Ich wache mit einem Lächeln im Gesicht auf und ich kann es nicht erklären. Nachdem ich heute Nacht wach war, habe ich erstaunlich gut geschlafen und ich fühle mich zum ersten Mal seit Tagen wieder wirklich wach.
Ich weigere mich, es auf Dominik zu schieben, aber vielleicht ist er nicht ganz unschuldig an der Tatsache. Beim Gedanken daran, wie er mich heute Nacht festgehalten hat, wird mir ganz warm.
Natürlich ist das für ihn bloß freundschaftlich gewesen, vermutlich wollte er sogar nur sein schlechtes Gewissen beruhigen, weil er mitverantwortlich für die Situation ist, aber das ist in Ordnung. Ich erwarte überhaupt nicht mehr.
Der Grund aus dem ich aufgewacht bin, war Pauls Wecker und als er jetzt aus dem Bad wiederkommt, teilt er uns lautstark mit, dass wir auch aufstehen sollen. Ich habe eigentlich überhaupt keine Lust auf den Tag, aber ich kann leider nichts machen.
Soweit ich weiß, ist der Plan, vormittags eine geführte Kanutour durch eins der nahegelegenen Flusstäler zu machen und ich weiß schon wie das für meine Arme enden wird.
Nachdem Matthieu, der total unausgeschlafen aussieht, ebenfalls im Bad fertig ist, quäle ich mich aus dem Bett, obwohl ich in den letzten Minuten ein starkes Bedürfnis entwickelt habe, so wie Dominik einfach liegen zu bleiben.
Meine Selbstdisziplin siegt und ich stehe nur Sekunden später vor dem Spiegel. Meine Augenringe sind wesentlich heller als gestern. Etwas Gutes hatte es also doch, mich mitten in der Nacht von Dominik trösten zu lassen.
Dominik scheint es nicht so zu gehen, denn er wirkt sehr verschlafen und sein Blick ist nachdenklich, als ich aus dem Bad komme. Immerhin steht er dann auch endlich auf.
Ich sitze auf dem Bett und scrolle durch eine Reihe alter Fotos auf meinem Handy, als die anderen sich auf den Weg zum Frühstück machen wollen. Ich starre geradeaus auf mein Handy, in der Hoffnung, dass sie mich einfach ignorieren.
Tun sie leider nicht. Dominik streck seine Hand auffordern nach mir aus und wartet demonstrativ, bis ich aufblicke. „Komm, wir gehen frühstücken."
Ich schüttele leicht den Kopf und werfe einen unsicheren Blick zu Paul und Matthieu, die schon in der Tür warten. Dominik nickt ihnen zu und sagt: „Geht schonmal vor, wir kommen gleich."
Als die beiden die Tür geschlossen haben, setzt er sich vorsichtig neben mich. „Kommst du?", fragt er noch einmal. Ich mache keine Anstalten, mich zu bewegen, weshalb er leise seufzt.
„Was ist los?", will er dann wissen. Ich presse die Lippen zusammen und weiche seinem Blick aus. „Ich habe keinen Hunger", murmele ich dann leise.
Das stimmt, mein Magen fühlt sich wie zugeschnürt an. Außerdem fühle ich mich in der Gesellschaft meiner Klassenkameraden ziemlich unwohl und ich hätte am liebsten einfach kurz meine Ruhe. Aber das sage ich nicht.
„Du musst was frühstücken. Wir wollen doch gleich los zur Kanutour und da brauchst du Energie!", widerspricht Dominik, „Andernfalls kippst du nachher um und ich kann dich nicht immer ins Bett tragen, wenn du Kreislaufprobleme hast."
Die Anspielung verdient kaum ein halbes Lächeln, aber mir wird klar, dass ich keine Chance habe. Also gebe ich nach und nicke. „Meinetwegen."
Vielleicht müsste ich nicht mit auf diese blöde Tour, wenn mir schwindelig wäre. Aber wenn es wirklich schlimm wäre, könnte es passieren, dass Herr Fischer Frau Müller anrufen muss und das will ich keinesfalls.
Immerhin habe ich versprochen, dass ich auf mich aufpasse und dafür sorge, dass es mir gut geht, wenn ich nicht will, dass sie mich in ein Heim oder eine betreute Wohneinrichtung steckt.
Dominik steht auf und hält mir wieder die Hand vor die Nase. Wir haben nicht darüber geredet, wie wir mit Körperkontakt umgehen, ob es in Ordnung ist, wenn ich ihn anfasse und was in Ordnung ist, für uns beide, deswegen ignoriere ich es und stehe selbst auf.
Mit Kai hatte ich eine Abmachung. Es war okay, wenn wir und irgendwie gegen den Arm boxen oder wenn sich unsere Finger einfach so berührt haben, aber nie die ganze Hand und nie mehr Berührungen.
Wahrscheinlich denkt Dominik jetzt nicht darüber nach, aber ich vermute, dass es ihm bei näherer Betrachtung auch unangenehm ist, wenn ich seine Hand nehme, oder wir uns umarmen.
Sein Blick ist leicht irritiert, weil ich seine Hand ausschlage, aber er sagt nichts. Schweigend gehen wir in den Frühstücksraum. Es scheint, als hätte Herr Fischer auf uns gewartet, denn sobald wir durch die Tür treten steht er auf und bittet uns, uns zu setzten.
Dann erklärt er uns zuallererst den Ablauf des Tages. Wir treffen uns eine halbe Stunde nach dem Frühstück unten, damit wir zur Kanustelle gehen können. Weil wir bis zum Nachmittag unterwegs sein werden, sollen wir uns etwas zum Essen mitnehmen.Dominik hebt eine Augenbraue, als ich mir zum Frühstücken für jetzt nur einen Joghurt und eine Tasse schwarzen Kaffee nehme. Statt mit dem Essen anzufangen, schneide ich zuerst die Brötchen, die ich mitnehmen will und schmiere Frischkäse darauf.
Für das Frühstück habe ich eine große Brotdose dabei, in die kleine Dose schneide ich zwei Äpfel klein. Die anderen Jungen, mit denen ich am Tisch sitze, beobachten meine geübten Handgriffe interessiert. Tja, wer über ein Jahr seiner kleinen Schwester und sich selbst Pausenfrühstück machen darf, der kann es irgendwann.
Als ich fertig bin, schiebt Dominik seinen Teller zu mir, auf dem noch ein Brötchen liegt, nachdem er die anderen zwei eben schon verschlungen hat. „Du kannst das so gut, Noel, du macht doch bestimmt auch mein Frühstücksbrötchen", sagt er grinsend.
Wortlos nehme ich das Brötchen und schneide es auf. „Ein Brötchen wird wohl kaum reichen. Außerdem kannst du gerne noch Käse oder irgendwas holen, wenn du was auf das Brötchen drauf haben willst", gebe ich dann zurück.
„Da liegt doch noch Wurst", widerspricht er. Er klingt fast ein wenig jammernd, wie ein kleines Kind und ich muss fast die Augen verdrehen. Schon hat er mich wieder zum Lächeln gebracht.
„Auf ein Brot, das unterwegs nicht gekühlt wird, bekommst du keine Wurst. Die wird viel zu schnell schlecht. Wenn ich dir dein Brötchen schmieren soll, dann nach meinen Regeln", stelle ich fest.
Paul und David brechen in lautes Lachen aus. Sofort bin ich wieder etwas verunsichert und spüre, wie ich leicht rot werde.
„Da hast du es, Dominik, wenn du schon Noel für dich arbeiten lässt, widersprich wenigstens nicht", grinst Matthieu und auch Elias und Dominik selbst grinsen.
„Na gut", meint er schelmisch, „Dann schmiere ich mir mein zweites Brötchen eben selbst." Ich zucke die Schulten und schiebe seinen Teller wieder zu ihm rüber.
Während die anderen sich weiter unterhalten, beobachte ich, wie Dominik mit bedachten Handgriffen sein Brötchen schmiert. Eine blonde Locke fällt ihm dabei in die Stirn und ich kann nicht leugnen, dass er mal wieder ziemlich gut aussieht.
‚Wir sind Freunde', erinnere ich mich, aber ein bisschen gucken kann ja wohl kein Problem sein. Solange es Dominik nicht merkt. Als hätte er meine Gedanken gehört, blickt er auf, schon wieder grinsend. Mit leicht geröteten Wangen wende ich mich ab.
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Nicht Normal
Teen FictionNoel ist es gewohnt, alleine zu sein. Er braucht keine Freunde und auch sonst niemanden außer seiner kleinen Schwester, um die er sich kümmert. Zu seinem Leidwesen muss er feststellen, dass er eben nicht alles alleine schaffen kann und dass sogar er...