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,,Hey," winkte Adina mir zu, als ich die schweren Türen des Schulgebäudes aufstieß. Sie stützte sich von ihrem Auto ab und kam auf mich zu. Sofort zog ich sie in eine lange Umarmung.

,,Hey, Dina," hauchte ich ihr ins Ohr, beobachtete, wie sich eine Gänsehaut auf ihrem Körper bildete. Ich hatte sie so vermisst.

Nachdem wir bei ihr zu Hause angekommen waren, legten wir uns auf ihr Bett und packten unsere Bibeln aus. Wir würden zusammen Bibellesen und beten, das war unsere Routine und es war immer schön. Auch wenn unsere Kirche uns nicht unterstützte, wussten wir beide, dass Gott es tat. Das war nicht immer einfach und doch gab es mir Hoffnung, an Gott festzuhalten, selbst wenn alles dagegen sprach. Ich strich über das goldene Emblem, das das alte Buch in meinen Händen verzierte. Die Seiten waren an manchen Stellen vergilbt und der Buchrücken hatte viele Einkerbungen. Meine Eltern hatten mir die Bibel vor ein paar Jahren zur Taufe geschenkt. Bei uns war es nicht üblich, schon als Baby getauft zu werden. Stattdessen wurde man getauft, wenn man bereit dazu war und sein Glaubensbekenntnis selbst formulieren konnte. Es war eine sehr persönliche Entscheidung, die ich damals traf und, trotz meiner Zweifel, nicht bereute.

,,Wollen wir mit einem Gebet starten?", fragte ich und nahm Adinas Hand in meine. Sanft strich ich darüber. Ich liebte ihre Hände, sie waren so weich.

Meine Freundin nickte und wusste sofort, dass sie anfangen sollte. Als ihre Stimme ertönte, schloss ich entspannt meine Augen. ,,Lieber Gott, wir kommen heute zu dir, weil wir dich lieben. Wir wollen dein Wort lesen und befolgen und dich immer wieder aufs Neue besser kennenlernen. Bitte schenk uns die Kraft, auch weiterhin an dir festzuhalten, egal, was passiert. Bitte sei heute hier bei uns und lass uns deine unendliche Liebe spüren. Amen."

Ein paar Sekunden wartete ich, bevor meinen Lippen schließlich ein leises Amen entwich. Adinas Worte sorgten für ein wohliges Gefühl in meiner Brust. Ich liebte es, ihren Gebeten zu lauschen. Man hörte ihre Begeisterung und ihren tiefen Glauben. Sie vertraute auf Gott. Vertraute, dass Gott für uns da war. Ich hatte seit unserer Beziehung schon oft an meinem Glauben gezweifelt, doch Adina gab mir immer wieder das Gefühl, wir könnten das alles schaffen. Ohne sie, hätte ich schon längst die Hoffnung aufgegeben. Doch mit ihr und Gott an meiner Seite - dem war ich mir gewiss - konnte ich alles durchstehen.

Wir begannen gemeinsam ein paar Verse im Markusevangelium zu lesen. Darüber, wie Simon und sein Bruder Andreas alles hinter sich ließen und ihren Job als Fischer hinschmissen, nur weil Jesus ihnen erschien.
,,Ich finde es beeindruckend, wie die Menschen damals geglaubt haben. Sie haben alles für Jesus aufgegeben und sind ihm einfach nachgefolgt, nur weil er sie drum gebeten hat."

Ich dachte etwas über ihre Worte nach, sie hatte Recht, es war beeindruckend. ,,Erinnert mich an deine Eltern," lächelte ich ehrlich. Trotz unserer Differenzen wusste ich wie sehr Herr und Frau Smiths ihren Glauben liebten. Sie verfolgten ihn strikt, manchmal vielleicht etwas zu strikt, aber sie taten dies, weil sie alles richtig machen wollten. Weil sie Gott nicht enttäuschen wollten. Sie wurden so erzogen, aber es war viel mehr als das. Sie glaubten wirklich daran, setzten ihre volle Hoffnung auf Gott.

,,Ja," begann Adina, blickte nachdenklich an die Decke, ,,du hast Recht. Sie sind zwar schwierig und viel zu streng, aber sie machen das alles nur, weil sie Gott treu sein wollen."

Nach ein paar Minuten, indenen wir beide unseren Gedanken nachhingen, fügte sie, allerdings mit einem schärferen Ton, hinzu: ,,Das ist trotzdem keine Entschuldigung dafür, Menschen zu diskriminieren und ihren Hass mit der Bibel zu begründen. Gott ist vollkommene Liebe und meine Eltern wollen das nicht einsehen. Das ist nicht Gottes Schuld oder Verantwortung." Sie löste ihre Hand aus meiner und ballte sie zu einer Faust, während sich eine Zornesfalte auf ihrer Stirn bildete. Ich sah ihr an, wie sehr ihre Eltern und deren strengen Überzeugungen sie belasteten. Es war schwer unter einem Dach mit Menschen zu leben, die einen niemals akzeptieren würden.

,,Hey," ich griff erneut nach Dinas Hand, ,,ich verstehe dich. Du bist nicht allein."
Diese kleinen Worte reichten schon um sie etwas zu beruhigen. Adina lächelte mich leicht an, während sie über meinen Handrücken strich.

Hör nicht auf zu liebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt