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Nachdem meine Mutter mich aus der Entfernung mit ihrem Blick erdolcht hatte, lehnte ich nun gegen eine der hohen Rotbuchen und versuchte Yannes und Adinas Gespräch zu lauschen. Dabei schwirrten mir im Kopf nur die möglichen Konsequenzen für meinen Auftritt heute beim Gottesdienst herum. Vor all den Leuten hier würde Mama niemals etwas zu mir sagen, doch ich wusste, sobald wir nach Hause kommen würden, müsste ich mich auf eine ordentliche Standpauke gefasst machen.

Ich ließ meinen Blick über das großräumige Außengelände der Gemeinde schweifen. Obwohl es bereits Herbst war und die Baumkronen in ein helles Orange eingetaucht waren, saßen wir draußen und warteten, bis das Grillfleisch fertig war. Ein paar Sonnenstrahlen hatten ihren Weg zu uns gefunden, erleuchteten die schöne Herbstdeko der Kinder. Wir hatten sie letzte Woche beim Kindergottesdienst mit ihnen gebastelt und nun waren sie auf den vielen Bierzeltgarnituren verteilt, schmückten die sonst so kahl wirkenden Holztische. Ich sah all die Menschen hier lachen und miteinander reden und auf einmal wurde mir ganz warm ums Herz. Auch, wenn sie alle zum Teil für mein persönliches Leiden verantwortlich waren mit ihren homophoben Predigten und ihrer unabdingbaren Verurteilung aller Andersdenkenden, waren sie doch auch nur Menschen, die ihren eigenen Sinn des Lebens suchten. Dabei waren sie aggressiv und laut, aber wenigstens brannten sie für etwas, so sehr, dass es ihnen egal war, was die Welt davon hielt. Ich wünschte manchmal, ich könnte auch so hinter meinem Glauben, hinter Gott stehen. Doch wie sollte ich das, wenn er nicht hinter mir stand?

,,Erde an Malou!"
Erschrocken sah ich nach rechts, begegnete sofort Yannes' grinsendem Blick. Den würde er auch nie ablegen.

,,Ja?", lächelte ich beide unschuldig an. Dass ich mich mal wieder ausgeklingt hatte, war wohl nicht unbemerkt geblieben. Wie so oft fiel es mir schwer mich auf meine Gegenüber zu konzentrieren. Ich war müde.

,,Wir haben gerade über das Haus am See gesprochen, erinnerst du dich?"
Mein unehrliches Lächeln verwandelte sich augenblicklich in ein strahlendes Grinsen. Das Haus am See gehörte Yannes und Rahels Familie, wir hatten schon so oft den Sommer dort verbracht. ,,Ja klar, was ist damit?"

,,Nun," setzte Yannes an, blickte ebenfalls strahlend zwischen Adina und mir hin und her, ,,wir hatten uns überlegt nach eurem Abschluss da hinzufahren und zu feiern. Rahel, Adina, du und ich. Was hältst du davon?"

Der Gedanke mit meinen besten Freund*innen und meiner allerliebsten Adina am See meiner Kindheit zu liegen, uns von der Sonne anstrahlen zu lassen und Rahel und mein Abitur zu feiern, klang zu schön, um wahr zu sein.
,,Ich finde die Idee fantastisch!", rief ich fröhlich aus.
Raus aus dieser Stadt. Raus aus meinem Elternhaus. Raus aus den erdrückenden Mauern der Gemeinde. Ferien, wie früher - in Frankreich in dem wunderschönen einladenden Haus, indem ich schon so oft war. Dessen Ambiente ich schon so oft genießen durfte.

Einige Stunden später standen Adina und ich leicht frierend vor der Bar, inder der Poetryslam stattfinden würde. Wir hatten tatsächlich unsere Eltern überreden können, uns gehen zu lassen. Dafür war viel Überzeugungskraft und die Lüge, wir würden uns mit ein paar Leuten aus der Jugend treffen und essen gehen, nötig. Dass Adinas Eltern ja sowieso wollten, dass ich Adina mehr integrierte, spielte uns in die Karten und auch meine Eltern fanden es eine gute Idee, uns mit den anderen über Gott und unseren Glauben zu unterhalten. Wenn die nur wüssten, dass wir gerade in der langen Schlange vor einer Bar standen. Sie würden uns köpfen. Alkohol war zwar nicht verpönt in meiner Familie, meine Eltern tranken selbst das ein oder andere Mal gerne über die Strenge, doch Bars - so wurde es mir von klein auf eingebläut - seien Orte des Teufels, indenen sich Ungläubige trafen, um sich zu besaufen und Sex zu haben.

Adina zog mich an meinem Handgelenk hinein, als wir endlich am Eingang angekommen waren, und als mir der Geruch von Alkohol und Schweiß entgegen schlug, war ich nur froh, dem Gespräch mit meiner Mutter für ein paar Stunden entgehen zu können.

,,Hey, Adina!", winkte uns eine Blondine zu sich und ein paar Leuten herüber. Durch ihr Studium hatte Adina einige neue Menschen kennengelernt, die wenigsten wussten von ihrem Glauben.
Wir kamen am Tisch an und wurden sofort von der Gruppe begrüßt. Nüchtern war niemand mehr so wirklich, wenn ich das richtig wahrnahm. ,,Was geht, Malou?", sprach mich Nilan an, der gerade dabei war, sich eine Zigarette zu drehen, weshalb ich ihm zulächelte. Er war breit gebaut und wirkte auf den ersten Blick bestimmt bedrohlich, doch wenn man ihn näher kannte, wusste man, dass er niemals auch nur einer Fliege etwas zu Leide tun könnte. Nilan war Pazifist und Veganer, studierte wie Adina Soziale Arbeit, allerdings mit dem Schwerpunkt Menschenrechte, und war drauf und dran die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich mochte ihn, er strahlte immer eine gewisse Ruhe aus, obwohl er auch mal aus der Haut fahren konnte, wenn jemand etwas Diskriminierendes von sich gab - das hatte ich schon das ein oder andere Mal im Sommer mitbekommen, als wir mit ihm und den anderen etwas trinken waren. Deswegen hatten wir so gut wie niemandem von ihnen von unserem Glauben und unserer Gemeinde erzählt. Ich war mir zwar sicher, Nilan würde es verstehen und versuchen, mit uns eine Lösung zu finden, doch Adina behielt es lieber für sich. Sie trennte beide Gruppen, beide Teile ihres Lebens strikt.
Ich glaubte ein paar von ihnen wussten sogar, dass Adina lesbisch war. Ganz sicher war ich mir nicht und ich traute mich auch nicht zu fragen. Adina war niemand, der unglaublich gerne über die eigenen Gefühle sprach. Manchmal tat sie es von sich aus, was mich freute, doch ich wollte sie zu nichts drängen.

Hör nicht auf zu liebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt