XXIII

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Ich weiß nicht genau, wer auf die Idee gekommen ist, aber ich hasse sie abgrundtief. Einer meiner tollen Klassenkameraden hat vorgeschlagen, dass wir ein Wettrennen machen. Die Mädchen waren dagegen, aber sie wurden überstimmt.

Und jetzt hocke ich in einem wackeligen Kanu auf einem Fluss und meine Mitfahrer paddeln, als hänge ihr Leben davon ab. Es sind Viererkanus und Herr Fischer hat uns einfach nach Zimmern aufgeteilt. So sitzen vor mir Paul und Matthieu und hinter mir Dominik.

Die beiden Ruderer haben natürlich einen wesentlichen Vorteil im Gegensatz zu Matthieu und mir. Matthieu spielt Volleyball, was zwar tatsächlich mit den Armen zu tun hat, aber eine vollkommen andere Bewegung ist und ich mache natürlich eigentlich gar keinen Sport.

Deswegen tun meine Arme auch schon nach einer guten halben Stunde weh, während die anderen noch genauso schnell paddeln können, wie am Anfang. Und wir haben noch kein Viertel der Route geschafft.

Dank meinen Mitfahrern liegen wir vorne und nur der Tourführer ist noch vor uns. Der Abstand zu dem nächsten Boot hinter uns wird immer größer und ich finde, dass wir so langsam auch mal eine Pause machen könnte.

Nicht, dass das möglich wäre, eine Pause wäre etwas für Mädchen, hat Paul gesagt. Dominik meinte, wir sollten unseren Abstand noch vergrößern und Matthieu hat nichts gesagt. Also machen wir keine Pause.

Zehn Minuten später ist es nicht besser und ich weiß nicht, wie ich den Rest der Strecke durchhalten soll. Paul und Dominik unterhalten sich und ich wünschte, sie wäre leise. Ich hätte gerne einfach meine Ruhe.

Für einen Moment schließe ich die Augen. Es könnte so leise und friedlich sein, hier auf dem Wasser, wenn sie schweigen würden. „Hey, Noel, achte auf den Rhythmus."

Ich öffne die Augen wieder. Ich bin langsamer geworden. Am Rand meines Sichtfeldes tanzen ein paar kleine Punkte und ich weiß, ich sollte aufhören, etwas trinken, aber ich will mich vor den anderen nicht blamieren.

Dominik wäre von meiner nicht vorhandenen Ausdauer enttäuscht und Paul würde wahrscheinlich irgendwelche Witze über mich machen und es in der ganzen Klasse rumerzählen.

Meine Finger schwitzen und krampfen sich noch fester um das Paddel. Ich muss darauf achten, dass ich gleichmäßig atme. Die Geräusche um mich herum verschwimmen leicht und das erste Mal, dass Dominik meinen Namen sagt, überhöre ich halb.

„Noel?"

„Hm", gebe ich zurück.

„Wir machen eine kurze Trinkpause", teilt Dominik mir mit und ich sehe, dass die anderen aufgehört haben, zu paddeln. Ich kann gerade so verhindern, dass ich erleichtert aufatme und lege mein Paddel ruckartig quer über das Boot.

Ich muss kurz einfach atmen, bevor ich die wasserdichte Tasche vor meinen Füßen öffne und zuerst Dominik seine Flasche reiche. Dann nehme ich meine eigene Flasche und trinke mehrere große Schlucke, bevor mich eine Berührung an meiner Schulter unterbricht.

Dominiks Stimme ist nahe meinem Ohr. „Mach mal langsam", murmelt er leise, sodass nur ich es höre, „Alles okay?"

Ich nicke, obwohl das eine Lüge ist. Dominik gibt sich damit zufrieden und lehnt sich wieder nach hinten. Viel zu schnell packen wir die Flaschen wieder ein und fangen wieder an, zu paddeln.

Die Punkte vor meinen Augen sind etwas weniger geworden, aber das ist nicht von allzu langer Dauer. Bald sind sie wieder da und ich brauch meine gesamte Konzentration, um stumpf weiterzupaddeln und ruhig zu atmen.

„Das war die Hälfte Jungs! Ich glaube ihr habt einen guten Abstand zu dem Rest", ruft uns der Tourführer irgendwann zu.

„Was machen eure Arme?", fragt Dominik von hinten. „Alles fit", antwortet Paul entspannt.

„Ein Bisschen tun sie schon weh", mein Matthieu, doch auch er klingt nicht allzu angestrengt.

Ich kann nicht antworten. Ich würde gerne sagen, dass bei mir alles in Ordnung ist, aber ich bringe nur ein atemloses Keuchen hervor.

„Noel?", fragt Dominik. Als ich immer noch nicht antworte wird seine Stimme dringlicher. „Noel!"

Matthieu dreht sich nach hinten um, doch ich sehe nur die Bewegung in einem Meer aus hellen und dunklen Flecken.

„Noel!", wiederholt Dominik ein drittes Mal. Ich spüre seine Wärme direkt hinter mir, als er mir mit einem bestimmten Handgriff das Paddel aus der Hand nimmt. Ich habe überhaupt nicht gemerkt, dass ich noch paddele.

Mein Atem wird unnatürlich schnell und Dominiks Hände schließen sich um meine Schultern. „Hey, atmen! Noel, atmen, beruhige dich!"

Geräuschvoll atmet er neben meinem Ohr, extra langsam. Nach und nach passt sich mein Atem an seinen an. Ich will die Augen schließen und einfach einschlafen, doch jemand schüttelt mich leicht.

„Lass die Augen offen!", befiehlt Dominik mir, „Sieh mich an!" Sein Blick findet meinen und hält ihn fest.

Mein Herzschlag beruhigt sich und langsam verschwinden die Punkte vor meinen Augen. Meine verkrampften Muskeln lockern sich und ich lasse mich nach hinten gegen Dominik sinken.

„Hey", flüstert er leise und ich höre die Anspannung dahinter und ein wenig Erleichterung. „Was machst du denn?", jetzt klingt er leicht sauer, „Warum hast du nichts gesagt?"

Ich zucke kraftlos die Schultern und Dominik streicht gedankenverloren über meinen Arm. „Matthieu, kannst du mir mal Noels Flasche geben?", fragt er dann über meinen Kopf.

Ich will mich wieder aufsetzten, doch Dominik hält mich fest. „Du bleibst liegen", sagt er bestimmt. Noch ist der Schwindel nicht ganz verflogen, also protestiere ich nicht.

Erst lässt mich Dominik mehrere Schlucke Wasser trinken, dann reicht er mir einen Schokoriegel. „Ich will, dass du gleich eins von deinen Brötchen isst."

„Mir ist schlecht", widerspreche ich flüsternd, doch er schüttelt den Kopf.

„Das kommt davon, wenn du nichts frühstückst. Ich meine das ernst Noel, das war keine Bitte." Seine Stimme klingt ruhig, doch ich kann in seinen Augen sehen, wie aufgewühlt er ist.

Dominik lässt mich erst los, als er sicher ist, dass ich wieder alleine sitzen kann. Vermutlich sieht er in meinem Gesicht, wie blass ich bin. Wir hören schon die Stimmen der nächsten Gruppe hinter uns auf dem Wasser und Paul, der das Boot in der Mitte des Flusses hält, dreht sich um.

„Fahren wir weiter?", fragt er an Dominik und Matthieu gewandt, die beide nicken.

„Kriege ich...?", frage ich und zeige auf mein Paddel.

„Kannst du vergessen", knurrt Dominik fast, „Dir gebe ich heute kein Paddel mehr in die Hand. Iss etwas und sag gefälligst Bescheid, wenn dir nochmal schwindelig wird!"

Er klingt fast gefährlich, wie er das sagt, also nicke ich bloß. Obwohl ich wirklich keinen Hunger habe, zwinge ich mich, das Brötchen zu essen.

Ich wusste sofort, dass dieser Ausflug eine Katastrophe werden würde.

Nicht NormalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt