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Ich hatte Adina seit Sonntag nicht mehr gesehen. Mittlerweile war Donnerstag und ich auf dem Weg zur Jugend. Mein Alltag haftete immernoch schwer auf meinen Schultern und die Distanz zwischen Adina und mir trug nicht gerade zur Erleichterung bei. Wir hatten uns gestritten. Nachdem ich den Montag zu Hause verbracht hatte, hatte ich ihr geschrieben, wie es ihr ging und, was genau passiert war. Adina war wütend gewesen. Nicht auf mich, sondern auf ihre Eltern. Sie hatten auf sie gewartet und ihr eine Standpauke gehalten, von wegen, was sie sich denn einbilde, so spät nach Hause zu kommen und das auch noch mit einer Fahne. Sie verboten ihr nun jeglichen Kontakt zur Außenwelt, damit sie sich endlich auf ihr Studium konzentriere. Als ich ihr gegenüber auch noch meine Zweifel äußerte, lief das Fass endgültig über.
Adina stellte mich vor ein Ultimatum: entweder wir würden uns vor unseren Eltern outen oder sie konnte das nicht mehr. Es war das erste Mal, dass eine von uns von einer Trennung sprach. Ich war wie gelähmt vor Angst. Angst, Adina zu verlieren. Doch was sollte ich tun? Ich verstand sie ja, das ständige Lügen und die Geheimniskrämerei waren unerträglich. Natürlich würde ich am liebsten der ganzen Welt erzählen, was ich für diese wundervolle Frau empfand. Dass ich sie liebte und heiraten wollte. Zumindest vor Rahel und Yannes ehrlich sein. Vor meiner Familie. Den Menschen, die mir etwas bedeuteten.
Doch ich konnte nicht. Vielleicht war ich zu feige, vielleicht eine Idiotin, aber ich hatte Adina gesagt, dass ich mich nicht outen würde. Nicht in naher Zukunft. Vielleicht auch nie.
Das war in eine riesige Diskussion ausgeartet, über meine Liebe zu ihr und darüber, ob diese stark genug war, für uns einzustehen. Doch ich konnte das einfach nicht beantworten. Ich fand es nicht fair von Adina, mir das vorzuwerfen, auch wenn ich sie verstand. Ich steckte ja selbst in ihren Schuhen, wusste wie grausam sie sich fühlte. Doch war es das wert, alles, was wir hatten aufzugeben? Wofür?

Für die Freiheit.
Das hatte Adina geantwortet.

Natürlich wäre es atemberaubend, endlich frei zu sein. Der Moment in der Bar, als alle uns akzeptiert hatten, war ein Moment voll Frieden gewesen.
Doch war die Freiheit es wert, alles für sie zu riskieren? Selbst, wenn man sie am Ende gar nicht bekam?

Ich seufzte, als die automatische Ansage des Busses meine Station ankündigte. Ein letzter Blick ins Fenster, indem sich meine trostlosen Augen spiegelten, ließen mich dann doch den Weg zum Ausgang antreten. In der Gemeinde würde ich heute alleine sein. Wenigstens waren Yannes und die, mittlerweile wieder gesunde, Rahel da. Ohne sie würde ich heute nicht ertragen.
Meine schweren Schritte trugen mich in den zweiten Stock, meine Nase vernahm wieder einmal den Zimtgeruch, den ich heute tiefer einatmete als sonst und meine Anspannung löste sich langsam. Ich atmete tief durch. Es würde gut werden. Wir würden heute über nichts problematisches sprechen und ich würde einfach die Zeit mit Yannes und Rahel genießen können. Das waren meine Gedanken, mein Stoßgebet, bevor ich endlich die Eingangstür aufstemmte.
Nach einer Begrüßung und langweiligem Smalltalk setzten wir uns alle auf die bekannten schwarzen Klappstühle. Yannes ließ sich zu meiner Rechten nieder, während Rahel sich zu einer ihrer Freundinnen aus der Schule setzte. Der Platz links neben mir, Adinas Platz, blieb frei. Ich spürte ihre Leere und doch musste ich mich jetzt zusammenreißen.
,,Manchmal bin ich wütend auf Gott", leitete Neele ihre Predigt ein, ,,Manchmal kann ich ihn nicht verstehen, seine Wege nicht sehen, meine Bestimmung in dem Ganzen nicht akzeptieren. Manchmal fühle ich mich trostlos und wütend. Ja, manchmal zweifle ich sogar an allem, was ich glaube. Wisst ihr was ich in solchen Momenten tue? Ich halte mich an Hiob, der für mich ein großes Vorbild ist. Hiob war ein Mann der alles verloren hatte. Seine Frau, seine Kindern und all seinen Besitz. Zuvor war er ein sehr gottesfürchtiger Mann, doch als ihn all diese Schicksalsschläge überrollten, wurde er wütend. Er klagte Gott an. Er fragte, genau so wie Jesus am Kreuz: 'Mein Gott, warum hast du mich verlassen?'." Neele stockte kurz, ließ uns ein paar Minuten Zeit, ihre Worte zu verarbeiten. Und ich musste sagen, sie trafen mich direkt ins Herz. Als würde sie all meine Zweifel und all meinen Kummer kennen. Als Neele wieder fortfuhr, konnte ich nicht anders, als an ihren Lippen zu hängen: ,,Und wisst ihr was? Das ist sein gutes Recht gewesen. Hiob musste sich nicht verstellen oder verbergen, wie es ihm geht. Er konnte ganz ehrlich und mit all seiner Wut vor Gott treten. Gott anklagen. Und das dürft ihr auch. Seid offen im Gespräch mit Gott. Ihr führt eine Beziehung mit ihm. Da ist kein Platz für Peinlichkeit, halbe Wahrheiten oder Scham. Gott sieht dich. So, wie du bist. Und er-"

Plötzlich fiel die schwere Eingangstür ins Schloss, weswegen sich alle umdrehten.
Vor uns stand eine junge Frau, vielleicht 19 Jahre alt. Sie lächelte, aber nicht beschämt, sondern souverän. ,,Huch, sorry, im Internet stand, dass der Gottesdienst um 20 Uhr anfängt," meinte sie. Ihre Stimme klang lässig, nicht so, als würden sie gerade im Mittelpunkt des Raumes stehen. Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass es bereits ein paar Minuten nach acht war. Ich schmunzelte. So jemanden, wie sie, hatte ich noch nie gesehen. Ihr war es egal, wer sie komisch ansah. Das bemerkte man schon an ihrem lockeren Style, der aus einer Baggyhose und einem Pulli bestand. Ihre kurzen Haare, die kurz über ihren Ohren endeten, und das spitzbübige Grinsen rundeten das Bild ab.
,,Kein Problem, such dir einfach einen Platz," lächelte Neele freundlich. Ich war mir sicher, sie ärgerte sich im Inneren darüber, dass ihre Predigt unterbrochen wurde. Ich ärgerte mich auch. Doch das charmante Lächeln der Neuen brachte uns alle dazu, ihre Unpünktlichkeit zu vergessen. Oder zumindest mich. Ich deutete auf den freien Platz neben mir, was die junge Schönheit sofort grinsend auf mich zugehen ließ. ,,Hey, ich bin Luca," stellte sie sich vor, reichte mir ihre Hand, die ich nur zu gerne entgegen nahm.

~•~

Zwischen Adina und Malou kriselt's ordentlich. Ob die beiden das wieder hinkriegen? Was meint ihr? :)

Und was wird die Neue wohl für eine Rolle spielen?

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