14 | lebensbeweise

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Die Dali Maske bedeckte mein Gesicht und meine auffälligen roten Haare stopfte ich unter die Kapuze des Overalls. Moskau und ich standen oben an der Treppe und beobachteten gebannt das Geschehen unten. Nairobi, Berlin, Tokyo und Rio nahmen Raquel Murillo und meine Mutter in Empfang, die die Lebensbeweise durchführten. Der Professor ordnete direkt bei der Polizei an, dass Alicia mit Raquel mitkommen musste. Ich vermutete, dass sein Stolz wegen des perfekten Plans nicht mit Alicias Triumph wegen Nairobi leben konnte. Diesmal hielten wir sie hin und verschwendeten zwei Stunden ihrer wertvollen Zeit. Der Professor rief zu äußerster Vorsicht auf. Alicia durfte nur Kontakt zu Geiselnehmern haben, deren Identität die Polizei kannte. Wahrscheinlich durften deshalb nur unsere entlarvten Teammitglieder unten herumrennen.

Ich beobachtete Rio und Tokyo dabei, wie sie die beiden Polizistinnen durchsuchten und lachend ein Mikro in Raquels Hose fanden. Dann setzten sich die Polizistinnen links und rechts neben Berlin auf einen Stuhl, bekamen von Nairobi Kaffee geliefert und unterhielten sich miteinander. Ich verstand leider nur Bruchstücke von meinem Platz auf der Empore.

Umso mehr fiel mir das unterschiedliche Verhalten aus. Raquels erster Blick richtete sich nach vorn und sie bewaffnete sich mit Stift und Notizblock. Alicia saß entspannt neben Berlin, schlug die Beine übereinander, kaute auf dem hinteren Teil des Bleistifts herum oder schlürfte genüsslich an ihrem Kaffe - den Raquel nicht einmal anrührte.

Tokyo, Rio und Nairobi führten die Geiseln einzeln vor.
Ausnahmsweise lag aber nicht Nairobi im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit, sondern Alicia. ,,Ich glaube, ich bin ihr egal."

Wegen der Dalí Maske sah ich Moskaus Gesicht leider nicht. ,,Deiner Mutter meinst du? Wie kommst du darauf?"

,,Wir hatten noch nie das engste Verhältnis miteinander, aber sieh sie dir an."
Meine Hand machte eine weitläufige Bewegung nach unten. ,,Man vermisst mich seit einem halben Jahr, aber sie verhält sich, als habe ich nie existiert. Als Polizistin sollte sie mich mit allen Mitteln suchen, oder? Sollte sie nicht wenigstens ansatzweise so aussehen, als ob etwas nicht stimmt?"

Meinen Hang zur Dramatik vererbte sie mir.

In der Banknotendruckerei kam es mir vor, als ob mir niemand zuhörte. Da meine Mutter gegen uns arbeitete, fand ich es nicht schlimm von den anderen, aber Moskau hörte immer zu. Manchmal war er der Vater von allen hier drin. Moskau verstand, dass man sich seine Familie nicht aussuchte. ,,Denk das nicht, Kind. Jeder geht anders mit solchen Sachen um. Du hast nicht mit eigenen Augen gesehen, ob sie gelitten hat. Dein Verschwinden ist ein halbes Jahr her. Auch wenn es schwerfällt, muss man weiterleben. Das bedeutet noch lange nicht, dass du ihr nichts bedeutest."

Alicias Lachen hallte zu uns hoch. Nichts als Schadenfreude und Kälte klang darin mir. ,,Was macht dich so sicher?"

,,Mein Sohn baut viel Mist, musst du wissen. Er gerät oft in Schwierigkeiten, war nie sonderlich erfolgreich oder klug und jetzt sind wir beide hier gelandet. Aber mir käme es nie in den Sinn, dass ich ihn nicht lieben könnte. Ich liebe ihn immer, egal was er tut", erklärte Moskau.

Weil Moskau immer die richtigen Worte fand, gehörte er zu den Menschen, von denen die Welt mehr brauchte. ,,Sie ist so kalt..."

,,Ja, aber darum geht es nicht. Wir alle lieben unsere Kinder. Ich liebe Denver, Nairobi liebt ihren Sohn und deine Mutter liebt dich. Da bin ich sicher. Vielleicht wusste sie nicht, wie sie es dir zeigen soll"

Moskaus Worte berührten meine sensible Seite, aber leider auch die leichtsinnige. Mein Herz schrie nach Taten. Ich musste wissen, ob Alicias kaltes Herz noch einen Platz für mich freihielt.
Den Moment, in welchem ein paar launische Gefühle statt meiner Vernunft die Kontrolle über mich übernahmen, nannte ich den Tokyo Moment. Nie wieder verurteilte ich sie dafür!

Criminal Love [1] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡ ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt