Astrid
Am Montag darauf klingelte mein Wecker um sechs Uhr morgens. Schleppend, stand ich auf und lief zum Badezimmer. Ich zog mir meine neue Hot Pans an, dazu meine kurzärmelige Bluse, auf der Blumen zu sehen waren und meine kurzen weißen Vans. Meine Haare flechtete ich zu dem Zopf, den Rapunzel mir beigebracht hatte. Danach sah ich mich noch kurz im Spiegel an, bevor ich ging.
Auf dem Flur traf ich Anna, die ebenfalls auf dem Weg zum Frühstück war. Sie redete schon davon, wie es mir gefallen würde an der neuen Schule. Ihr Direktor sei total nett und die Lehrer erst. Hörte sich jedenfalls besser an, als an meiner alten Schule, wo der Direktor ein perverses Arschloch war und die Lehrer die letzten Wixxer.
Beim Frühstück erklärte Haudrauf mir nochmal, wie alles ablaufen würde: Ich sollte einfach mit Hicks mitgehen, der nämlich alles wusste, weil er das schon öfter getan hatte. Darauf nickte ich.
Als alle fertig waren gingen wir zur Garage und stiegen in die Wagen. Jack fuhr zusammen mit Elsa, Kristoff und Eugene; Rotzbakke nahm Raffnuss, Taffnuss und Fischbein mit und Rapunzel nahm Hicks, Anna und mich mit. Nacheinander fuhren wir aus der Tiefgarage raus, über das kurze Stück Wiese und dann auf den Schotterweg. Es fühlte sich an, als säße ich in einem riesigen Mixer. Als wir auf normalen Asphalt fuhren, atmete ich erleichtert aus.
»Ach ja, Astrid«, sagte Hicks vom Beifahrersitz. »Die hier ist für dich.«
Er hielt mir eine Brille nach hinten, die aussah wie seine.
»Was soll ich damit? Meine Augen sind total in Ordnung«, sagte ich.
»Die ist nicht echt. Auf den Gläsern sind keine Stärken. Die soll dir helfen, dass du nicht sofort erkannt wirst.«
Ich nahm sie und setzte sie mir auf. Es war, als würde ich durch ein Fenster gucken.
»Dich kennt dort keiner, was ein Vorteil ist und mit der Brille und deinem neuen Styling wird dich hoffentlich keiner so schnell erkennen«, sagte Anna neben mir.
Ich nickte und blieb den Rest des Weges ruhig vor mich hindenkend. Vor zwei Tagen hätte ich wieder zu Hause sein sollen und genau das machte mir Angst. Keiner wusste, was mein Vater gerade tat oder was er schon längst getan hatte. Vielleicht hatte er es der Polizei erzählt? Vielleicht hatte er ihnen eine riesige Lüge aufgetischt und jetzt hing ein Steckbrief von mir an der Vermisstentafel? Vielleicht versuchte er selbst mich zu finden? Vielleicht aber saß er auch nur weiterhin auf dem Sofa und hatte schon längst vergessen, dass ich überhaupt existierte. Keiner wusste, ob davon überhaupt etwas stimmte oder vielleicht auch gar nichts.
Als wir parkten, bemerkte ich die Blicke der anderen. Viele sahen zu uns hinüber und fingen an zu tuscheln oder kichern. Ich kam mir vor wie in einem typischen High-School Film.
Wie Haudrauf mir gesagt hatte, hielt ich mich an Hicks, der mir meine Tasche aus dem Kofferraum gab. Die anderen gingen vor, während Hicks und ich zurückblieben. Ich spürte weiterhin die Blicke und fühlte mich wie die Cullens aus Twilight, wenn die an der Schule ankamen. Was hatten die denn alle? Und wieso hörten sie nicht auf zu kichern! Mittlerweile ging mir das auf die Nerven.
»Es wird ganz normal sein«, sagte Hicks in meine Gedanken hinein. »So wie vorher. Du bekommst einen Spind, einen Stundenplan, Lehrer unterrichten dich u-«
»Ich weiß, wie das in der Schule läuft, Hicks. Mittlerweile bin ich auch schon siebzehn«, unterbrach ich ihn.
Er lächelte. »Dann ist ja gut.«
Mit mir zusammen lief er auf den Schulhof, wo er das große Backsteingebäude vor uns anstrebte. Die Mädchen sahen immer noch zu uns, aber das Gekichere hatte mittlerweile aufgehört. Jetzt schienen sie nur noch zu tuscheln und blickten mich richtig feindselig an. Anfangs verstand ich es nicht, bis eine Gruppe Mädchen an uns vorbei lief, die im Chor »Hi, Hicks« sagte. Sie waren eifersüchtig, aber mal so richtig, und noch dazu irgendwie einfach jedes Mädchen.
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du einer der beliebtesten Jungs hier bist?«, zischte ich ihm leise zu.
»Weil ich es nicht bin«, antwortete er flüsternd.
»Aha, und deshalb we-«
»Hicks!«, rief eine Stimme von irgendwo und unterbrach mich.
Hicks stöhnte genervt auf. »Na toll«, murmelte er.
Ein Mädchen in unserem Alter mit langen schwarzen Haaren kam auf uns zu. Sie trug einen bordeauxroten Rock, der ihr bis zu den Knien ging, darüber ein weißes T-Shirt und helle Ballerinas. Als sie auf uns zu kam, lächelte sie, aber desto näher sie kam, desto mehr verschwand es. Vor uns blieb sie stehen.
»Hicks! Wir haben uns ewig nicht mehr gesehen, seit den Ferien, oder? Oh, wer ist das?«, sagte sie, als ob sie mich erst dann gesehen hätte. Sie sah mich angeekelt, aber zugleich auch angestrengt an.
»Das ist Astrid«, sagte er zu dem Mädchen, das mich nachdenkend ansah.
»Okay«, sagte sie. »Ist sie eine Verwandte oder so?«
»Heidrun«, sagte Hicks zu dem Mädchen, dessen Name anscheinend Heidrun war, »lass die Spielchen. Du weißt das ganz genau.«
Sie wusste es?
Heidrun nickte. »Hätte ja sein können. Aber, um auf das Thema zu kommen, weshalb ich gekommen bin: Lust später mit mir ins Kino zu gehen?«
»Nein«, sagte Hicks sofort. »Und jetzt müssen wir los.« Dann nahm er meinen Arm und zog mich zum Eingang.
»Ist sie deine Freundin?«, fragte ich, als wir den Gang entlangliefen.
»Nein«, antwortete er knapp.
»Aber sie wollte mit dir ins Kino.«
»Das wollen so einige.«
»Ach was. Ich dachte du bist nicht so beliebt?«
»Halt die Klappe«, sagte er und verdrehte die Augen, während ich einfach nur lächelte.
Das Büro des Direktors war voll mit Krims-Krams. An den Wänden standen zwar dunkle Regale mit Akten und Büchern überfüllt, aber die kleinen Beistelltische und der große Schreibtisch waren einfach mit allem übersät, was ein kleines Kind glücklich machen würde. Der Direktor hieß Herr North und wusste anscheinend ebenfalls Bescheid.
»Ein neues Gesicht, wie ich sehe«, sagte er, als wir uns setzten.
»Stimmt«, sagte Hicks. Sie redeten darüber, wie mein Stundenplan sein sollte, während ich dem Wasserspiel dabei zusah, wie es auf und ab ging. Zwischendurch hörte ich ein paar Fächer heraus, aber ansonsten beobachtete ich den Glasspecht.
»Hypnotisierend, nicht wahr?«, sagte irgendwann Herr North' Stimme.
»Bitte?«, sagte ich, als ich aufsah. Er und Hicks lachten.
»Die Teile können einen ganz schön hypnotisieren, nicht wahr?«, sagte er.
»Oh, ja«, sagte ich und versuchte ebenfalls ein kurzes Lachen. Meine Wangen röteten sich wieder und ich versuchte sie irgendwie zu verdecken, aber hinterher sah ich nur hinunter.
»Also, Ella wird ihr dann denselben Stundenplan anfertigen. Hoffentlich gefällt dir Spanisch«, sagte Herr North zu mir.
»Sí, me gusta mucho«, antwortete ich. Er lächelte mich an.
»Dann viel Spaß, ihr habt noch zehn Minuten.«
Wir verabschiedeten uns. Im Sekretariat gab Hicks der blonden Frau, die anscheinend Ella war, einen Zettel. Sie tippte irgendwie am Computer herum, druckte etwas und schrieb etwas auf einen weiteren Zettel.
»Das hier ist deine Spindnummer«, erklärte sie mir. »Der steht im D-Trakt, wo all die wissenschaftlichen Räume sind.« Sie malte mit einem Kugelschreiber den Weg nach. »Er ist eigentlich einfach zu finden und sonst frag einfach deinen Begleiter hier. Und das hier ist der Code.« Sie schrieb es daneben und entließ uns.
Danach führte Hicks mich schnell durch die Schule. Im D-Trakt öffnete ich meinen Spind und fand jedes Buch, das ich brauchte, bereits perfekt gestapelt. Den Stundenplan hing ich mir an die Innenseite der Tür. Dann schnappte ich mir mein Englisch und Biologie Buch und lief zusammen mit Hicks wieder zum B-Trakt.In der Mittagspause gingen wir zusammen in den Garten und setzten uns unter einem riesigen Baum, der genug Schatten für uns alle warf. Valka hatte uns jeweils Sandwiches gemacht, die wir alle verputzten, da jeder hungrig war. Meines war mit Himbeere Marmelade.
Es war eigentlich recht witzig gewesen den Tag über. Hicks und ich saßen bisher in jedem Fach ganz vorne und konnten die Lehrer davon abhalten, dass sie mich vorstellten. In Sport konnte ich nicht mitmachen, da ich keine Sportsachen dabei hatte. Außerdem ist mir aufgefallen, dass, obwohl Heidrun mich heute morgen so feindselig angemacht hatte, die ganze Zeit in Ruhe ließ. Aber damit konnte ich umgehen.
»Was sind nochmal die letzten beiden Stunden?«, fragte ich.
»Kunst«, antwortete Elsa.
Ich war zwar keine große Künstlerin, aber Kunst mochte ich dennoch. An meiner alten Schule hatten wir meistens ein Thema bekommen, an das wir dann für drei oder vier Wochen arbeiten durften und dann mussten wir es abgeben. Während der Stunden hatten wir Musik hören dürfen.
Zehn Minuten vor Beginn gingen wir zu unseren Spinden und trafen uns hinterher am Kunstraum. Hicks und ich setzten uns wieder nach vorne, hinter uns Jack und Elsa, rechts von uns Eugene und Kristoff, dahinter Anna und Rapunzel, irgendwo hinten saßen Raffnuss und Taffnuss mit den anderen.
»Bei wem haben wir?«, fragte ich Hicks.
»Frau Dorethie.«
»Ihr dürft die Lehrer beim Vornamen nennen?«, sagte ich verwundert. Manche von uns hatten einen Schulverweis bekommen, wenn wir das aus Versehen getan hatten.
»Nicht alle, aber Frau Dorethie ist richtig nett.«
Da hatte er allerdings Recht. Ich war ein bisschen überrascht, als sie in die Klasse kam. Ihr Haare waren blau mit gelben Spitzen und sie trug eher punkige Klamotten mit Stacheln und so weiter. Aber sie war total nett und erklärte uns das neue Thema, das auch jeder es verstand: Surrealismus.
»Surrealismus ist eigentlich einfach darzustellen. Ihr könntet einfach ein Quadrat mit einem runden Schatten malen. Alleine das wäre schon Surrealismus, denn Surrealismus ist nur ein Fachbegriff für Unwirklichkeit, nicht existent. Ich möchte, dass ihr ein Motiv malt, natürlich surrealistisch. Dafür gebe ich euch jetzt dreißig Minuten.«
Hicks war anscheinend ein richtiger Künstler. Während ich nämlich noch nachdachte, fing er schon an zu malen. Und er war Linkshänder, wie mir auffiel.
Hinterher entschied ich mich etwas Einfaches zu malen und zum Schluss sah es aus wie angeklebte Häuser, nur dass die Gravitation keine Rolle spielte.
»Nun möchte ich, dass ihr euch einen Hintergrund dazu ausdenkt. Es muss kein bestimmter Ort sein, aber wenn ihr so etwas malen solltet, dann bitte surrealistisch.«
Ich hatte keine Ahnung, was ich als Hintergrund nehmen sollte, also beobachtete ich Hicks dabei, wie er sein Bild malte. Er hatte einen Menschen gemalt, der aber keinen Kopf hatte, sondern eine Glühbirne; die Arme waren mechanisch; Teile der Rippen waren zu sehen, die von Fäden umschlossen waren.
»Im Ernst«, sagte ich, »wie machst du das?«
Er grinste wieder. »Jahrelange Übung.«
»Seit wann machst du das denn?«
Sein Grinsen verschwand. »Nach dem Tod meiner Schwester ging es mir nicht gut. Meine Eltern schickten mich zur Therapie und eine der Methoden war es zeichnerisch darzustellen, wie es mir ging und wie ich damit umgehen konnte. Es hat mir Spaß gemacht zu Zeichnen, also blieb ich dabei, selbst als ich nicht mehr dahin ging.«
»Es war ein Ausweg sozusagen.«
»Könnte man so sagen.«
Ich ließ ihn weiter arbeiten, beobachtete es aber weiterhin. Sein Hintergrund sollte ein Laden werden, glaube ich. So sah seine Skizze jedenfalls aus.
»Er ist einer meiner besten Schüler«, sagte jemand neben mir. Frau Dorethie kniete sich an den Tisch. »Ich bewundere seine Zeichenkünste, sie sind unglaublich. Und seine Ideen erst, da würde ich nie drauf kommen.«
»Ja, ich hab bisher nur das gesehen«, sagte ich.
»Er soll dir mal die anderen zeigen. Deines kenne ich übrigens.«
Ich runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
»Ein berühmter Surrealist hatte mal so was ähnliches gezeichnet. Ein Haus stand in der Mitte und der Rest klebte an es dran, nur in alle möglichen Richtungen.«
»Und was für einen Hintergrund hatte er?«, fragte ich.
»Den Himmel. Einfach den Himmel. Eines der einfachsten Motive«, sagte Frau Dorethie, zwinkerte und ging. Es war wenigstens ein Anfang.
Nach den zwei Stunden gaben wir die Bilder vorne ab und liefen nacheinander hinaus.
»Man freu ich mich auf die Couch«, sagte Taffnuss.
»Ich will eigentlich nur etwas essen«, sagte Fischbein.
»Du willst immer etwas essen«, sagte Rotzbakke und verdrehte die Augen.
»Meine Mutter sagt immer, dass Essen wichtig für den menschlichen Körper ist, damit er nicht abstirbt.«
»Ach ja? Sie hat auch bestimmt gesagt, dass Sport gleich Mord ist, oder?«, zog Rotzbakke ihn auf und natürlich fingen sie an zu streiten.
»Ganz ehrlich«, flüsterte ich Hicks zu, »ich will auch nur noch etwas essen.«
Er fing an zu lachen und ich stieg mit ein, ohne die verwirrten Blicke der anderen zu beachten.
![](https://img.wattpad.com/cover/38640908-288-k880928.jpg)
DU LIEST GERADE
Meine Rettung, bevor ich zur Sexsklavin wurde
Fiksi PenggemarSeine etwas längeren braunen Haare fielen ihm über die Stirn; eine schwarze Brille thronte auf seiner Nase, durch die smaragdgrüne Augen sahen; wie der Fahrer, trug auch er einen Smoking, aber die angemessenen Schuhe dazu waren durch schwarze Conver...