,,Schau, da ist die Milchstraße!"
Ich folgte Lucas Finger, der auf einen Nebelschleier voll Sterne deutete. Unsere beiden Köpfe waren tief in den Nacken gelegt, bewunderten das Bild, das sich uns bot.
,,Es ist eine Unendlichkeit bis zu ihr hin," hauchte ich ehrfürchtig vor dem Universum. Unendlichkeit. Etwas, das ich mir noch nie hatte vorstellen können.
,,Die Unendlichkeit macht mir manchmal Angst, Malou. Selbst die mit Gott."
Lucas Geständnis durchbrach die Schwere der Nacht, hallte von dem Dach der Kirche wieder, auf dem wir lagen. Ich seufzte. Ja, mir auch.
,,Ich glaube, das ist normal," brachte ich beinahe flüsternd heraus, drehte meinen Kopf zu der Frau neben mir. Ich betrachtete ihr schönes Profil, ihre perfekte Nase, das kurze Haar, das ihr nun doch ins Gesicht gefallen war.
,,Was siehst du dir an?", grinste sie ihr freches Grinsen, drehte nun auch endlich den Kopf zu mir. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast, so nah waren wir uns. Ich konnte ihren Atem auf meiner Haut spüren, er roch nach einer süßlichen Frucht, genauer konnte ich ihn nicht definieren. Zu sehr fokussierte ich mich auf Lucas Augen. Das schokoladige Braun ließ mich in die Tiefe ihrer Seele blicken.
Was war nur los mit mir? Seit wann verfiel ich Menschen so leicht?
Ich hasste mich für meine Gedanken. Erst vor ein paar Tagen hatten Adina und ich uns gestritten und doch lag ich nun hier. Mit einem völlig fremden Menschen. An unserem Platz. Und ich genoss es auch noch. Genoss die Leichtigkeit, die Luca ausstrahlte. Genoss, dass ich mich bei ihr nicht entscheiden musste. Egal, zwischen was. Es gab keine Bedingungen, da wir uns schlichtweg nicht kannten.
Nur zwei Seelen waren, die einen flüchtigen Moment teilten. Er würde bald vergehen. In Vergessenheit geraten. Kein Grund für Schuldgefühle. Wir taten ja nichts. Lagen nur hier und sahen uns an. Kein Körperkontakt, keine Anstalten, mehr zu wollen.
Nur unser Blick, der mehr sagte, als Worte es je könnten.,,Hey, Träumerin, hör mir doch mal zu!" Ich zuckte zusammen, war sofort wieder im Hier und Jetzt. Die Erinnerung verblasste vor meinen Augen.
Rahel, die sich gegenüber von mir auf ihrem Schreibtisch ausgebreitet hatte, lachte mich an.
Ich schüttelte den Kopf. Der Moment war vorbei. Doch ich hatte ihn nicht wie versprochen vergessen.
,,Sorry," murmelte ich, begann an meiner Nagelhaut zu kauen. Die Schuldgefühle zerfraßen mich. Ich war mit Luca bei Adinas und meinem geheimen Platz gewesen, hatte mit ihr einen intimen Moment geteilt, der normalerweise nur Adina galt. Luca. Meine Lippen formten sich zu einem Lächeln. Luca und ich kannten uns mittlerweile seit ein paar Wochen. Sie kam regelmäßig in die Gemeinde, half wie ich beim Kindergottesdienst und lief mir immer wieder über den Weg. Flüchtig, als sei es nur ein Zufall. Doch Zufälle existieren nicht.
Luca und ich hatten seit der Nacht auf dem Dach, der Nacht nach unserem ersten Aufeinandertreffen, nie wieder einen solchen Moment geteilt. Waren nie weiter gegangen, als uns anzusehen.
Diese eine Nacht unter den Sternen.Wir hatten nichts getan. Es war nichts Verwerfliches, einen Blick auszutauschen.
,,Dich bedrückt doch 'was."
Ja, Rahel, mich bedrückten meine Gefühle. Mich bedrückte, dass Adina und ich uns seit Wochen nicht gesehen hatten. Mich bedrückte, dass ich diesen einen klitzekleinen Moment mit einer anderen geteilt hatte. War er schon zu viel gewesen? Hatte er die Grenze überschritten?
,,Rahel, was tut man, wenn man einen Fehler begangen hat? Oder nein," ich stockte kurz, fuhr über mein gelbes Matheheft. Eigentlich war ich hier, um meiner besten Freundin bei ihren Hausaufgaben zu helfen, ,,Nein, es war kein wirklicher Fehler. Eher etwas, das zu einem hätte werden können. Es war der Moment vor einem Fehler."
Die Rothaarige sah mich prüfend an. ,,Worum geht es hier, Malou?"
Ich seufzte, merkte, wie ich mich verschloss. Sie sollte keine Fragen stellen. Rahel schien wahrzunehmen, dass ich nicht mit der Sprache herausrücken würde, denn sie antwortete so ehrlich, wie sie eben war: ,,Wenn du die christliche Antwort darauf haben willst, dann kann ich dir sagen, dass wir uns so weit von der Sünde fernhalten sollen, wie es geht. Wir sollen nicht schauen, wie nah wir an sie 'rankommen, sondern ihr aus dem Weg gehen. Das gilt auch für Fehler. Aber wenn du meinen persönlich Rat willst: Rede mit ihr."
Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Woher wusste sie, dass es um Adina ging? Wusste sie alles? Wegen meines perplexen Blickes stieß Rahel ein belustigtes Schnaufen aus. ,,Denkst du wirklich, es würde an mir vorbeigehen, wie sehr du sie vermisst? Malou, wir sind Freundinnen seit wir zusammen unsere ausgefallenen Milchzähne gesammelt haben. Hoffentlich macht Adina mir den Platz als deine beste Freundin nicht streitig. Du scheinst sie echt zu mögen." Sie tat so, als sei es ein normales Gespräch. Schob den vorletzten Satz ein, damit es sich anhörte, als würde wir über eine normale Freundin von mir reden.
Doch ihr Ton deutete an, dass sie mehr wusste. Dass sie von uns wusste. Sie sprach es nicht aus. Und ich wagte es nicht zu fragen.
Mein Geheimnis schwebte zwischen uns, ihr Wissen verband uns.
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Hör nicht auf zu lieben
RomantikUnd vielleicht wird unsere Liebe irgendwann nicht mehr verboten, irgendwann einfach nur Liebe und keine Sünde sein. ,,Ich wollte unbedingt das Glänzen in ihren wunderschönen, besonderen Augen sehen, wenn sie aus der tiefsten Seele ihres Herzens spra...