Kapitel 1

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Adela

Ich höre das Schloss aufgehen und sprinte Richtung Tür. „Dad! Endlich bist du da.", rufe ich freudig aus, während ich ihm direkt in die Arme springe. Als er mich erblickt, lässt er die Taschen fallen, um mich umarmen zu können. Ich bin zwar 17 Jahre alt, hänge aber immer noch an meinem Dad wie eine Dreijährige.

„Hey, Mäuschen.", lacht er in mein Haar und küsst meine Wange. „Können wir los?", will er wissen, nachdem er mich losgelassen hat. Heftig nicke ich, was ihm ein erneutes Lachen entlockt. „Aber vorher habe ich noch was für dich.", verkündet er geheimnisvoll.

Mein Dad kramt in seiner Sporttasche, die er für die Reise benutzt hat. Gespannt warte ich, bis er wieder aufrecht steht, eine kleine Box in der Hand. „Happy Birthday, Maus.", gratuliert er mir, obwohl ich vor drei Tagen bereits Geburtstag hatte.

Freudig nehme ich die Schachtel an mich und öffne diese. Darin befindet sich eine roségoldene Kette mit einem Unendlichkeitssymbol. Ich hole sie raus und betrachte die Kette genauer. Es braucht eine Weile, bis ich begreife, dass auf der Rückseite etwas eingraviert ist. Forever! Love, Dad. Begeistert schlinge ich meine Arme um ihn.

„Dankedankedanke!" Meine Stimme klingt eine Oktave zu hoch.

„Gern geschehen, Maus."

Ich löse mich von ihm und halte ihm die Kette hin. „Legst du sie mir bitte um?" Er nickt. Dann betrachte ich mich im großen Spiegel im Flur, ein breites Grinsen im Gesicht, was dem von meinem Dad so sehr ähnelt. „Sie ist wunderschön!", bedanke ich mich mit Tränen in den Augen. „Und jetzt komm. Ich bekomme doch noch mein Geburtstagseis.", sage ich grinsend, nehme seine Hand und zerre ihn zur Türe.

Bei seinem Auto angekommen setzen wir uns rein und fahren los. Jedes Jahr an meinem Geburtstag, seit ich Eis essen durfte, sind Papa und ich zur Eisdiele in unserer Gegend gefahren. Jedes Jahr haben wir uns immer ein und dasselbe bestellt. Inzwischen ist es zu einer Art Tradition zwischen uns beiden geworden.

Vor der Eisdiele steigen wir aus und betreten das antike Gebäude. Es hat sich über die Jahre nicht wirklich verändert. Nur die Stühle wurden einmal ausgetauscht und paar neue Sorten sind dazu gekommen.

„Hey. Das Übliche?", begrüßt uns der Besitzer, Marco, in seinem italienischen Akzent hinter der Theke.

„Jap.", erwidere ich fröhlich und führe meinen Dad zu einem Platz am Fenster.

„Kommt sofort!" Und schon schaufelt Marco die Eissorten in zwei Becher und bringt sie uns. Augenblicklich mache ich mich über mein Joghurt-Granatapfel-Eis mit Erdbeerstückchen her und Papa isst genüsslich sein Sahne-Kirsch-Eis. Wir unterhalten uns über Gott und die Welt und er erzählt mir etwas über seine Geschäftsreise. Aufmerksam höre ich zu und sauge auch das kleinste Detail gierig in mich auf. Ich liebe es, von seinen Reisen zu erfahren. Als wir aufgegessen haben, steht Papa auf und bezahlt. In der Zeit binde ich meine langen rotbraunen Haare draußen zu einem Dutt.

Kurz vor unserem Haus bei der Kreuzung will Papa geradeaus fahren, wie sonst auch immer. Ich werfe einen Blick nach links und augenblicklich hört mein Herz auf zu schlagen. Meine Kehle wird trocken. Meine Augen sind weit aufgerissen. Ich kann mein Gesicht nicht sehen, aber ich bin mir zu tausend Prozent sicher, dass ich weißer bin als ein Blatt Papier. Oder Tafelkreide. Sogar blasser als unsere Porzellanteller zu Hause.

„DAD!!!", schreie ich aus Leibeskräften mit meiner rauen Stimme.

Und dann passiert alles in Zeitlupe.

Mein Dad reißt das Lenkrad herum, aber es ist zu spät. Das Fensterglas zersplittert wegen des anderen Autos auf der Fahrerseite, das in uns rein gefahren ist, und schneidet Schnittwunden in die Arme meines Dads. Blut fließt. Viel Blut. Der Wagen wird zur Seite geschleudert, woraufhin auch ich Glassplitter abbekomme. Viele. Und noch mehr Blut fließt. Viel zu viel. Der Airbag geht bei meinem Dad nicht auf und sein Gesicht landet mit voller Wucht auf dem Lenkrad. Sein Kopf wird umher geschleudert. Ich höre nichts mehr. Das Blut rauscht mir mit dem Adrenalin in den Ohren. Dann wird sein gesamter Körper auf das Lenkrad gepresst. Sein kompletter Brustkorb wird zerdrückt.

Not you. Please.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt