Schon ein einzelner Schuss löste bei den meisten Menschen Panik aus, ebenso wie maskierte Bankräuber Angst machten. Beides zusammen verursachten ein von Panik getränkes Durcheinander in der spanischen Banknotendruckerei.
Die Dali Maske verdeckte auch mein Gesicht. In meiner Hand lag meine M16 und erinnerte mich in jeder Sekunde daran, was ich hier machte. Ich ruinierte (eventuell) mein Leben und riskierte mehrere Jahre Gefängnis für eine große Menge an Geld.
Es gab nur zwei Optionen: Gewinnen oder Verlieren.
Das wusste ich, als ich mich dem Professor anschloss. Da mir das Gewinnen aber zufällig gut lag, nahm ich nichts anderes in Kauf.
So erzog mich meine Mutter: ehrgeizig und selbstbewusst. Aufgeben kam für sie überhaupt nicht in Frage.
Nur eines unterschied mich von meinen Komplizen. Ich bin die einzige im Team, die noch keine einzige Vorstrafe vorweisen konnte. Jetzt wo die Aufregung und das Adrenalin aber durch meine Adern rauschte merkte ich, was ich all die Jahre verpasste.
Ich raubte keine Tankstellen aus oder zettelte Schlägereien an wie Denver.
Ich stahl auch nicht die wertvollen Diamanten eines hochwertigen Juweliers wie unser Anführer Berlin.
Ich fälschte kein Geld oder vertickte Drogen wie Nairobi.
Und vor allem riskierte ich mein Leben nicht in hirnrissigen und undurchdachten Überfällen wie Tokyo.
Jetzt risikierte ich mein Leben stattdessen in einem sehr sorgfältig geplanten Überfall und zielte mit einer Waffe auf 67 Angestellte, Sicherheitsmänner und sogar auf eine Schulklasse. Wie es überhaupt dazu kam, erzähle ich ein anderes Mal.
Es wäre gelogen zu behaupten, dass mir in den letzten sechs Monaten niemals Zweifel kamen. Verständlicherweise gab es viele davon. Allerdings bin ich eine Person, die beendet was sie anfängt. Ich habe ein Ziel vor Augen und fokussiere mich darauf. Entschlossenheit gehörte zu meinen Stärken.
Endlich kehrte Ruhe in der Banknotendruckerei ein. All die Menschem versammelten sich nun unten an der Treppe, wo es genug Platz für alle gab. Das Geschrei und die Panik der Geiseln reduzierten sich auf ein Minimum und ihnen allen hatten wir Masken aufgesetzt und die Handys abgenommen. Der komplizierte Teil wäre damit endlich geschafft... der komplizierte Teil die Geiseln unter Kontrolle zu bringen jedenfalls.
In der Zwischenzeit begrüßte Berlin die Menschen mit einer 'freundlichen Ansprache'. Vermutlich hielten unsere Geiseln ihn jetzt für einen Psychopathen, was ich ihnen gewiss nicht verübelte. Berlin strahlte Autorität und Respekt aus und Reden konnte der Mann auch noch wie ein Meister. Solche Menschen würden es schaffen, sich mit ihrer Schauspielkunst aus der Hölle zu reden. Es machte Sinn, dass der Professor ihn zum Anführer ernannte.
Da die Geiseln nichts sahen, schob ich meine Dali Maske nach oben und atmete tief durch. Die ganze Situation kam mir surreal vor. Es glich einem Abenteuer, einem Traum, aber gewiss nicht der Realität.
,,Alles in Ordnung?" fragte Nairobi flüsternd. Sie stand links neben mir, die Maske saß auf ihrem Kopf und ein paar schwarze Strähnen ragten aus ihrer Kapuze hervor. Ihre Augenbrauen hoben sich besorgt.
Nairobi und ich waren schon seit der ersten Sekunde auf derselben Wellenlänge. Dank meiner Mutter erschien beim Wort "kriminell" sofort ein Bild im Kopf, das dem von Denver oder Tokyo erstaunlich ähnelte. Nairobi dagegen war definitiv verrückt, manchmal schon übertrieben optimistisch, temperamentvoll aber hatte ein großes Herz. Es ist unmöglich, sie nicht zu mögen.
,,Hältst du mich für verrückt wenn ich sage, dass es Spaß macht?", wollte ich mit einem leichten Grinsen wissen.
Nairobi zuckte die Schultern und erwiderte mein Grinsen. Ihr machte das offenbar ganz besonders viel Spaß. ,,Man muss verrückt sein, um hier einzubrechen, Liebes. Ich wäre enttäuscht, wenn du es nicht wärst."
Mein Mund öffnete sich zu einer Antwort, doch da kehrten Tokyo, Denver, Rio und Moskau mit gefüllten Geldtaschen zurück. Rio drückte mir seine Tasche in die Hand und rannte zur Tür, wo er den Alarm auslöste. Die Geiseln zuckten sofort zusammen und Unruhe entstand. Moskau drückte Nairobi seine Tasche in die Hand. Schnell rannten wir hinter Tokyo her und positionierten uns an der Tür.
Mit Tokyo schaffte ich es nie, warmzuwerden. Sie erinnerte mich an eine tickende Zeitbombe, die jederzeit neben uns explodieren konnte. Ihr Leben lebte sie rücksichtslos, impulsiv, egoistisch und die Geschichte mit ihrem Freund bestätigte meine Einschätzung nur. Dieses Mädchen zog Chaos und Zerstörung magisch an. Ich wusste wirklich nicht, wieso der Professor ihr eine verdammte M16 in die Hand drückte.
Links neben mir stand Rio, der jüngste der Gruppe. Manchmal wirkte er so jung, dass er meinen Beschützerinstinkt weckte.
,,Wie lange noch?" Berlins Stimme riss mich wieder in die Realität. Fest umklammerte ich die Tasche mit dem Geld und tauschte einen Blick mit Nairobi. Bekräftigend nickte sie mir zu. Wieder zeigte sich ihr Optimismus. Das beruhigte auch mich.
,,Eine Minute!", ertönte Rios Stimme.
Ich atmete tief durch. Den Plan wiederholten wir so oft, dass die Stimme des Professors wie ein beruhigendes Mantra in meinem Kopf erklang. Rausrennen, in die Luft schießen und wieder reingehen.
,,Jetzt! Na los!", durchschnitt Tokyos Stimme meine Konzentration. Konnte diese Frau nicht auf das Kommando warten?
,,Zu früh, Tokyo!", brüllte Rio ihr hinterher. Verdammt. Anweisungen befolgen gehörte nicht zu ihren Stärken.
Schnell setzten Nairobi und ich unsere Masken auf und eilten ihr hinterher, bevor sie die Gelegenheit bekam, alles zu ruinieren. Draußen erwarteten uns Schüsse. Viele Schüsse.
Nairobi umgriff meinen Arm und zog mich hinter eine schützende Steinsäule, die zum Gebäude gehörten und Deckung boten. Die Geldtaschen warfen wir achtlos die Treppe runter.
Tokyo stand mitten im Schussfeld - wie immer an vorderster Front. Sirenen ertönten und zahlreiche Schüsse prallten am Stein vor und neben uns ab.,,Schieß!" Nairobis Stimme gab mir Mut. Entschlossen richtete ich meine Waffe zielte grob und schoss in die Luft.
Plötzlich hörte ich Tokyo Rios Namen brüllen. Oh nein. Selbst durch die Maske hindurch erkannte ich Nairobis vor Schreck geweitete Augen. Daraufhin verlor Tokyo die Kontrolle. Wie eine Irre begann sie zu schießen. Eine Kugel nach der anderen prallte am Polizeiauto ab und als der erste Cop blutend zu Boden ging wusste ich, dass ihre Impulsivität unseren ganzen Plan versauen würde.
,,Hör auf!", brüllten Nairobi und ich gleichermaßen, schossen weiterhin in die Luft und wagten uns aus der Deckung. Die ganze Zeit über hatte ich ernsthafte Angst von einer Kugel getroffen zu werden. Ohne uns abzusprechen wussten wir, was zu tun war. Wir griffen jeweils einen Arm von Rio, feuerten weiterhin ziellos Kugeln ab und zogen ihn eilig ins Innere der Druckerei. Dabei beobachtete ich, wie Tokyo auch die anderen Polizisten traf.
,,Komm sofort rein, Tokyo oder ich bring dich eigenhändig um!", schrie Nairobi sie an.
Wenigstens das zeigte Wirkung. Tokyo hörte erst auf zu schießen, als sie sich im Inneren der Druckerei befand, die Türen sich schlossen und uns von der Außenwelt abschotteten. Eilig riss sie sich die Maske vom Kopf und untersuchte Rio, der wohl nur einen harmlosen Schuss auf seine Weste abbekommen hatte.
Ich kochte vor Wut, mein Herz klopfte immer noch rasend schnell und weil ich einfach erleichtert war, dass auf unserer Seite nichts schlimmeres passierte, zog ich Nairobi in eine Umarmung und atmete mehrmals tief durch.
Meine erste kriminelle Erfahrung hätte wirklich besser beginnen können...
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Criminal Love [1] ˡᵃ ᶜᵃˢᵃ ᵈᵉ ᵖᵃᵖᵉˡ ✔
Hayran KurguSTAFFEL 1 & 2 TEIL 1 NAIROBI X SYDNEY Ihr Leben lang stand Maddie im Schatten ihrer Mutter, Alicia Sierra. Doch damit ist entgültig Schluss, als sie sich plötzlich im größten Raubüberfall der Geschichte wiederfindet und sich nur noch »Sydney« nennt...