6 | DAS MITTAGESSEN

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«Dass es in Berlin ruhige Plätze gibt, hätte ich nicht gedacht. Die Stadt ist ja teilweise ziemlich überlaufen», stellte Henry fest, was mich schmunzeln ließ.

«Ja, das stimmt. Manchmal ist es mir hier auch tatsächlich zu voll, aber wenn ich dann an New York denke, muss ich nur lachen. Da ist Berlin wirklich noch klein und ruhig gegen, deswegen habe ich schon eher Mitleid mit den Leuten, die dort wohnen, als mit denen, die hier wohnen», entgegnete ich, denn wenn es darum ging, könnte Berlin sich mehrfach hinter New York verstecken und das nicht nur von der Größe her.

«Du hast Mitleid mit denen, die dort wohnen? Die haben es sich doch selbst ausgesucht», grinste er frech und stieg dann schließlich aus.

Ich schüttelte lachend den Kopf und musste ihm da natürlich auch recht geben, dennoch waren dort sicher auch Menschen, die sich das nicht aussuchen konnten – Kinder von Familien zum Beispiel, die dorthin ausgewandert waren und gar keine Chance hatten sich dagegen zu wehren.

Als ich ebenfalls ausgestiegen war, schloss ich das Auto ab und wartete darauf, dass Henry auf meine Seite kam.

«Darf ich bitten?», lächelte Henry mit hochgezogener Augenbraue, als er mir seinen Arm hinhielt und ich mich einhaken sollte.

Verlegen sah ich ihn an, schob dann aber meine Hand zwischen seiner Taille und seinem Arm hindurch und hielt mich an seinem Arm fest. Er sah kurz auf mich herab und schmunzelte leicht, dann betraten wir gemeinsam die Pizzeria und liefen direkt nach hinten durch. Gott sei Dank war es noch relativ ruhig, wodurch wir zumindest nicht ständig beobachtet wurden.

Ich zog meine Hand zurück und blieb an einem Tisch stehen. Meine Hände legte ich auf die Rückenlehne des Stuhls, den ich nach hinten ziehen wollte, doch als ich die Hände von Henry auf meinen Armen spürte, zuckte ich kurz zusammen und ließ den Stuhl reflexartig los. Grinsend zog er den Stuhl zurück.

«Madame», nickte er und deutete auf den Stuhl, dass ich mich hinsetzen sollte.

«So, so.. Ein Gentleman durch und durch, was?», bemerkte ich, trat vor den Stuhl und ließ ihn mir von Henry heranschieben, sodass ich mich hinsetzen konnte.

«Wenn man Manieren hat, sollte sowas selbstverständlich sein», lächelte er sanft und setzte sich dann gegenüber von mir hin.

«Man begegnet leider nicht vielen Männern, die so denken», gab ich ehrlich zu und musste wirklich ernsthaft überlegen, ob ich so einem Mann überhaupt schon mal begegnet war.

«Du scheinst ziemlich schlechte Erfahrungen gemacht zu haben.. Das tut mir wirklich leid», erwiderte er, doch ich winkte nur ab.

«Muss es nicht. Ich hab' bisher immer gut die Kurve bekommen, bevor es ausgeartet ist. Glaub mir, ich bin nicht auf den Mund gefallen und wenn mir was nicht passt, dann sage ich das direkt», erklärte ich und entlockte ihm somit ein kleines Lachen.

«Das habe ich bereits bemerkt. Schlagfertig bist du auf jeden Fall, aber das gefällt mir», zwinkerte er und in dem Moment wusste ich wirklich nicht, wo ich hinsehen sollte, ohne rot zu werden.

Als der Kellner kam, musterte er Henry erst mal und war wohl im ersten Moment am überlegen, woher er ihn kannte; doch scheinbar kam er nicht darauf. Leicht verwirrt richtete er sich dann an mich und wollte die Bestellungen aufnehmen.

«Also ich nehme einmal eine mittlere Pizza Pollo mit Salat und Salatsoße, dazu bitte ein mildes Mineralwasser.»

Er nickte und schrieb es sich auf, dann sah er wieder zu Henry und ich konnte regelrecht sehen, wie es in seinem Kopf ratterte, was schon irgendwie niedlich war.

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