Der Gottesdienst startete wie immer mit einer Lobpreiseinheit. Wir hatten eine wirklich gute Band, die den schönen melodischen Klang nur so durch den Raum schweben ließ. Es war eine schöne Atmosphäre, wie der ganze Raum dabei war und sich auf den Lobpreis Gottes fokussierte. Ganz individuell traten die Menschen ins Gebet. Die meisten inform von Mitsingen, ein paar vereinzelt auch, indem sie leise Worte wisperten.
Auf einmal überkam mich ein schlechtes Gewissen. Nicht aufgrund meiner Sexualität - ich glaubte schon lange nicht mehr, dass sie eine Sünde war. Dafür hatte ich die Bibel zu ausführlich studiert und mit zu vielen Theolog*innen im Internet geschrieben. Man konnte die Bibel ganz klar so lesen, dass sie Homosexualität nicht verurteilte. Mein schlechtes Gewissen bezog sich auf das Lügengerüst, das ich notgedrungen aufgebaut hatte. Irgendwann würde alles herauskommen und dann würden alle wissen, dass ich sie jahrelang belogen hatte. Mein Blick fiel auf meine Eltern, die eine Reihe vor mir standen. Meine Mutter, die die Hände gen Himmel streckte und mit voller Hingabe Gott preiste und mein Vater, der zwar etwas gefasster zu sein schien, allerdings dennoch voller Hoffnung und Inbrust mitsang. Es erfüllte mein Herz, die beiden so zu sehen, und dennoch legte sich eine Schwere auf mich, die mich am Atmen hinderte. Ich musste an die frische Luft. Sofort. Adina neben wir, schien meine Unruhe zu bemerken, weswegen sie ihre Hand auf meine Schulter platzierte. ,,Alles okay?", flüsterte sie. Die Stelle, an der ihre Haut meinen Körper berührte, begann zu kribbeln. Ich wünschte, sie würde meine Hand nehmen. Zu nicht mehr als einem Kopfschütteln in der Lage begann ich mir meinen Weg durch die Reihen nach draußen zu bahnen. Dabei nahm ich keine Rücksicht auf die protestierenden Laute der Gemeindemitglieder, welche ich beim Lobpreis störte. Mir war es egal, was meine Eltern später sagen würden. Ich konnte nicht eine Sekunde länger in diesem Raum bleiben.
An der kühlen Luft angekommen, atmete ich ein paar Mal tief durch. Ich versuchte die aufkommenden Tränen zu unterdrücken, doch sie hatten schon längst ihren Weg über meine Wangen gefunden. Was war nur los mit mir? Normalerweise konnte ich meine Gefühle so gut zurückhalten. Noch nie war es passiert, dass ich mitten im Gottesdienst einfach herausstürmte. ,,Malou," vernahm ich eine liebliche Stimme, die mich dazu brachte aufzusehen. Adina stand vor mir und musste sichtlich mit den Tränen kämpfen, als sie mein aufgelöstes Etwas erblickte. Wortlos drückte sie mich fest an sich. Für einen Moment blieb die Welt stehen. Ich atmete ihren Geruch ein, den ich so liebte. Lavendel und Kaffee, was gab es schöneres? Die Welt um uns herum verschwamm, es gab mal wieder nur uns beide. Dann fing ich wieder an zu weinen, diesmal so stark, dass mein ganzer Körper zitterte und ich beinahe keine Luft mehr bekam. Als ich doch mal nach ihr schnappte, verließ nur ein verzweifelter Laut meine Kehle. Nicht einmal zum Schluchzen war ich noch in der Lage. ,,Ich kann das alles nicht mehr, Dina." Meine Stimme brach ab, während ich versuchte, mich auf das sanfte Streicheln über meine Haut zu konzentrieren. Zu viele Gedanken gingen mir durch den Kopf. Wo sollte das mit Adina und mir nur hinführen? Sollten wir unsere Liebe für den Rest unseres Lebens geheim halten? Meine Mutter wurde ja jetzt schon misstrauisch, weil ich nie einen Typen mit nach Hause brachte, und versuchte mich zu verkuppeln. Ich konnte diese Lüge nicht für immer aufrechterhalten. Bei dem Gedanken daran, dass ich irgendwann gezwungen sein würde, einen Mann zu heiraten, wurde mir schlecht. Sollte so meine Zukunft aussehen?
,,Hey, sieh mich an," Adinas Hände legten sich behutsam auf meine Wangen, ,,Du bist der stärkste Mensch, den ich kenne, Malou. Du, nein wir, werden das durchstehen, okay? Es ist noch nicht vorbei."
Missmutig versuchte ich meinem Gegenüber nicht in die Augen zu sehen, blickte auf ihr gelbes Kleid, den Asphalt unter unseren Füßen, unsere Schuhe. Ich wollte ihren Worten ja so gerne Glauben schenken. Doch meine Eltern bewiesen mir immer wieder das Gegenteil. Wir hatten jetzt schon kein gutes Verhältnis zueinander, wie sollte das dann erst werden, wenn sie erfahren würden, dass ich eine Sünde war?,,Malou," verlangte Adina erneut nach meiner Aufmerksamkeit, zwang mich nun durch ihre Hand an meinem Kinn zu ihr aufzusehen, ,,weißt du noch, wo wir unseren ersten Kuss hatten?"
Ich schmunzelte unter Tränen. ,,Natürlich.",,Weißt du auch noch, was ich danach zu dir gesagt habe?"
Natürlich, auch das wusste ich noch.
,,Du hast da was!", kicherte Adina unbeschwert. Ich lachte, sah an mir herunter. Meine Wangen färbten sich rot, wie peinlich. ,,Du siehst süß aus, wenn du rot wirst." Sofort blickte ich wieder auf, traf Adinas liebevollen Blick. Ihre Stimme war etwas dunkler geworden und auch in ihren Augen fand sich ein leichtes Glänzen wieder. Wieso sagte sie so etwas? Das sagten Mädchen nicht zu anderen Mädchen. Doch wenn es so falsch war, warum reagierte ich dann so intensiv darauf? Mir war schon von Anfang an aufgefallen, dass Adina anders war als andere Mädchen. Sie sah keinen Jungs hinterher, beachtete die meiste Zeit eigentlich nur mich. In der Jugend, am Strand, egal wo wir waren. Ihre volle Aufmerksamkeit galt mir. Und ich sehnte mich danach, suhlte mich in ihrem Interesse an mir. Plötzlich vernahm ich ihre Fingerspitzen an meinem Brustansatz. Adina strich leicht über den Erdbeereis-Fleck. Dabei kam sie mir so nah, dass ich ihren Atem auf meiner Haut spürte. Sie roch nach Lavendel, ein lieblicher Duft, der mich umarmte und wiegte. Mich wohlfühlen ließ. Als sie wieder zu mir aufblickte, sah ich mich erneut gefangen in dem Blau ihrer wunderschönen Augen. Adinas Hand wanderte langsam zu meiner Wange, sie sah mich mit einem Blick an, der um meine Erlaubnis bat. Und obwohl ich wusste, dass es falsch war, dass wir dafür in die Hölle kommen würden, nickte ich kaum merklich. Ihre Lippen trafen sofort auf die meinen. Das Gefühl, das ich empfand, war unglaublich. Bisher hatte ich nur Jungs geküsst, doch keiner von ihnen hatte mich dabei so berührt, wie das Mädchen vor mir.
Ein Feuerwerk begann durch meine Venen zu tänzeln, als ihre Zunge den Weg in meinen Mund fand. Wie konnte sich etwas nur so verdammt gut anfühlen? Ich könnte diesen Moment für immer genießen. Nur Adina und ich - für immer zu zweit.Als sie ihre andere Hand auf meiner Hüfte ablegte, genau dort wo mein Shirt hochgerutscht war, löste ich mich allerdings abrupt von ihr. ,,Wir...wir dürfen das nicht," stieß ich außer Atem aus. Mir entging nicht Adinas verletzter Blick, als ich ein paar Schritte nach hinten machte. Doch sie versuchte sofort wieder zu lächeln, diesmal war es nicht so schön, wie sonst. Es wirkte eher, wie eine Grimasse. Erreichte ihre Augen nicht. Wir durften das nicht. Ein paar Sekunden sahen wir uns nur schweigend an. Ich hatte schon Angst, wir würden nie wieder miteinander reden, so lange war dieser Moment der Stille.
Ihre nächsten Worte waren nicht mehr als ein Hauchen und doch strotzten sie nur so voll klarer Entschlossenheit. Ich wusste, dass ich auf sie vertrauen konnte.
,,Malou, die Liebe kann alles überstehen."~•~
Nur zur Klarstellung: Homosexuelle kommen nicht in die Hölle! In diesem Kapitel habe ich nur beschrieben, wie Malou früher darüber gedacht hat, beeinflusst von ihren Eltern und der Kirche. Mir ist ganz wichtig, dass das niemand falsch versteht. Malou hat schwer an sich und ihrer Sexualität gezweifelt, weswegen ich sowas auch öfter schreiben werde. Der Wahrheit entspricht es aber nicht, denn Gott liebt alle ihre Kinder <3
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Hör nicht auf zu lieben
RomanceUnd vielleicht wird unsere Liebe irgendwann nicht mehr verboten, irgendwann einfach nur Liebe und keine Sünde sein. ,,Ich wollte unbedingt das Glänzen in ihren wunderschönen, besonderen Augen sehen, wenn sie aus der tiefsten Seele ihres Herzens spra...