26 | ein öffentliches statement

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,,Als wir uns unserer Niederlage bewusst wurden, bin ich ausgerastet", begann ich zu sprechen, meine allerletzten Zweifel wegschiebend. Wohl wissend, dass ganz Spanien mir gerade zusah, sah ich erhobenen Hauptes in die Kamera und fühlte mich innerlich schlimmer als vor einem Referat in der Schule. Ich hasste es immer abgrundtief mich vor die Klasse zu stellen und etwas vorzutragen.

Ich schluckte schwer und stückelte die Worte in meinem Kopf aneinander. Egal wie ich es formulierte, es klang furchtbar!
Jetzt wusste ich, warum wir Berlin als Schauspieler wählten.

Bevor es in eine peinliche Blamage überging, vergaß ich alle Formulierungen, die mich sowieso nur durcheinanderbrachten und hoffte auf meine unzuverlässige Spontanität.

,,Ich habe den Glauben in den Plan verloren, den Glauben in unseren Erfolg und den Glauben an mich selbst. Ich habe vergessen zu denken und dadurch sind Fehler passiert."
Ich holte tief Luft. Einzig Berlins zustimmendes Nicken verriet mir, dass ich weiterreden sollte. ,,Zuerst habe ich geglaubt, bei diesem irrsinnigen Plan mitzumachen sei ein Fehler gewesen. Was kann ich, ein junges Mädchen ohne kriminelle Erfahrung schon ausrichten? Ich habe mich getäuscht. Der einzige Fehler war hier mitzumachen ohne zu wissen wer ich bin."

Bei jedem Wort kehrte Sicherheit zurück. Meine Aufregung flachte langsam ab, meine Stimme zitterte nur noch ein kleines bisschen.

,,Jetzt wissen Sie, wer Sie sind?", fragte die Reporterin neugierig und hielt mir das Mikro hin. Ich nickte. ,,Ja, aber das ist nicht allein mein Verdienst."

Meine Augen huschten zu Nairobi, deren Gesicht von der Dalí Maske verdeckt wurde. Trotzdem sah sie mich an, das wusste ich.

Was ich hier tat war eine sehr einfache Masche. Neben Oslos Verlust konfrontierte ich die Menschen mit anderen Themen, die uns Bankräuber menschlich erscheinen ließen. Das brauchten wir - nicht als schlechte Menschen angesehen werden. Das jedenfalls redete ich mir ein. In Wirklichkeit hoffte ich, Nairobis Ansehen durch ein öffentliches Statement zurückzugewinnen.

,,Gegen mich gibt es viele Vorurteile. Mein eigenes Team zog die Möglichkeit in Betracht, ich sei ein Spitzel der Polizei. Wahrscheinlich denken das auch viele andere. Warum eigentlich? Weil meine Mutter Polizistin ist? Seit wann lassen lassen Menschen über ihre Verwandten definieren? Ich kann nur sagen, dass ich mein vollstes Vertrauen in den Plan zurückgewonnen habe. Zu verdanken habe ich es der einzigen Person, die immer an mich geglaubt hat."

Jetzt kam der Teil, der unter Umständen sehr peinlich für mich ausgehen konnte. Egal. Die Öffentlichkeit liebte tragische Liebesgeschichten. Ich würde das jetzt durchziehen. ,,Du hast mich nach Zeit gebeten, aber die kann - und werde ich dir nicht geben. Sieh dir Oslo an. Er hat keine Zeit mehr alles in seinem Leben zu erreichen, was er sich vorgenommen hat. Morgen könnten wir die nächsten sein. Ich bitte nicht um deine Vergebung für alles was ich dir angetan habe, ich bitte dich um eine zweite Chance. Um eine Chance, die ich besser nutzen werde als die erste."

Die Reporterin nahm das Mikro wieder an sich. Ich musste ihr immerhin lassen, dass sie ihre Sache toll machte. Es erforderte Mut in eine Geiselnahme zu spazieren und ein Interview mit einem Haufen Krimineller durchzuführen. ,,Wer ist der glückliche?"

Ich setzte zu einer Rede über Homosexualität an, - ja, ich schweifte vom Thema ab! - weil ich Sprüche wie 'such dir einen Freund' seit Jahren hasste. Wieso erwarteten die Menschen immer einen Mann an meiner Seite? Ich steigerte mich definitiv zu viel in diese Sache hinein und war ganz froh darüber, dass meine Rede nie stattfinden würde.

Nairobi streifte sich die Maske vom Kopf, gerade als ich das klarstellen wollte. Sofort zog sie sämtliche Aufmerksamkeit auf sich. Ganz Spanien kannte ihr Gesicht, aber es war immer noch etwas anderes, die betreffenden Personen live auf dem Bildschirm zu sehen, anstatt den Inhalt ihrer Polizeiakte im Fernsehen heruntergerattert zu bekommen.

,,Ich hoffe du meinst mich", sagte sie ernst, schenkte der Kamera nur einen flüchtigen Seitenblick und streckte auffordernd ihre Hand aus.

,,Wen sonst? Berlin etwa?", fragte ich amüsiert und blickte kurz auf unseren (momentan nicht) Anführer, der selbst im Hintergrund eine gute Figur machte und seine Schauspielerei weiter aufrecht erhielt.

Selbst Nairobi lachte. Bedeutete das, dass sie mich nicht zu einer öffentlichen Blamage werden ließ als Rache? Ich meine, sie könnte mir jetzt einen Korb geben und den perfekten Anreiz geben, mir meine Worte wegen Axel heimzuzahlen.

,,Was sagst du?", fragte ich, weil sie nicht von selbst antwortete. Gespannt sah ich sie an, mein Herz klopfte wild in meiner Brust.

Nairobi sagte nichts.
Stattdessen beugte sie sich zu mir nach unten und presste ihre Lippen auf meine. In den ersten Sekunden war ich vollkommen überwältigt und versuchte für die Kamera ein gutes Bild zu machen, aber wen interessierte das schon? Ich erwiderte den Kuss, ließ mich darauf ein und genoss Nairobis Nähe. Sie küsste so verdammt gut, dass ich kaum genug davon bekam. Ich merkte, wie sehr ich sie vermisste, wie sehr ich mir diesen Kuss und eine zweite Chance wünschte. Ich wollte mein Leben nach dem Überfall nur mit ihr verbringen!

Nairobi erweckte mich wieder zum Leben. Vielleicht hatte ich deshalb den Glauben in den Plan verloren gehabt. Durch sie entdeckte ich meine Freude für das Adrenalin, die Gefahr, den verdammten Spaß, den wir beim Geld drucken hatten.

Ich würde das nie wieder vermasseln!
Nie wieder!

Atemlos lösten wir uns voneinander, als uns die Kameras wieder einfielen. Berlins Rede, ein tragisches Liebespaar... wenn das die Zuschauerquoten und Protestanten vor der Banknotendruckerei nicht verdoppelte, wusste ich auch nicht weiter.

Ich hatte von Anfang an gewusst, wie genial Plan Kamerun war.

● ● ●

Etwa zwei Stunden später telefonierte Nairobi mit dem Professor, solange ich uns zwei Shots einschenkte um den kleinen Sieg zu feiern.

Was er berichtete entsprach genau unseren Erwartungen. Die Öffentlichkeit stand völlig hinter uns. Berlins Deformierung lief in allen Sendern und stellte die Polizei natürlich als kaltherzige Lügner dar. Das Kussfoto von Nairobi und mir kursierten ebenfalls überall. Trotz des Beziehungsverbots gab sogar der Professor zu, dass es ausnahmsweise mit dem Plan einherging.

Der einzige kleine Sorgenpunkt: Angeblich wachte Angel Rubio aus seinem Koma auf.  Daraufhin wollte der Professor mit Berlin sprechen. Nairobi und ich kam das gelegen. Wir ließen uns in ihrem Büro nieder, sahen voller Freude auf den neusten Kontostand und genossen die gemeinsame Zeit miteinander.

Die "gemeinsame Zeit" bestand aber nicht aus Arbeit. Dafür müssten wir immerhin die Finger voneinander lassen und das stand gerade nicht zur Debatte. Nicht, wenn wir uns nach vielen ätzenden Stunden wieder versöhnten.

Diesmal unterbrach uns niemand. Weder Berlin, noch ein anderes Teammitglied.

Einst erklärte der Professor uns eine der wichtigsten Regeln: Verlieb dich nie während eines Überfalls.

Jetzt vertrat ich die feste Überzeugung, dass es keine bessere Zeit dafür gab.


Criminal Love [1] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡ ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt