XXI

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Dominik

Vielleicht habe ich heute mehr über Noel erfahren, als während der ganzen letzten Monate. Er steht auf Männer! Das habe ich mir zwar fast schon gedacht, aber es jetzt so zu wissen, fühlt sich irgendwie nochmal anders an.

Dazu kommt, dass er einen Crush auf jemanden hat. Paul hat es zwar versucht, aber aus Noel war nichts mehr herauszukriegen und ich frage mich unwillkürlich, ob es jemand ist, den ich kenne.

Dabei ist es eigentlich egal, denn in meinen Augen wäre niemand gut genug für ihn.

Ich liege auf dem Rücken und lausche mit geschlossenen Augen den leisen Atemzügen der anderen. Eben war da noch ein anderes Geräusch, etwas das mich geweckt hat, aber jetzt scheint es vorbei zu sein.

Als ich kurz davor bin, wieder einzuschlafen, höre ich es wieder: Ein leises Schluchzen aus dem Bett unter mir. Noel. Soll ich ihn wecken?

Muss ich nicht, denn das Geräusch hört auf und stattdessen setzt sich jemand leise auf. Dann läuft Noel mit leisen Schritten ins Bad und macht dort das Licht an.

Ohne nachzudenken klettere ich nach unten und stelle mich vor die geschlossene Tür. Es dauert einen Moment, dann höre ich die Klospülung und den Wasserhahn und die Tür öffnet sich wieder.

Noel atmet überrascht ein, als er mich sieht. Ich lege den Finger an meine Lippen und schiebe ihn vorsichtig wieder in das Bad. Hinter uns schließe ich die Tür.

„Was ist los?", flüstere ich.

„Was soll sein?", fragt Noel zurück und im hellen Licht erkenne ich nach einigen Sekunden, dass seine Augen tatsächlich gerötet sind.

„Du hast geweint", stelle ich das Offensichtliche fest.

Noel beißt sich auf die Lippe, dann fährt er sich nervös über die Augen. „Ich war bloß auf der Toilette", behauptet er dann.

Ungläubig runzele ich die Augenbrauen und schüttele den Kopf. Noel seufzt leise. „Es ist wegen Lana."

Abwartend sehe ich ihn an. Einige Sekunden schweigt er. „Sie haben sie in so eine Einrichtung von Jugendamt gebracht und sie fühlt sich dort nicht wohl. Jedes Mal, wenn ich gehe, weint sie und ich kann ihr nichtmal versprechen, dass sie bald wieder zu mir kommt", er stockt und ich sehe, wie schwer ihm die Worte fallen.

Dann dreht er sich zu mir. „Das ist alles deine Schuld", zischt er. In seinen Augen steht hilflose Wut. „Wenn du nichts gesagt hättest, dann wäre alles gut."

Halbherzig hebt er die Hand und schlägt gegen meine Brust. „Es ist alles deine Schuld", wiederholt er flüsternd.

Seine Hand zittert leicht und ich lege meine darauf. Plötzlich, völlig aus dem Nichts, lehnt er sich gegen meine Brust. „Es ist alles so scheiße!"

Jetzt fangen auch seine Schultern an zu beben und ich bin völlig überfordert. Als er so krank war, war es einfacher, denn er war nicht wirklich wach und bei Sinnen. Heute ist ihm aber genau bewusst, was er tut.

Hilflos schlinge ich meine Arme um ihn und halte ihn fest. Ich weiß nicht, was ich sonst tun sollte. „Immer wenn ich schlafe, dann träume ich davon und ich höre sie weinen, wenn ich schlafe. Ich will das nicht mehr!", schluchzt er.

Er weint und seine Tränen landen in meinem Shirt. Wenigstens trage ich überhaupt eins, denn wenn Noel sich an meinen nackten Oberkörper gelehnt hätte, dann hätte ich keine klaren Gedanken mehr fassen können.

Nicht, dass das jetzt besser wäre, aber irgendetwas scheine ich richtig zu machen, denn Noel beruhigt sich langsam wieder.

„Sorry", nuschelt er. Ich streiche behutsam über seinen Rücken. „Alles gut. Du hast ja Recht. Ich hab das zwar schon gesagt, aber es tut mir wirklich leid."

„Ich weiß", antwortet er leise und trotz der Situation macht mein Herz einen freudigen Hüpfer. Er hat meine Entschuldigung nicht wieder abgewiesen und mich nicht wieder weggeschickt.

„Gut", murmele ich und ziehe ihn noch ein klitzekleines Stück näher zu mir. Als er dem nachgibt und sich noch näher an mich schmiegt, schlägt mein Herz noch schneller, als vorher.

Er legt seine beiden Hände an meine Seite und vergräbt das Gesicht in meiner Schulter. Nur der dünne Stoff von zwei Shirts trennt uns voneinander und irgendwie wird mir ziemlich warm.

„Ich", ich muss mich räuspern, „Wir sind Freunde, oder? Ich wäre wirklich gern mit dir befreundet, wenn du mir noch eine Chance gibst."

Noel nickt an meiner Schulter ohne den Kopf zu heben. „Natürlich", murmelt er in mein Shirt und ich kann die Bewegung seiner Lippen überdeutlich spüren.

„Gut", wiederhole ich leise, lächelnd.

Nicht NormalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt