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Ich richtete die waffe auf die Person am Steg - und wagte mich nur ganz langsam aus meiner Deckung hinter der Hütte. Dieser Mensch hier konnte jeder sein, da ich sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste ich immer noch nicht mit wem ich es hier zu tun hatte. Vorsichtig ging ich bis zum Rand des Stegs, jetzt standen wir uns gegenüber, er mir abgewandt. Ich versuchte immer wieder einen Blick auf seine visage zu erhaschen, aber dank der tief ins Gesicht gezogenen kaputze von ihm gelang mir das nicht. Wir waren uns so nah, theoretisch könnte ich ihn jetzt ohne Probleme erschiessen. Warum wollte sich dieser Mann mir immer noch nicht erkenntlich zeigen? Wahrscheinlich wollte er, dass ich näher kam - doch das konnte er sich abschminken. Schließlich riss mir der Geduldsfaden und ich unterbrach die Stille, dieser billige Doppelgänger würde mich nicht noch länger an der Nase herum führen.
„Wer hat dich engagiert? Der andere Anteilseigner des freizeitschloss? Er hätte dich warnen sollen. Wer sich mit mir anlegt, lebt gefährlich."
Obwohl sich die Person nun halb zu mir ungewandt hatte, konnte ich immer noch nicht näher sein Gesicht erkennen - immer noch verdeckte der dunkle Stoff seiner kaputze seine Konturen. Wenn er mich hätte umbringen wollen, hätte er das wohl schon längst gemacht. Aber, warum sonst hätte er sich mit mir treffen wollen?
„Das weiß ich doch, Agnes."
Aber vielleicht sollte ich ihn ja umbringen bevor er mir mit seinen blöden Spielchen den letzten Nerv raubte.
„Dann bist du sehr leichtsinnig."
Jetzt wusste er ja zumindest mit wem er es hier zu tun hatte - wenn ihm meine Pistole immer noch keine Angst machte, hatte ich es hier wohl tatsächlich mit einem irren stalker zu tun.
„Nein."
Mein Verlangen zu schiessen wurde immer größer, ich musste diesem Irrsinn ein Ende setzen. Aber zugleich war da noch immer die Neugier sein Gesicht zu sehen, um Gewissheit zu haben. Konnte ihm nicht einfach die blöde kaputze mal vom Kopf rutschen?! Was ich tun würde, wenn das Gesicht wirklich wie das von Thomas aussehen würde, wusste ich noch nicht. Vielleicht trotzdem schiessen - denn der echte Thomas konnte es ja wohl kaum sein. Allerdings, würde ich das überhaupt an seinem Gesicht erkennen? Macht aussehen allein einen Mensch aus? Wir waren uns doch jetzt schon so nahe, dabei wusste ich gar nichts über ihn, aber er anscheinend alles über mich. Er lass in mir wie in einem offenen Buch während ich weiter im Dunklen tappte. Er hatte macht über mich, ein Gefühl, was ich gar nicht mochte. Er hatte mich längst durchschaut, wusste, dass ich eigentlich Angst vor ihm hatte, egal, wie cool ich tat. Er war 1 der wenigen Menschen, die meine kalte, unannahbare Fassade seit Jahren zum bröckeln gebracht haben. Er konnte direkt in meine Seele schauen - in das düstere Ödland, was drin herrschte. Er sah mich, wie ich wirklich war. Keine Ahnung, wie lang er mich schon kannte, wahrscheinlich zu lang. Er sah meine Unsicherheit, roch meine Furcht. Er kannte alles von mir während er seine Geheimnisse vor mir abschirmte. Doch damit sollte jetzt ein für alle mal Schluss sein.
„Was willst du?"
Endlich schien ich die Person aus der Reserve gelockt zu haben, denn sie drehte sich zu mir und lüftete sogar ihre kaputze. Ich hielt die waffe auf ihn gerichtet. Doch er kam nicht näher - stand einfach da. Er sah Thomas so ähnlich, sein Gesicht, sein Körperbau, seine langen, gewellten Haare.
„Hallo, Liebling."
Nein, das konnte einfach nicht wahr sein, beim besten Willen nicht. Äußerlich hatte wahrscheinlich jeder einen Doppelgänger, aber die Seele von Menschen gab es nur einmal. Wahrscheinlich hat mein Geschäftspartner viel Zeit in die Suche eines so perfekten Thomas Look-Alike investiert. Zu schade, dass ich eigentlich plante ihn zu erschiessen. Dann war alles, was vielleicht mal im entferntesten Sinn an Thomas erinnert hat für immer verschwunden. Ich durfte mich von ihm einfach nicht aus der Fassung bringen lassen.
„Ich muss zugeben die Ähnlichkeit ist verblüffend."
Vielleicht sollte ich ihn auch einfach in den See werfen - einfach so zum „Spaß", als kleine Rache für all die scheisse, die er mir in letzter Zeit angetan hatte. Da war eine Ruhe und Überlegenheit in seinem Gesicht, die mich verunsicherten. Da lag eine Vertrautheit in seinen Augen, die mich irritierte. Seine klamottenwahl war der von Thomas so ähnlich. 
„Ähnlichkeit... mich gibts nur einmal."
Warum tat ich mir das hier überhaupt an, warum rannte ich nicht einfach weg?! Das hier führte doch zu nichts. Dass der seltsame Mann mir folgen würde, wäre sehr unwahrscheinlich, er erschien mir sehr harmlos. Er hatte nicht mal eine waffe mit. Wenn man ihn auf Straße sah, dachte man gar nicht, dass er ein wahnsinniger stalker war - so gut sah er aus. Jetzt wusste ich wieder, warum ich damals so an Thomas gehangen bin. Selbst das äußere seines Look-Alikes hätte mich fast wieder verzaubert.
„Bereust du es eigentlich, dass du mich umbringen wolltest?"
Tränen schossen mir in die Augen, ich war so schwach oder das hier war einfach alles zu viel für mich. Ich fuchtelte mit der Pistole herum, wollte ihm drohen, ihn in Schach halten. Das hier lief völlig aus dem Ruder.
„Hör auf, sonst..."
Tränen rannen meine Wangen hinunter - kribbelten auf meiner Haut. Sein Gesicht verschwamm, löste sich auf. Die waffe in meinen Händen fühlte sich auf einmal so schwer an.
„Sonst was? Willst du mich diesmal wirklich umbringen? So, wie du es damals schon versucht hast bei unserem Picknick."
Ich ließ die Pistole sinken, ich konnte einfach nicht mehr. Hier vor mir stand mein verstorben geglaubter ex-Mann, alles sprach dafür und nur so wenig dagegen. Sein Name aus meinem Mund, so ungewohnt nach dieser langen Zeit.
„Thomas..."
Er lebte - der Mann, den ich umbringen wollte. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn noch mal wiedersehen würde.
„Überraschung..."
Mein Kopf fühlte sich an als würde er gleich explodieren. Ich konnte es einfach immer noch nicht begreifen.
„du lebst..."
Sein angedeutetes Nicken war genug, um mich endgültig aus allen Wolken fallen zu lassen. Ich starrte ihn an als hätte ich einen Geist gesehen, doch dieser Geist war aus Fleisch und Blut und so gar nicht tot.

Wie glaubt ihr geht es mit Agnes und Thomas weiter?

Die hier beschriebene Szene wird in mehreren Kapitel erzählt, um sie näher ausführen zu können. Daher auch die unterbuchstaben bei der kapitelzahl.

Über votes und Kommentare würde ich mich wie immer sehr freuen

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