend klatscht er mir einen Zettel auf den Tisch, den meine Eltern unterschreiben sollte, weil ich in letzter Zeit häufiger die Hausaufgaben nicht hatte.

Im Prinzip könnte ich den Zettel direkt hier unterschreiben, doch das wäre keine gute Idee. Es muss ja doch niemand wissen, dass ich selbst auf den Elternbriefen unterschreibe. Herr Fischer hat mich sowieso auf dem Kieker.

In der Stunde lasse ich meinen Blick unkonzentriert aus dem Fenster schweifen. Prompt nimmt Herr Fischer dran und will, dass ich eine Aufgabe an der Tafel vorrechne.

Weil mir nichts Anderes übrig bleibt stehe ich auf und gehe nach vorn. Die Blicke meiner Klasse in meinem Rücken ignoriere ich so gut es geht. Ich trage dieselben Klamotten wie gestern, weil sonst keine sauberen Sachen da waren.

Aber es soll mir egal sein, was sie denken. Ich bin eben doch nicht wie Dominik und seine Freunde, die all ihr Geld für Klamotten ausgeben, nur damit sie cooler wirken.

Ohne ein Wort schreibe ich die Lösung für die Aufgabe an die Tafel. Danach lege ich die Kreide wieder hin und laufe zurück zu meinem Platz.

Herr Fischer mustert mich schon wieder kritisch. „Merkwürdig, dass du die Hausaufgabe nicht verstanden hast, aber hier an der Tafel sofort korrekt lösen kannst, meinst du nicht Noel?"

Ich presse die Lippen zusammen und schweige. „Na, kleiner Streber, keine passende Ausrede mehr?" Lachen hinter mir.

„Wenn du nochmal deine Aufgaben nicht hast, darfst du nachsitzen. Dann wirst du genug Zeit haben, dich ausführlich mit deinen Hausaufgaben auseinanderzusetzen. Haben wir uns verstanden?"

Ich nicke und lasse mich tiefer in meinen Stuhl rutschen. Ich muss aufpassen, dass ich in nächster Zeit nicht schlafen gehe, ohne meine Hausaufgaben fertig zu haben. Für Nachsitzen habe ich einfach keine Zeit.

Ich bin der erste, der nach der Stunde den Raum verlässt. Dominik und seine Freunde sind direkt hinter mir und unterhalten sich lautstark. Neben mir läuft niemand und auch niemand versucht überhaupt ein Gespräch mit mir zu beginnen.

Darüber bin ich mehr als froh, denn in den letzten Minuten sind meine Kopfschmerzen nicht besser, sondern eher noch schlimmer geworden.

Nach den ersten Wochen hatten meine Klassenkameraden mich als schüchternen Streber abgestempelt und ich werde mich hüten, einen Versuch zu unternehmen, das zu ändern.

Meine alten Freunde sind auch hier auf der Schule, doch ich habe ganz bewusst keinen Kontakt mehr zu ihnen und gehe ihnen aus dem Weg.

Ich kann einfach niemanden gebrauchen, der in meinem Leben und meinen Angelegenheiten herumschnüffelt.

Nicht NormalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt