Astrid
Nach dem Essen verabschiedeten wir uns von Valka und Haudrauf.
»Wo geht's jetzt hin?«, fragte ich Hicks, der wieder neben mir lief.
»Raus«, sagte er und lächelte mich an.
Raus? Wir gehen raus? Wo sollen wir denn hingehen? In die Weizenfelder und Verstecken spielen? Aber ich fragte nicht, sondern ließ mich überraschen. Wir waren zu viert im Aufzug. Ohnezahn folgte mir mittlerweile und saß zwischen Hicks und mir.
»Der wird heute Nacht bei dir schlafen«, sagte Kristoff neben mir.
»Ich frag mich nur was du getan hast. Ist es dein Duft? Riechst du anders als andere Mädchen?«, sagte Eugene und ich sah ihn mit leicht geöffnetem Mund an.
»Äh«, bekam ich nur heraus. Was hätte ich denn antworten sollen? Ich benutze anderes Shampoo?
»Eugene, bitte«, sagte Hicks und verdrehte die Augen.
»Was? Ich darf doch wohl fragen?«, sagte er darauf und sah verwirrt in die Runde.
Der Aufzug machte »Pling« und wir kamen zum Stehen. Als die Türen aufgingen, war ich ziemlich überrascht die Garage zu sehen. Jetzt mal ehrlich: Wo gingen wir hin?
Aber Hicks fackelte nicht lange, er stieg aus und die anderen ihm hinterher, während ich noch verwirrt dastand. Ich fing mich aber und eilte hinterher.
Anstatt zur ausfahrbaren Platte zu gehen, gingen wir zu einer Tür, jedoch keine normale: Sie war in der Decke.
»Äh, ist das eine Art Dachboden oder ...?«, sagte ich.
Hicks grinste. »Nein, das ist der Ausgang.«
Und ich war so schlau wie vorher. Was haben Jungs eigentlich immer mit ihren Geheimnissen? Wieso kann man Dinge nicht einfach so ausdrücken, wie man sie auch meint?
Er stieg die kurze Treppe hoch, die darunter war, und öffnete die Tür. Strahlendes Sonnenlicht fiel in unsere Gesichter. Ich hielt mir die Hand vor Augen. Die Jungs kletterten nacheinander hinaus und ich blieb zurück.
»Keine Angst, wir gehen nur hinter den Hügel«, sagte Elsa, die eben gekommen war.
Ich vertraute ihr einfach mal und kletterte hoch. Draußen war es warm, die Sonne schien auf uns hinab, die Bäume wedelten leicht in der Brise, Hicks hielt mir seine Hand hin.
»Und was tun wir jetzt hier?«, fragte ich mit zusammengekniffenen Augen.
»Lass dich doch einfach überraschen«, antwortete Hicks in einem lachenden Ton.
Ich hasste Überraschungen, habe ich schon als Kind getan. An meinen Geburtstagen hatten meine Eltern sich nicht mal mehr die Mühe gemacht alles einzupacken. Außerdem war es so immer schneller gegangen.
Ich sah mich um, als ich Hicks über die Wiese folgte. Weit hinten stand ein Schuppen, der aus Holz gebaut worden war, links war ein Netz aufgebaut worden, rechts stand ein Basketballkorb und ein wenig weiter hinten standen zwei Tore. Was war das hier?
»Hicks, im Ernst, was ist das hier?«
»Unser Garten«, antwortete er.
»Euer Garten? Und den habt ihr euch einfach mal selbst gebaut?«, sagte ich mit einem sarkastischen Unterton.
»Ganz genau«, antwortete Hicks jedoch vollkommen ernst.
Ich drehte mich um und sah die anderen nach und nach hinterher kommen. An Kristoffs Seite lief nun ein Hund. Er hatte dunkles Fell, aber der Mund und die unteren Beine waren hell. Hinter der Gruppe breitete sich die Natur aus. Ich sah das Feld auf der anderen Seite der improvisierten Straße im Wind wehen, die Bäume links von uns raschelten, die Vögel zwitscherten, und das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, war ich entspannt. Das erste Mal seit Jahren war mein Terminkalender nicht bis oben hin voll, das erste Mal konnte ich wieder ein Teenager sein.
Als ich mich umdrehte, lief ich geradewegs in Hicks rein. Bevor ich auf den Boden fiel, fing er mich auf und stellte mich wieder auf meine Beine.
»Entschuldige, war ein wenig am Träumen«, sagte ich und versuchte mich an einem Lächeln, während ich hoffte, dass die Sonne meine Röte verdeckte.
»Schon gut. Lust was zu spielen?«
»Und was?«
»Kannst du Badminton spielen?«
»Pff, bitte, wer kann das nicht?«, konterte ich und grinste.
»Ich kenne da ein paar Kandidaten. Aber wenn du es kannst ist es doch super.«
Er ging in den Holzschuppen und der Rest tauchte bei mir auf.
»Lust mit mir ein Team zu bilden?«, sagte Raffnuss.
»Kannst du denn spielen?«, fragte ich zur Sicherheit.
»Äh, ja? Wieso fragt mich das immer jeder?«, sagte sie.
»Vielleicht, weil du so dumm wirkst?«, sagte ihr Bruder.
»Ich wirke gar nicht dumm! Du siehst aus wie ein überfahrender Esel, also siehst du viel dummer aus als ich!«
»Nicht schon wieder«, sagte Jack neben mir sichtlich genervt.
»Ich bin kein überfahrender Esel!«, sagte Taffnuss und schubste seine Schwester, was sie wütend machte, denn sie sprang auf ihn.
»Schubs mich nicht, du Matschbirne!«, sagte sie.
»Ich mach was ich will!«, sagte er und zusammen rollten sie davon.
»Die kann man wirklich nicht mal fünf Minuten alleine lassen«, sagte Hicks, der mit einer Tasche voller Schläger und einer Packung Federbälle aus dem Schuppen kam.
»Lass sie einfach, so sind wir die erst mal los«, sagte Rapunzel.
Wir bildeten zwei Teams, Mädchen gegen Jungen, und die jeweils ersten vier machten sich bereit. Die ersten vier waren die Schwestern Anna und Elsa gegen Eugene und Kristoff. Wir anderen saßen derweil unter einem Schirm, den sie aufgestellt hatten und sahen dem Spiel zu.
»Sorry Mädels, wenn wir euch fertig machen«, hatte Eugene am Anfang gesagt. Anna und Elsa hatten sich dann nur angesehen, aber ich konnte es schon von ihren Gesichtern ablesen: Die werden sich nicht besiegen lassen. Und wie ich Recht hatte! Eugene und Kristoff sind schon so aus der Puste, doch Anna und Elsa sehen aus, als hätten sie noch gar nicht richtig angefangen.
»Und? Noch Zweifel, dass ich kein Verrückter bin?«, sagte Hicks neben mir.
Ich musste lächeln. »Nein, es macht echt Spaß hier. Ich hatte schon lange keine Gesellschaft mehr. Außerdem tut es gut einfach mal die Beine auszustrecken und anderen beim Schwitzen zuzusehen.«
Er lachte auf. »Das glaube ich gerne.«
Anna und Elsa stellten die Jungs total in den Schatten. Nach einer Weile, als sie anfingen sich zu streiten, legte ich mich auf den Rücken. Es dauerte nicht lange, bis ein gewisser Kater meinen Bauch als Kissen benutzte.
Als ich so in den wolkenlosen Himmel starrte, fing mein Gehirn wieder an nachzudenken. Was würde mein Vater wohl tun, wenn ich Freitag nicht zurück käme? Würde er die Polizei rufen und dann eine dicke fette Lüge erzählen? Was würde meine Mutter wohl sagen? Sah sie mich gerade? Was würde sie sagen, wenn sie von alledem wüsste?
So viele Fragen und so wenig Antworten, auf manche würde ich niemals welche bekommen. Mir schwirrte mal wieder der Kopf.
Hicks ließ sich neben mich fallen.
»Was machen die Streithähne?«, fragte ich. Ohnezahn haute mit seiner Pfote auf Hicks' Hand, der dann anfing ihn zu kraulen. Ich spürte das Knurren über den ganzen Bauch.
»Sind noch nicht still, könnte noch dauern. Wieso spielen die eigentlich noch gegeneinander?«, sagte er ein wenig abwesend, aber weiterhin kraulend.
»Kommt das öfter vor?«, fragte ich interessiert.
»Fast immer, wenn wir spielen. Und jedes Mal endet es in einem riesigen Streit. Eugene ist einfach zu egoistisch, um zuzugeben, dass die beiden besser sind als er.«
Hicks hatte mir zwar den Rücken zugedreht, aber ich vermutete, dass er die Augen verdreht hatte. Wieder musste ich lächeln. Er regte sich einfach über alles auf.
Leider verschwand mein Lächeln, als sich mein Vater wieder in meinen Kopf schlich. Er würde mich suchen, das wusste ich zu einhundert Prozent; ich war seine Geldquelle. So schnell würde er nicht aufgeben.
»Ist alles in Ordnung?«, sagte Hicks' Stimme; er hatte mir seinen Kopf zugewandt.
»Ja, nur, ich habe Angst. Wegen meinem Vater, weißt du?«
»Wieso? Was glaubst du wird er tun?«
»Momentan bin ich seine Geldquelle und wenn ich Freitag nicht wieder pünktlich erscheine, dann wird er auf jeden Fall zur Polizei gehen. Er wird lügen. Wie er das mit dem Alkohol und dem Vermieten machen will, weiß ich nicht, aber Aufgeben steht ihm nicht zur Verfügung.«
»Du denkst ziemlich schlecht über ihn, oder?«
»Es ... es ist eine Mischung aus beidem. Er ist mein Vater, natürlich, und er war einer der Besten, wenn ich das mal so sagen darf. Erst seit dem Tod meiner Mutter ist es so schlimm. Der Alkohol macht ihn kaputt und lässt ihn nicht richtig nachdenken.«
Ich starrte gen Himmel. »Ich weiß, irgendwo in seinem Inneren ist er noch so wie früher, er muss sich nur Mühe geben diesen Menschen wieder freizugeben.«
»Das ist immer dieses Problem mit dem Alkohol, er zerstört und nimmt mehr, als man will. Denk an Punzie, ihr Vater kam nie wieder aus dem Suff heraus und am Ende war sie eine Waisin.«
Er sah wieder zu mir, starrte direkt in meine Augen und gleichzeitig in meine Seele. »Wenn dein Vater es wirklich will und sich Mühe gibt, dann wird er es schaffen. Und du könntest ihm helfen. Aber glaub mir, wenn ich sage, dass es besser ist, wenn du erst mal hier bleibst. Er wird schon merken, dass etwas fehlt. Wenn du deiner Mutter auch nur ansatzweise ähnlich siehst, dann wird er es von selbst schaffen. Er braucht einfach nur Zeit.«
Ich nickte und sagte kein Wort mehr, er auch nicht.
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Meine Rettung, bevor ich zur Sexsklavin wurde
أدب الهواةSeine etwas längeren braunen Haare fielen ihm über die Stirn; eine schwarze Brille thronte auf seiner Nase, durch die smaragdgrüne Augen sahen; wie der Fahrer, trug auch er einen Smoking, aber die angemessenen Schuhe dazu waren durch schwarze Conver...