Das etwas andere Training

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Wir fuhren die ganze Nacht durch und ich hatte Till öfters gefragt, ob ich fahren sollte, aber er wollte nicht tauschen.
Er bestand drauf, dass ich mich ausruhen sollte, während er uns sicher ans Ziel brachte.

Ich lehnte an seiner Schulter und umfasste mit meinen Armen seinen Arm, den er immer noch auf meinem Oberschenkel liegen hatte und nur gelegentlich hoch nahm, um die Kupplung zu betätigen, was aber nicht allzuoft geschah, denn wir fuhren auf einer fast leer gefegten Autobahn mitten in der Nacht, da benötigte man die Kupplung nicht andauernd.

Ich schlief zwar immer mal wieder, aber manchmal döste ich auch nur vor mich hin.
Till achtete ununterbrochen auf mich und als er dachte, dass ich schlief, gab er mir einen sanften Kuss auf meinen Scheitel und streichelte mir zuneigend mit seiner freien Hand übers Bein.

Das sind die kleinen Gesten, die mich ganz verrückt machten und die seine Liebe zu mir zeigten. Ich wollte ihn in seinem Glauben lassen, dass ich schlief, denn das machte alles nur noch bedeutsamer für mich.
Wer zeigt jemand so offensichtlich seine Liebe, wenn die Person es nicht bemerkt, außer jemand der es wirklich ernst meint und keine Anerkennung oder einen Gegenzug verlangt.
Er liebte mich wirklich und das merkte ich...

Am Morgen wurde ich durch die ersten Sonnenstrahlen geweckt, die in meiner Nase kitzelten. Langsam öffnete ich meine Augen und stellte fest, dass wir gerade auf einem Rastplatz hielten.

»Guten Morgen, Schlafmütze«, meinte Till mit einem liebevollen Lachen, während er die Fahrertür öffnete und mit Brötchen und Kaffee sich wieder neben mich setzte.
»Du bist ein Schatz!«, stieß ich dankbar aus und genehmigte mir einen großen Schluck der braunen Brühe.
»Tankstellen Kaffee«, sagte Till ein wenig abwertend, nachdem er ebenfalls einen Schluck des nicht ganz so genießbaren nahm. Fast gleichzeitig stellten Till und ich den Kaffee zur Seite.
»Das ist ja kaum trinkbar!«, lachte ich angewidert und nahm mir lieber eins der Brötchen.
»Besser?«
»Und wie!«

Zufrieden kaute ich auf meinen Brötchen rum, während Till den Motor wieder startete und wir uns zurück auf die Autobahn begaben.
Wo wir waren, wusste ich schon längst nicht mehr.
Immer mal wieder schaute ich zu Till rüber, der immer noch total konzentriert den LKW verantwortungsbewusst steuerte. Selbst nach einer ganzen Nacht, in der er nur gefahren ist, schien er nicht müde zu sein.

Ihn so zu sehen, so wachend über mich, ließ mich nur noch mehr für ihn schmelzen.
Ich wusste, dass ich ihm so schnell wie möglich erklären musste, was ich fühlte, aber der Zeitpunkt war nicht jetzt, nicht im LKW. Ich musste auf einen schönen Zeitpunkt warten - einen Zeitpunkt wie am Bach.

Das verliebte Gucken machte mich allmählich wieder müde. Zu unbequem waren die Nächte im LKW auf dem Beifahrersitz - das hatte ich wirklich nie vermisst.
Für die restliche Zeit schlief ich noch eine Weile angelehnt an der Schulter von Till.

Als ich von dem Ruckeln eines unebenen Parkplatzuntergrundes, wie ich es nur von Turnieren kannte, wach geworden war, blinzelte ich ein paar Mal und es brauchte eine Zeit bis ich realisierte, wo ich war.
Den Ort kannte ich und ich war schon ein paar Mal dort - aber das auch schon lange nicht mehr.

Sofort stieg ich aus der Fahrerkabine und streckte mich erstmal ausgiebig.
Dann ging ich mit Till zur Verladerampe und wollte gerade den Hebel öffnen, als er liebevoll sagte: »Du schnarchst immer noch genauso wie früher.«
»Ich habe nie geschnarcht!«, protestierte ich lachend und stupste gegen Tills Schulter.
»Und wie, Kleines! Du schnarchst mehr als mein Vater.«
»Das ist nicht wahr - das ist unmöglich!« Lachend schob ich nun den Riegel zur Seite.
Ich liebte Tills neckende Art.

Till half mir die Rampe runterzulassen und sah mich erwartungsvoll an.
Einen kleinen Moment fragte ich mich, was dieses Verhalten sollte, bis ich realisierte.

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