28 | das motorrad

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,,Die Utopie des Zusammenlebens ist gescheitert, Nairobi", Berlin stand auf der obersten Stufe und kam betont langsam die Treppe hinunter. Er genoss den Moment, seinen Moment.

Nairobi stand kurz vor dem Durchdrehen. Mein guter Zuspruch nützte nichts mehr, denn meine Freundin war mit den Nerven am Ende.

,,Ich bin dir dankbar, dass du mich für eine Zeit von meinen Pflichten entbunden hast, aber jetzt sind wir alle bereit, wieder zur alten Ordnung zurückzukehren."
Er nahm betont dramatisch den Verband ab und wartete Nairobis Antwort ab.

,,Alles deins...", murmelte sie gleichgültig und eine Spur erleichtert. Nairobi stürmte die Treppe hinauf und ich hatte keinerlei Interesse Berlins Rede an die Geiseln zu unterstützen, in denen er sie zu vielen Schichten Arbeit ohne Pause verdonnerte. Helsinki brachte falschen Sprengstoff an Arturo an, was die anderen abschrecken sollte - mit Erfolg.

Ich folgte Nairobi in unseren Aufenthaltsraum und setzte mich zu ihr an den Tisch. Sie schenkte ungefragt zwei Drinks ein und schob mir einen zu.

,,Alles gut?", fragte ich, während wir miteinander anstießen und Nairobi ihren in einer beunruhigenden Schnelligkeit leerte.

Überraschenderweise lächelte sie breit und lehnte sich entspannt zurück. ,,Soll Berlin sich drum kümmern, ich komme mit Geld besser zurecht, als mit nervigen Geiseln.

,,Das nenne ich eine gesunde Lebenseinstellung", sagte ich zustimmend. ,,Arturo ist nicht mehr dein Problem."

Probleme gab es trotzdem genug.
Der Professor verpasste den Kontrollanruf, also informierte uns niemand über das aktuelle Vorgehen der Polizei, genau wie Rio immer noch kein Fernsehsignal erwischte. Demnach gab es auch keine Neuigkeiten zu Tokyos Flucht, geschweige denn ob sie den Professor im Hangar erreichte.
Aber hey, wenigstens kamen die Tunnelarbeiten voran.

,,Der Überfall wird bald vorbei sein", griff Nairobi meinen Gedanken auf und schenkte mir einen raschen Seitenblick. ,,Wir haben noch nicht darüber geredet, was wir machen werden."

Dass es langsam ernst wurde, war mir auch aufgefallen. Bald entschied sich über Erfolg oder Niederlage. Letzteres wäre enttäuschend, nachdem wir so viel Arbeit und Herzblut in den Überfall steckten. ,,Zuerst suchen wir Axel. Du verdienst es, bei ihm zu sein."

Zu meiner Überraschung schüttelte Nairobi den Kopf, ihr Gesicht wurde von einem traurigen Lächeln geziert. ,,Ich werde ihn nicht zu mir holen. Tokyo hat Recht, er hat eine Familie und dort geht es ihm gut. Ich kann kein Kind entführen, das mich nicht erkennt."
Eine Träne kullerte über ihre Wange.

Es machte mich traurig, ihre Entscheidung zu hören. Traurig und stolz. ,,Das ist sehr mutig und nobel von dir - aber es ist kein Abschied für immer. Eines Tages, vielleicht in zwei oder drei Jahren, suchen wir ihn. Du erklärst ihm alles und dann fangt ihr von vorn an."
Jetzt wäre es sowieso zu gefährlich, Axel aufzusuchen. Sie kannten Nairobis wahre Identität.

Nairobi strich sich die Träne aus dem Augenwinkel und schenkte ihren Shot nach. ,,Ich bin völlig planlos. Ich weiß nicht, was ich nach dem Überfall machen will."

,,Wir fahren ans Meer, kaufen uns einen Jetski und rasen durch die Wellen", schlug ich vor. ,,Und abends tanzen wir, bis uns die Beine wehtun."

,,... oder surfen...", überlegte Nairobi laut. Wie erwartet brauchte es nur einen kleinen Anreiz, bis sie die Sache mit Axel ein wenig verdrängte und Platz für neue Ideen schuf. Sofort war sie Feuer und Flamme für mindestens die Hälfte ihrer Ideen. Nairobi wollte aus Spaß für die Menschen am Straßenrand singen, ein Haus am Strand kaufen, im Keller im Geld baden und ein zweites Kind bekommen.
Über Letzteres versuchte ich nicht zu viel nachzudenken, denn ich fühlte mich alles andere als bereit, ein Kind großzuziehen. Nairobi war ein paar Jahre älter als ich und hatte diesbezüglich schon Erfahrung gesammelt, während ich kurz vor der Zeit in Toledo immer noch Mamá anrief, um zu fragen, auf wie viel Grad ich die Waschmaschine einstellen musste, um meine dreckigen Schuhe sauber zu bekommen.
So viel zum Thema Selbstständigkeit.

Criminal Love [1] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡ ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt