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Ich wurde von einem leichten Gewicht auf meiner Brust wach, darauf folgte tiefes Schnurren. Sogleich fragte ich mich, wo sich der kleine Ausreißer, Mio, herumgetrieben hatte. Ich liebte Katzen, sie waren wahre Freigeister, blieben teils tagelang weg, nur um dann wieder zu kommen, wenn sie es wollten. Wenn sie hungrig waren oder müde oder nass. Jetzt gerade entschloss Mio mit mir kuscheln zu wollen. An anderen Tagen konnte ich nicht einmal seine Schwanzspitze erwischen, so schnell flüchtete er vor meinen Versuchen, ihn zu streicheln. Ich liebte, wie unbeschwert sich der warme Körper auf meiner Brust ausbreitete, gähnte, schnurrte und dabei versuchte jeden noch so kleinen Sonnenstrahl mit seinem
braungefleckten Fell aufzunehmen. So könnte ich für immer liegen bleiben. Keine Gemeinde, keine Schule, keine Eltern, keine Sorgen. Keine Adina. War es das, was ich wollte? Adinas Abwesenheit in meinem Leben würde das Versteckspiel beenden, meine Probleme lösen. Doch dieses Gefühl in mir, das Gefühl, das in meinen Venen saß, jeden einzelnen meiner Muskeln abging, bis es schließlich inform einer schweren, untragbaren Last auf meinem Herzen weilte. Dieses Gefühl, wenn ich Adina lachen sah, wenn ich sie küsste und dabei fast explodierte. Dieses Gefühl, das würde niemals enden. Ich konnte nicht ändern, wer ich war. Ich wollte es, schon viel zu oft. Aber ich konnte nicht. Es war mir angeboren, meine Gefühle für Adina, für Mädchen. Nichts, was ich beeinflussen konnte. Diese Erkenntnis schmerzte, doch so war das Leben. Ich hatte mich damit abzufinden. 

Seufzend schob ich den Kater von mir herunter, setzte mich im Bett auf. Heute würde das Fest nach dem Gottesdienst stattfinden. Während andere einfach nur Spaß beim Essen und Schwätzen haben konnten, wusste ich genau, was meine Eltern von mir erwarteten. Vollkommene Perfektion. Die Feste in der Gemeinde waren nur ein weiterer Anlass, um unser Bild als Familie zu festigen. Dass wir gute christliche Werte vertraten und glücklich dabei waren. Die Wahrheit interessierte nicht, Hauptsache wir wahrten alle den Schein und niemand tanzte aus der Reihe. Ich stützte mich vom Bett ab und schwang mich auf den Boden. Das plötzliche Stehen ließ mich kurz Sterne sehen, dann ging es wieder. Ich sollte mehr trinken.
Nachdem ich mir mein schönstes Herbstkleid angezogen hatte, ein schwarzes geblümtes mit weiten langen Ärmeln, das mir locker bis zum Knie fiel, machte ich mich auch schon auf den Weg nach unten, wo meine Eltern bereits auf mich warteten. Wie immer ging es stressig zu, wir keiften uns ein paar Mal an, bis wir schließlich alle im Auto saßen. ,,Adina bringt den Kuchen mit?" Auch, wenn sie es wie eine Frage klingen ließ, war es mehr eine Feststellung. Trotzdem nickte ich meiner Mutter zu. Ich dachte damit wäre das Gespräch beendet, lehnte mich schon entspannt in den gemütlichen Ledersitz unseres Autos, doch sie war noch nicht fertig. ,,Denk daran, was Herr Smiths mit dir besprochen hat. Es ist eine Ehre, dass du anderen als Vorbild gilst. Verhalte dich auch so." Es war eine klare Warnung. Verhalte dich auch so, sonst wirst du die Konsequenzen spüren. Und die Konsequenzen, wenn man meine Mutter blamierte, waren nichts, was ich erleben wollte. ,,Ja, Mama," brachte ich nur knapp heraus. Manchmal wünschte ich, unsere Gespräche würden aus mehr als ihren Erwartungen an mich bestehen. Wenn ich andere mit ihren Müttern umgehen sah, wurde mein Herz schwer. Ich hatte keine Beziehung zu dieser Frau und doch fiel es mir so schwer, mich von ihr zu lösen. War das familiäre Liebe? Oder verengte sich nur die Schlinge, die meine Mutter um meinen Hals gelegt hatte, sodass ich gefangen war?

Als wir endlich bei der Kirche ausstiegen, machte ich mich sofort auf die Suche nach Rahel und Yannes. Die beiden konnten mich immer aufheitern, wenn es gerade angespannt zu Hause war. ,,Malou!", hörte ich auch schon eine männliche Stimme nach mir rufen. Grinsend drehte ich mich um und, ehe ich mich versah, spürte ich starke Arme um mich. ,,Hey, Yannes," lächelte ich. Er schien an meiner Tonlage zu spüren, dass mir etwas auf dem Herzen lag, da er unsere Umarmung etwas vertiefte. Ich fühlte mich wohl in seinen Armen. Sie schirmten mich ab, hatten die Kraft, mich vor allem zu beschützen. Als wir uns viel zu schnell wieder voneinander lösten, nahm er mein Gesicht in seine Hände und musterte mich prüfend. ,,Was ist los?" Ich seufzte, löste mich aus seinem Griff. Hier konnte ich nicht mit ihm reden. ,,Wo ist Rahel?", wechselte ich daher das Thema, sah mich nach ihr um. Nun seufzte Yannes, er bemerkte, dass er jetzt nichts aus mir herauskriegen würde. ,,Meine liebes Schwesterherz liegt mit einem Magendarmvirus im Bett."
Ich verzog sofort das Gesicht und ließ ihr eine gute Besserung ausrichten. Die Arme.

Hör nicht auf zu liebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt