𝟷

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𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟎𝟏𝐒𝐮𝐬𝐚𝐧 𝐯𝐨𝐧 𝐋𝐨𝐧𝐝𝐨𝐧

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𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟎𝟏
𝐒𝐮𝐬𝐚𝐧 𝐯𝐨𝐧 𝐋𝐨𝐧𝐝𝐨𝐧

England, September 1950.

Susan Pevensie blickte auf das Grab. Eine Träne lief ihr die Wange herunter. Es war schon ein Jahr her, ein Jahr, dass ihr Geschwister und ihre Eltern bei einem Zugunglück ums Leben kamen. Langsam hob sie ihre Hand, um sich die Träne wegzuwischen. Ihre Augen waren glasig. Weitere Tränen konnte sie nur schwer zurückhalten.

Warum ich, fragte sie sich immer wieder. Warum sie? Susan war keinesfalls die beste unter ihren Geschwistern gewesen. Ihr Bruder Peter ist Hochkönig gewesen, Lucy hatte Narnia entdeckt und Edmund war vermutlich der klügste Kopf im ganzen Land. Susan selbst hatte nie etwas wirklich Wichtiges für Narnia getan. Das wusste sie schon lange. Natürlich, hin und wieder hatte sie ein paar passable Pfeile abgeschossen oder einen guten Ratschlag zu einer Kriegstaktik gegeben. Aber das hätten viele tun können. Und auch ihr Beiname hätte auf viele Leute zutreffen können. Sanft konnte ein jeder sein. Prächtig, tapfer oder gerecht hingegen nicht.

Schnell stellte das Mädchen eine Kerze aufs Grab und zündete diese vorsichtig an. Gedankenverloren blies sie ihr Streichholz aus und warf es auf den Boden. Während die rote Kerze fröhlich vor sich her flackerte, wandte sich Susan ab und verließ schnellen Schrittes den Friedhof, auf den die leblosen Körper ihrer Familie begraben waren. Ein Zug, der entgleiste. Der ihre Geschwister und Eltern mit in den Tod riss. „Ein Zufall, dass es ausgerechnet die Familie Pevensie traf", sagten manche. Susan konnte so etwas nicht mehr hören.

Das Mädchen wollte einfach nur nach Hause. Wobei sie mit „Zuhause" nicht das Haus von Harold und Alberta, ihrem Onkel und ihrer Tante meinte, sondern ihr richtiges Zuhause. Doch es war nicht mehr dasselbe, seit ihre Geschwister und ihre Eltern fort waren. Das war einer der Gründe, warum sie zu ihrer Tante und ihren Onkel gezogen ist. Die beiden haben bei dem Zugunglück ebenfalls ihren Sohn verloren, Eustachius, Susans Cousin. Und als die junge Pevensie in der Nähe von London ein Stipendium erhielt, hatte Tante Alberta angeboten, dass sie während ihres Studiums bei ihnen einziehen könnte.

Susan hatte dieses Angebot dankbar angenommen. Wohin hätte sie denn auch sonst gehen sollen?

Als sie ankam, schlich sie sich an der offenen Wohnzimmertür vorbei, hinauf in ihr Zimmer. Vor einem Jahr hätte sie sich vermutlich zu ihrer Tante gesetzt, welche im Wohnzimmer strickte, um mit ihr zu plaudern, so wie sie es immer mit allen Erwachsenen getan hatte. Susan hatte eine scharfe Zunge und einen klugen Verstand, sodass Peter und Edmund sie früher immer als ‚die schlauste der Pevensies bezeichnet haben. Damals hatte Susan das als Scherz wahrgenommen, aber Jahre später begriff sie, dass es vor allem Edmund vermutlich ernst gemeint hatte.

Wie sehr sie Ed vermisste. Die beiden haben sich stundenlang über die verschiedensten Themen unterhalten können, ohne das ihnen langweilig wurde, während Lucy und Peter dann meistens nach draußen gegangen sind, um etwas anderes zu unternehmen. Natürlich war das davor, bevor Susan meinte, dass sie zu alt für Narnia sei. Bevor sie Narnia als 'albernes Kinderspiel' bezeichnete. Danach war alles anders.

Susan hatte begonnen, sich für das wirkliche Leben zu interessieren. Sie wollte erwachsen werden. Sie wollte so leben, wie es all die anderen taten. So ging sie auf Partys, küsste Jungs, betrank sich und küsste Mädchen. Sie fuhr per Anhalter ans andere Ende des Landes, konnte sich von Verehrern kaum noch retten, schlich sich mit ihren Freundinnen ins Kino und meckerte im Anschluss darüber, wie schlecht der Film gewesen war. Immerhin war sie jung, und sie wollte diese Zeit voll und ganz auskosten, die einzige Zeit, in der es erlaubt war, Fehler zu machen.

Und dann war da der Anruf gewesen. Ein Anruf, und Susans Leben brach zusammen, als würde man ein Kartenhaus umwerfen. „Miss Pevensie", so hatte der Mann begonnen. Susan hatte gemerkt, dass er versuchte, freundlich zu sein. „Ich bin wirklich sehr bestürzt, es Ihnen so mitteilen zu müssen. Aber wir brauchen Sie, Miss, um die Körper Ihrer Familie zu identifizieren."

Unter Tränen hatte Susan dies getan. Lucy sah aus, als würde sie schlafen. Edmund lag da, als hätte er einen schlimmen Fahrradunfall hinter sich. Und Peters Leiche hätte sie fast nicht wiedererkannt.

Und dann waren da noch die anderen. Ihre Eltern, welche nebeneinander lagen, erschlagen durch das herabgefallene Dach des Zuges. Eustachius, Susans Cousin, welchen sie nur anhand seines gelben Pullunders identifizieren konnte. Denn diesen Pullunder hatte sie ihn letztens zu seinem Geburtstag geschenkt. Aus Amerika hatte sie diesen mitgebracht. Und Eustachius hatte sich gefreut, sich wirklich gefreut. Alle waren sie zusammengesessen, hatten Kuchen gegessen, geredet und gelacht. Alle, Susan eingeschlossen.

Wie sehr hätte sich Susan gewünscht, dass Alberta oder Harold diese Aufgabe übernommen hätten. Wenn ihr Onkel den Leichnam des Professors, von Polly Plummer und Jill Pole erkannt hätte. Und nicht sie. Ihr Onkel war zu diesem Zeitpunkt ein erwachsener Mann gewesen, Susan gerade einmal 21.

Die junge Frau konnte sich noch gut erinnern, wie sie hinausgestürmt war. Sie hatte einen jungen Mann gebeten, sie zur Beachy Head zu fahren. Während der Fahrt hatte sich zusammengerissen, um nicht zu weinen und nur schweigend dem Mann gelauscht, wie er über sein Leben berichtete. Er studierte Medizin, im letzten Semester, und würde bald anfangen, in einem Krankenhaus zu arbeiten. Oder er würde seiner großen Leidenschaft nachkommen und Dichter werden.

Susan wusste noch, wie sie sich bei dem Studenten bedankt hatte, und dann schnellen Schrittes auf die Klippe zu gerannt war. Hätte ihr Fahrer während des Hinwegs nicht bemerkt, dass es ihr nicht gut ging, und wäre er nicht ausgestiegen, um ihr seine Hilfe anzubieten, hätte er sie nicht noch in letzter Sekunde am Arm gepackt und zurückgekehrt, wäre Susan vermutlich wirklich gesprungen.

So aber versuchte Susan es bei den verschiedensten Menschen, welche alle meinten, ihr helfen zu können. Und nur ein einziger, ein alter Mann, hatte gemeint, dass es helfe, wenn sie alles niederschreiben würde. Und damit begann Susan auch.

𝐒𝐮𝐬𝐚𝐧 𝐯𝐨𝐧 𝐍𝐚𝐫𝐧𝐢𝐚Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt