Chancen {12}

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Luthers Augen bleiben an der Scheibe vor ihm hängen. Er hat Scheiße gebaut und Daniel in seinen Mist mit hereingezogen. Ihn verletzt und verleugnet und das alles nur, weil er so ein Scheißkerl sein musste. Damals.

„Sag was", schnauzt Daniel. „Was sollte das, Luther? Ich dachte, du willst dich nicht verstecken! Weiß du was ich gemacht habe? Ich habe dich beim Training besucht, weil ich dachte du würdest dich freuen. Ich dachte, du fändest es toll, wenn ich aus mir herauskomme!"

Luther sinkt in seinen Sitz. Vor seinen Augen spielen sich immer wieder die Bilder des eben Geschehenen ab. Felix ist Clarks Cousin. Clark hat sich mit Daniel unterhalten. Clark weiß, dass er und Daniel ein Paar sind und Felix wahrscheinlich bald auch.

Luther bedeckt sein Gesicht mit seinen zitternden Händen

„Nein, nein, nein. Bitte nicht", flüstert er leise vor sich hin.

Und da beginnt er. Der Regen. Er prasselt auf die Vorderscheibe, bedeckt langsam den Boden des Parkplatzes auf dem die Autos stehen.

Daniel scheint nichts außergewöhnlich zu finden an dem Regen, doch Luther ist er zu viel. Er muss Daniel alles erzählen.

„Luther?" Daniel hört sich ängstlich an. „Ist alles in Ordnung?"

Luther schüttelt den Kopf. „Ich muss es dir sagen und du wirst mich dafür hassen, aber es ist besser als wenn du es nicht weißt."

Daniel nickt und dreht sich nun im Sitz zu Luther, seine Wangen in einem rosa Ton vor lauter Aufregung und Frust.

„Also diesen Felix kenne ich aus England. Von meiner alten Schule. Er war im letzten Jahr, da war ich in der zehnten." Luther schluckt. „Wir haben uns gut verstanden. Er war wie ein großer Bruder für mich und ich hab ihm einfach alles erzählt. Zu der Zeit hatte ich mich noch nicht geoutet und..."

„O Gott", unterbricht ihn Daniel. Er weiß, wie die Geschichte weitergeht. So etwas hat er in Filmen gesehen.

„Was ist?"

„Ich weiß, was er getan hat."

Luther lacht bitter. „Nein, lass mich weiter reden. Es ist anders, als du vielleicht denkst."

Daniel nickt.

„Ich wollte Felix sagen, dass ich... schwul bin. Ich hatte es mir fest vorgenommen, doch an dem Tag, an dem ich ihm es sagen wollte, hat er einen blöden Kommentar über einen anderen Jungen an unserer Schule gemacht. Er hat ihn beschimpft und... da hab ich dann gekniffen. Er wollte von mir wissen, was ich über... na, du weißt schon, denke und ich hab gelogen und ihm zugestimmt. Ich war zu der Zeit ziemlich unsicher und wollte Felix nicht verlieren. Er hat mich eben vor anderen beschützt..." Luther zuckt geplättet mit den Schultern und spielt im Schoss mit seinen Fingern.

Daniel sitzt da und hört zu. Immer noch nicht ganz zufrieden mit der vorherigen Situation, aber er wartet Luthers Geschichte lieber bis zum Schluss ab.

„Dann verging das Jahr und Felix ging von der Schule und das Gefühl in mir nicht ganz richtig zu sein, wurde schlimmer. Zu der Zeit hatte sich ein Junge geoutet, der ein Jahr unter mir war. Als sich die Gelegenheit gab", Luther schluckt wieder, beißt sich auf die Unterlippe, „hab ich angefangen."

Daniel will fragen womit, aber er lässt es. Er zittert nur. Noch nie hat er Luther, seinen Helden, so gesehen. Er bleibt still und hält den Atem an. Als Luther längere Zeit nichts sagt, fragt er: „Und dann?"

„Dann wurde ich zu dem Arschloch, was ich innerlich immer noch bin." Er sieht Daniel kühl an. „Ich hab jede Gelegenheit ergriffen um ihn und andere fertig zu machen, aber besonders ihn, weil... weil ich wusste, dass ich nie den Arsch in der Hose hätte, mich zu outen."

Daniel blickt zu Boden, nach unten auf seine Füße, fährt sich einmal durch die Haare. Luther hatte ihm in den vergangenen Monaten so viel beigebracht. Über sich selbst und darüber, dass man mutig sein muss, wenn man etwas schaffen will und das man keine Angst haben muss. Was Luther aber gerade tat, war genau das Gegenteil. Fast schon mit Gewalt schob er Daniels Selbstbewusstsein wieder in die Muschel, in der es sich all die Jahre versteckt hatte.

„Die anderen haben mitgemacht. Sie fanden mich toll. Ich war Captain des Fußball-Teams. Ich war ein Sportler wie er im Buche steht. Ich hatte etwas mit ein paar Mädchen, hab sie dann abgewiegelt, wenn sie mehr wollten. Natürlich ging das Gerücht rum, dass ich schwul wäre, aber jedes Mal, wenn ich den kleinen armen Tyler fertig gemacht habe, ob verbal oder körperlich, dachte jeder, die Gerüchte seien Schwachsinn."

Daniel schaut Luther nicht mehr an, hat nun selbst seine Hände ineinander verschränkt und schluckt andauernd, versucht den Kloß irgendwie herunterzuschlucken, doch er bleibt und scheint immer größer zu werden. Er kann nicht mehr reden. Will Luther nur zuhören.

„Es wurde schlimmer zum Jahresende. Ich wurde schlimmer, hatte immer das Gefühl, ich wollte alles klein prügeln, was mir zu nahe kam. Meine Eltern machten sich Sorgen und glaubten langsam, dass das nun nicht mehr eine Phase sei. Das ich ein ernsthaftes Problem hätte. Ich hatte nicht einmal den Mut, mich vor ihnen zu outen, da ich Angst vor den Ratschlägen hatte. Ich wollte nichts hören von wegen: Luther, sie werden es verstehen. Denn nein, sie hätten es nie verstanden, weil ich in ihren Köpfen das homophobe Arschloch war und das hätte alles zerstört."

Es ist still und Daniel denkt, die Geschichte ist zu ende, doch dann hört er leises Schluchzen. Sein Kopf schnellt in Luthers Richtung und er beobachtet, wie er sich einige Tränen weg wischt.

„Tyler hat sich im letzten Monat des Schuljahres umgebracht. Er hat sich in seinem Elternhaus im Wohnzimmer erhängt und ein Brief... ein Brief wurde neben seiner Leiche gefunden, in dem drin stand, dass Luther Bride jetzt hoffentlich zufrieden sei." Es bricht wieder aus Luther heraus. Wieder sieht er die Bilder der Beerdigung vor sich. Die Schreie, er sieht den verdammten Regen, wie er auf Tylers Sarg prasselt, seine Mutter, die zusammen bricht, als sie ihn sieht und unter Tränen schreit: „Das ist er! Luther Bride! Der Mörder meines Sohnes!"

Daniel sitzt dort wie in Eis gefroren. Sprachlos sieht er Luther zu wie er weint. Er will ihm gerade eine Hand auf die Schulter legen, da spricht Luther wieder auf.

„Dann sind wir umgezogen. Hierher. Am ersten Tag, als wir in Amerika ankamen, es war im Wohnzimmer, wir entpackten gerade, da hab ich mich geoutet. Im Nebensatz. Und ich habe mir geschworen, alles anders zu machen... Und dann kamst du." Er sieht Daniel mich feuchten Augen an. „'Tschuldige, dass ich hier so herum heule. Ich habe kein Recht dazu." Wieder wischt er sich hastig die Tränen von den Wangen.

„Daniel?"

Daniel sieht Luther nur mit geschockten großen Augen an. „Macht es dir was aus, wenn ich nach Hause laufe? Wir sprechen morgen?"

Ohne dass Luther etwas sagen kann, ist Daniel weg. Er weiß, das er falsch handelt. Das er jetzt für Luther da sein müsste, aber er kann nicht. Er ist nicht stark, er ist nicht selbstbewusst und er kann das komische Gefühl in seiner Magengegend nicht einschätzen und deswegen rennt er eben weg. Um Abstand von Luther zu bekommen.

*

Puh... Das war intensiv. Bitte schreibt mir eure ehrliche Meinung, ich weiß echt nich, was ich von der Szene denken soll... Drama ist nicht so mein Ding. :D Also würde ich mich seehr über Feedback freuen. :)

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