Als wir abends ankommen, dämmert es bereits. Herr Fischer braucht ewig, für die Anmeldung und der Empfang in dem kleinen bayrischen Ort ist wirklich furchtbar. Dann können wir endlich auf die Zimmer.
Wir haben ein Viererzimmer, Dominik, seine Freunde Matthieu und Paul und ich. Die beiden letzteren teilen sich das rechte Stockbett, deswegen bleibt mir nichts Anderes übrig, als mir das andere mit Dominik zu teilen.
„Willst du oben oder unten schlafen?", fragte er, nachdem wir unsere Sachen abgestellt haben. Ich zucke wortlos die Schultern.
„Come on, das hilft jetzt nicht wirklich weiter. Entscheide dich", meckert Dominik sofort und ich verdrehe die Augen.
„Dann schlafe ich unten."
Dominik nickt und klinkt sich dann in das Gespräch der anderen Beiden ein, während wir die Betten beziehen.
„Was machen wir jetzt bis zum Abendessen?", will Matthieu wissen, als er fertig ist. Ich beziehe die Frage nicht auf mich und lasse mich auf mein Bett fallen.
„Lass uns Wahrheit oder Pflicht spielen", schlägt Paul vor, als hätte er das schon die ganze Zeit geplant.
„Dein Ernst?", fragt Dominik belustigt, springt aber vom Bett und setzt sich zu Paul und Matthieu auf den Boden. „Spielst du auch mit, Noel?"
Ich schüttele den Kopf. Dann ziehe ich die Beine an und lehne meinen Kopf mit geschlossenen Augen an die Wand. Ein paar Minuten habe ich so meine Ruhe, doch dann ruft Paul: „Noel, Wahrheit oder Pflicht?"
„Ich spiele nicht mit", fahre ich ihn an, doch er lacht nur. „Natürlich spielst du mit. Komm, sei kein Langweiler!"
Auch die anderen Beiden schauen mich erwartungsvoll an, also gebe ich nach: „Wahrheit."
„Wer war das letzten Freitag?", fragt Dominik sofort, als hätte er das schon die ganze Zeit vorgehabt. Deswegen soll ich also mitspielen.
„Keine Ahnung, hab den Namen schon vergessen", murmele ich. Die Frage ist mir irgendwie unangenehm. Leider reicht Dominik meine Antwort nicht.
„Du schläfst mit einem wildfremden Typen und kennst nicht einmal seinen Namen?" Er klingt ein wenig zu interessiert für meinen Geschmack. Warum auch immer.
„Warte mal, du hast Freitag mit einem Typen geschlafen? Bist du schwul? Und warum weiß Dominik davon?", fragt Paul in einem Atemzug.
„Ich habe mit niemandem geschlafen. Außerdem habe ich die Frage schon beantwortet, also ist der nächste dran", widerspreche ich. Matthieu dreht die Flasche, aber ich bin mir sicher, dass die Fragen beim nächsten Mal nochmal gestellt werden.
Als nächstes ist Paul dran, aber ich bekomme nicht mit, was er machen muss, denn mein Handy klingelt.
„Böger", melde ich mich und laufe mit dem Handy am Ohr in das kleine Bad, das zu unserem Zimmer gehört.
„Hallo Noel, du wolltest noch mit Lana sprechen. Bitte nicht zu lange, es gibt gleich Essen."
„Noel", quietscht Lana ins Telefon. „Hallo Süße, wie geht's dir?"
„Wir haben heute im Kindergarten Blumen gebastelt. Ich durfte eine mitnehmen, die ist pink und blau. Morgen kann ich sie dir zeigen!"
„Süße, ich komme morgen nicht", sage ich leise.
„Warum?", ich höre schon die Tränen in Lana Stimme.
„Ich bin doch auf Klassenfahrt. Aber ich komme bald wieder", verspreche ich.
„Holst du mich dann ab und wir gehen nach Hause?", fragt sie hoffnungsvoll.
„Ja, bald", meine Stimme bricht und ich bin fast froh, dass die Betreuerin uns ermahnt, aufzulegen, damit Lana zum Essen kann.
Mein Hals ist trocken, als ich aus dem Bad komme und das laute Lachen der Jungs stört mich ungemein. Dominik hebt besorgt eine Augenbraue.
„War das deine Freundin?", will Paul wissen. „Ich hab keine Freundin. Warum?"
„Naja, wen sprichst du denn sonst mit ‚Süße' an?", fragt er zurück.
„Das war meine Schwester, klar", fauche ich und Paul zuckt zurück: „Sorry, das wusste ich ja nicht."
„Alles okay bei ihr?" Dominiks Blick wird noch ein wenig besorgter.
Ich lasse mich wieder auf mein Bett fallen und zucke die Schultern.
„Aber jetzt erzähl mal, du hast keine Freundin und baggerst am Wochenende wildfremde Männer an", Paul hat sich offenbar wieder gefangen, „Hast du keine Beziehung?"
„Ich habe keine Freundin, weil ich nicht auf Mädchen stehe. Und ich habe auch keinen Freund, sonst würde ich wohl kaum mit anderen Männern flirten. Mehr haben wir nämlich nicht gemacht."
„So sah das aber nicht aus", meint Dominik, „Du hast ihm offensichtlich die Zunge in den Hals gesteckt. Und danach wart ihr beide verschwunden."
„Mann, ich will doch nicht einfach mit irgendwem schlafen!"
Drei Augenpaare starren mich an. Paul neugierig, Matthieu nachdenklich und Dominiks Blick kann ich nicht deuten.
„Also gibt es da jemanden?", bohrt Paul nach, doch im selben Moment steht Dominik auf. „Wir müssen zum Essen."
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Nicht Normal
Roman pour AdolescentsNoel ist es gewohnt, alleine zu sein. Er braucht keine Freunde und auch sonst niemanden außer seiner kleinen Schwester, um die er sich kümmert. Zu seinem Leidwesen muss er feststellen, dass er eben nicht alles alleine schaffen kann und dass sogar er...