Schonungslose Ehrlichkeit

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Meine Haare wehten im leichten Wind der über das Gelände wehte, während ich mit geschlossenen Augen meine Nase zum Himmel empor streckte.
»Hey, Conni, wir haben uns gefragt, ob du vielleicht mit uns isst.«
Langsam öffnete ich die Augen und sah ihn an.
»Nein«, antwortete ich kühl, schloss meine Augen erneut und drehte meinen Kopf wieder weg.
»Conni, du musst etwas essen - gib dir einen Ruck«, sagte er fürsorglich und setzte sich neben mich auf die alte Holzbank in der Nähe des Waldrandes.
»Alex, ich habe keinen Hunger - ich will nicht mit essen«, gab ich wortkarg von mir ohne wieder zu ihm zu blicken.
»Du bist schon ganze zwei Wochen hier und sagst mir jeden Tag, dass du keinen Hunger hast. Conni, du kannst nicht den ganzen Tag auf der Bank sitzen und das Treiben auf deinem Gestüt beobachten!«
»Ich bitte dich, gib mir Zeit - ich kann gerade einfach nicht...« Mit trauriger Stimme senkte ich den Kopf zu Boden und musste mir mal wieder die Tränen aus den Augen blinzeln.
»Ich gebe dir schon seitdem du hier bist Zeit! Conni, du weißt, dass du sicher bei mir bist und ich dich niemals verurteilen würde. Ich verstehe deine Trauer, aber ich kann das nicht mit ansehen!«
Erneut flehte er mich an. »Bitte komm mit uns essen - du musst unter Leute kommen.«
»Alex, du verstehst gar nichts. Ich bin mit den Nerven am Ende! Diese gesamte Stallluft tut mir nicht gut. Ich dachte, dass ich einfach nur von Zuhause weg muss und ein wenig Abstand von meiner gewohnten Umgebung brauche, aber das ist es nicht! Alexander, es hilft mir nicht. Vielleicht sollte ich wieder nach Hause fahren...«
»Hör zu, ich habe heute mit Till telefoniert. Er vermisst dich wirklich sehr, aber ich soll dir ausrichten, dass er es ebenfalls zuhause nicht ausgehalten hat und für eine Weile bei Eleonora auf dem Gestüt untergekommen ist. Wenn du also nach Hause fahren willst, dann will ich dich nicht aufhalten, aber so wie ich dich kenne, macht es alles nur noch schlimmer. Ich will dir wirklich helfen, aber, Conni, ich weiß einfach nicht mehr wie.«
»Du kannst mir nicht helfen - das kann gerade keiner. Ich möchte einfach noch einen Moment hier sitzen und die Ruhe genießen. Ich bitte dich, Alex, lass mich noch ein bisschen alleine...«
Widerwillig und mit einem enttäuschten »Na schön, wie du willst« stand er auf und ließ mich endlich wieder alleine.

Natürlich hatte es Allegra in jener Nacht nicht geschafft und so banal es sich auch anhört, aber es musste ja so kommen.
Damals als sie zur Welt kam, herrschte ein Wetterextrem und auch als sie die Welt wieder verließ - es musste so kommen!
Trotzdem ändert es nichts daran, dass es mich innerlich fertigt machte. Sie hat mir so viel bedeutet und als sie ging, ging ich ein Stückweit mit.

So wie ich es immer tat, ergriff ich auch diesmal die Flucht und setzte mich schon am Tag nach Allegras Tod in meinen pinken Porsche und fuhr den weiten Weg in meine alte Heimat.
Till akzeptierte dies zwar, war aber sehr verletzt wegen meinem Handeln.
Er war derjenige der mich wieder auffangen wollte, er wollte mich heilen und mich von meinen Schmerzen befreien. Ich stieß ihn aber von mir, denn es ging nicht.
Kein Wunder, dass Alex nicht wusste, wie er mir helfen sollte, denn mir war bewusst, dass in früher Zeit Alex Till oft um Rat gefragt hat, wenn er bei mir an seine Grenzen stieß.
Da Till gerade aber selber zu tief mit drinnen steckte, konnte er Alex auch nicht helfen, weshalb er nun meine Launen aussitzen musste.

Das Wetter ist selbstverständlich seitdem Tag als Allegra ging, zum positiven umgeschwungen - Ausreitwetter hätte ich es unter anderen Umständen genannt...
Jetzt mied ich aber den Stall und zum ausreiten war mir erst recht nicht zumute.
Alles war eine unfassbare Qual und für mich war es leichter den ganzen Tag in der angenehmen Kälte auf der Bank zu sitzen und mich von der Sonne wärmen zu lassen.
Meine Hände weilten immer wärmend in meinen Manteltaschen, während meine Nase Tag für Tag im Wind hing.

Auch an diesem Tag ging ich erst rein als es dämmerte. An jenen Tag ging ich aber nicht wie üblich in eine der vielen kleinen Wohnungen des Geländes, sondern machte mich auf den Weg in den Stall.
Es war genauso wie es immer gewesen war.
Die edle Stallgasse erstreckte sich lichtdurchflutet und sauber über das ganze Blickfeld, die Reithalle, welche auf der rechten Seite abging, war ebenfalls so sauber, dass ich keinen Staubkorn sehen konnte.
Es war so ganz anders als bei Sabine auf dem Hof...

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