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Es war ein Donnerstag. Einer der vielen wundervollen Tage der Woche, an denen ich Adina sehen würde. Ich hatte kurzerhand beschlossen, dass ich nicht bis zur Jugend heute Abend warten konnte. Ich musste sie jetzt sehen. Anstatt zu Kunst zu gehen, radelte ich, so schnell ich konnte, durch den plätschernen Regen, der alles um mich herum in trübes Grau gefärbt hatte. Kein Sonnenstrahl war zu sehen, keine Seele zu hören. Nur ab und an ein paar vereinzelte Autos, die sich auf den grauen endloswirkenden Straßen verirrt hatten. Gleich, gleich würde ich sie sehen. Meine Füße beschleunigten wie von selbst, gaben das schnelle Tempo an. Der Wind sauste durch meine dicke Daunenjacke hindurch und ließ mich erschaudern. Ich schmiss mein Fahrrad in den Fahrradständer und ohne es anzuschließen, betrat ich hektischen Schrittes das kleine Café, indem Adina arbeitete. 

Dort stand sie. Angelehnt an den Thresen, die Haare im gewohnten Dutt, den Kittel lässig um die Hüfte gebunden, eine Hand auf der Tischplatte, die andere im Nacken. Adina, meine Liebe. Ihr Blick fing meinen, weswegen sich sofort ein breites Lächeln auf ihren vollen Lippen ausbreitete. Sie wies eine Kundin freundlich ab und bahnte sich direkt ihren Weg zu mir durch.

,,Was machst du hier?", fragte sie, bevor ich ihre Arme fest um mich spürte. Spüren durfte.

,,Ich wollte dich sehen," wisperte ich so leise in ihr Ohr, dass ich mir nicht sicher war, ob sie es überhaupt gehört hatte.

Nachdem Adina ihre Chefin dazu gebracht hatte, ihr eine kurze Pause zu genehmigen, da eh nicht viel los war, setzten wir uns an einen kleinen Tisch im hinteren Bereich des Cafés. Von hier aus konnte man das nicht vorhandene Treiben beobachten. Ein älterer Mann ließ sich gerade auf einen der Hocker an der Theke nieder, zog seinen langen Schwarzen Mantel und den dazu passenden Hut aus. Eine Frau saß am Fenster und telefonierte, während ihr Kind versuchte ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen. Das war's, sonst gab es keine Kundschaft. Obwohl das Café, das zentral in der Stadt lag, eigentlich gut besucht sein müsste. Doch nicht zu dieser Zeit, jetzt waren alle auf der Arbeit oder in der Schule.

Adina und ich redeten etwas über gestern, allerdings ließ ich das Thema schnell wieder fallen, als ich merkte, dass sie sich nicht wohlfühlte. Es war schon immer schwierig Informationen über ihr Verhältnis zu ihren Eltern herauszubekommen, zu verworren war das Ganze und zu viele Faktoren, die ich noch lange nicht alle kannte, spielten eine Rolle.

Stattdessen verriet Adina mir, dass sie sich für einen Poetryslam angemeldet hatte. Er würde diesen Sonntag stattfinden. Adina wusste noch nicht, wie sie ihre Eltern überreden sollte, nach dem Fest in der Gemeinde zu gehen, doch sie würde sich etwas einfallen lassen. Es war ihr zu wichtig, um es sich verbieten zu lassen. Sie schrieb schon seit mehreren Jahren. Ich liebte es, wenn sie schrieb, immer wieder hatte sie mir kleine Gedichte ihrer Sammlung vorgelesen. Jedes Mal hatte ich spüren können, wie sehr ihr das Schreiben Hoffnung gab. Es ließ sie Worte ausdrücken, die sie niemals sagen durfte. Ließ sie Gedanken formulieren und zu Papier bringen, deren alleiniges Denken eine Sünde war. Zumindest für unsere Familien.

Unter dem Tisch berührte ich sanft Adinas Hand, unsere Finger verharkten sich ineinander. Wirkten, als würden sie sich nie mehr trennen. ,,Wir finden einen Weg," versprach ich. Ich würde mit meinen Eltern reden und sie davon überzeugen, Adina und mich gehen zu lassen. Wir sollten doch eh mehr Zeit mit einander verbringen, da würde das die perfekte Gelegenheit sein, um zutun, was wir wollten. Adina brauchte das und, wenn ich ehrlich war, ich auch. Ich wollte unbedingt das Glänzen in ihren wunderschönen, besonderen Augen sehen, wenn sie aus der tiefsten Seele ihres Herzens sprach. In dieses Glänzen, diese Augen hatte ich mich damals verliebt und tat es immer wieder aufs Neue, wenn ich mich im blauen Meer ihres Blickes verlor.

Hör nicht auf zu liebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt