Eis und Wärme

1.3K 63 0
                                    

EMMA

Es war so schön... warm... eingehüllt in den Duft von Tannennadeln, dunkler Schokolade und einem Hauch von Moschus. Emmas Wölfin summte vor Zufriedenheit.
Gefährte... Gefährte... Gefährte... immer wieder sang dieses Wort, gepaart mit dem Gefühl von Sicherheit in der Seele des Omegas. Langsam tauchte Emmas Bewusstsein aus den Tiefen des Wolfsgeistes empor. Als sie die Augen öffnete, sah sie ... zunächst mal gar nichts. Eine samtene Dunkelheit umgab die Wölfin, eine Dunkelheit, die schnurrte?!? Mit einem Fiepsen stemmte Emma sich hoch und wand sich aus dem Knäuel der Gliedmaßen des Alphas. Langsam wich die kleine rote Wölfin zurück, sah sich unruhig um und schnupperte an der doppelten Eingangstür. Zaghaft kratzte sie am Holz, dann ließ sie sich auf den Boden plumpsen und presste frustriert schnaufend die Schnauze gegen den winzigen Spalt am Boden, während die Rute auf den Marmor unter sich klopfte.

„Na, Kleine..." Emma riß den Kopf hoch und starrte auf Aaron, der schräg hinter ihr gegen einen Sessel lehnte. Zögernd legte die Omega den Kopf schräg, dann nährte sie sich dem Beta... langsam, immer bereit sich schnell zurückzuziehen. Neugierig zuckte die kleine Nase in Aarons Richtung. Emma spürte wieder eine seltsame bleierne Schwere in sich. Trauer, Angst und Unsicherheit ballten sich in ihr zusammen und drohten erneut über ihr zusammenzuschlagen. Aus diesem Grund zog sie sich wieder zurück und ließ die Wölfin.. nun ja... Wölfin sein.
Und ihr Seelentier war neugierig auf diesem Beta. Sie spürte einen ähnlichen Geist in ihm, wie bei Ace. Die goldenen Augen fest auf den Mann vor sich gerichtet, schlich sie geduckt auf Aaron zu. Zögernd wedelte die Rute hin und her, während die kleine Omega sich an seinem Hosenbein empor schnüffelte.

Die Luna betrat langsam die Halle, an ihrer Seite eine Frau Mitte fünfzig, mit einem strengen, aber zugleich gutmütigem Gesichtsausdruck. Die Rudelärztin hieß Isa Kellermann und zugleich auch eine Beraterin des Alphas. Jax entrollte sich und erhob sich lautlos. Er war so groß, dass er auf allen Vieren seiner Mutter bis zu Schulter reichte... der goldene Wolf warf den beiden Frauen einen undefinierbaren Blick zu und wandte seine Aufmerksamkeit dann zu der kleinen Omega hin. Diese beschnupperte mit wesentlich mehr Begeisterung gerade das andere Hosenbein der dunkelhaarigen Betas. Jax schritt zu der Wölfin hinüber, deren Rute mittlerweile wie wild wedelte. Der goldene Alpha betrachtete sie zärtlich und tapste sie dann mit der Vorderpfote an. Emma sprang quietschend etwa einen Meter in die Höhe und landete völlig verdutzt auf Aarons Schoß.

Sophie lachte über den verblüfften Ausdruck auf dem roten Wolfsgesicht. Jax schnurrte liebevoll und schob seine Schnauze zwischen ihren Vorderbeinen hindurch unter den hellen Bauch der Kleinen. Die Omega machte einen Buckel und leckte kurzerhand über die Ohren des Alphas. Dann hüpfte sie mit einem Kläffen vom Schoß des Betas und schnappte spielerisch nach Jax' Hinterbeinen. Der riesige Wolf wirbelte rasend schnell herum und war im nächsten Augenblick über Emma. Aaron lachte lauthals los.. es sah aber auch zu niedlich aus. Selbst stehend passte die winzige Omega unter den Bauch des hoch über ihr emporragenden Alphas. Unwillkürlich machte Emma erneut einen Buckel und schmiegte sich so enger an Jax. Dann öffnete sich mit einem Mal die Eingangstür und Bianca nebst Freundin kamen kichernd und schwatzend in die Halle geschlendert.

Gerade noch leckte die Winzwölfin die Schnauze des Alphas, in der nächsten Sekunde übernahm Emma die Kontrolle und preschte auf die beiden Frauen zu. Sophie schrie: „Bianca! Die Tür!!" Doch Emma huschte durch den schmalen Spalt, wetzte los und verschwand im dichten Wald. Sie hörte ein trauriges Heulen hinter sich, doch die Frau wollte nach Hause. Auch wenn ihr Seelentier sehnsüchtig nach ihrem gewählten Gefährten rief, floh Emma zurück in die Sicherheit, die Vertrautheit von Klaras Zuhause.
Diese öffnete die Hintertür und ließ die junge Frau hinein. Emma wandelte sich und sank im Wohnzimmer auf die Knie. Emotional völlig erschöpft sah sie auf die ältere Delta. Liebevoll strich Klara ihr eine rote Locke aus der Stirn. Dann wuselte sie in die Küche. Emma stand schließlich seufzend auf und ging ins Bad. Erleichtert stellte sie sich unter den warmen Wasserstrahl und hoffe wider besseren Wissens, dass die Wärme auch das Eis in ihren Innern auftauen konnte.

Nachdem sie sich abgetrocknet und angezogen hatte, ging sie zu ihrer Ersatzmutter in die Küche. Wortlos stellte diese ihr eine große Tasse heiße Schokolade und einen Teller mit Käsebroten hin. Dankbar lächelte Emma und frühstückte. Als sie genüsslich den letzten Tropfen des köstlichen Kakaos getrunken hatte, sah die junge Frau auf: „Danke, Klara.... Ich weiß im Moment auch nicht, was mit mir los ist. Es fühlt sich so an, als würde ich durch eisigen Sirup waten..." Kurz vergrub sie müde das Gesicht in den Händen. Dann richtete Emma sich auf. „Ich geh mal zu Larissa.. ich hab sie gestern Nachmittag schon im Stich gelassen..." Klara hätte ihr am liebsten gesagt, dass sie sich noch einen Tag mehr ausruhen solle, aber die Frau spürte instinktiv, dass Emma sich mit Arbeit ablenken wollte. Daher nickte sie nur traurig und sagte: „Ich versteh dich, mein Schatz.. Aber wenn es zu viel wird... überanstrenge dich bitte nicht. Achte auf dich!"
Emma lächelte sie beruhigend an und nahm ihre Umhängetasche. Dann lief sie rasch in Richtung der Bäckerei.

Larissa sah zu ihrer Angestellten hinüber. Sie machte sich Sorgen. Emma war still geworden. Den Kunden antwortete sie nur einsilbig und ihr Lächeln erreichte die Augen nicht mehr. Wann immer es möglich war, zog sich die junge Frau in die Backstube zurück um alles und jedem aus dem Weg zu gehen...
Die Ladentür öffnete sich und der Alpha, die beiden Betas und die Luna betraten den Raum. Larissa sah immer noch mit sorgenvoller Miene über ihre Schulter in Richtung Emmas. Dann seufzte sie leise und wandte ihre Aufmerksamkeit zögernd den Wandlern zu. „Alpha.." Die Bäckerin nickte höflich dem Rest der Anwesenden, „Ihre Bestellung ist fertig, warten sie doch bitte kurz... Emma? Kannst du bitte kurz die Rudelbestellung bringen?"

Kurz darauf kam der Rotschopf mit drei Gebäckschachteln und einem Korb mit 15 Stangen Baguette nach vorne. Sie hatte den Kopf gesenkt und reichte mit einem knappen Nicken die Bestellungen dem zweiten Beta. Dann wollte sie sich wieder umdrehen und sich in die Sicherheit der Backstube zurückziehen, doch Jax griff rasch nach ihrer Hand. Emma sah emotionslos auf seine Finger. Nicht mal seine Wärme drang noch durch den Panzer aus Trauer und Einsamkeit, der sich um ihre Seele geschlossen hatte und ihr die Luft abschnürte. Jax strich mit der anderen Hand über ihre Wange und flüsterte: „Wo bist du nur Kleines? In welcher Dunkelheit hast du dich verirrt?" Die grünen Augen der jungen Frau waren glanzlos und matt, während sie seinen Blick erwiderte. Langsam sanken die Hände des Mannes herab und er gab sie frei. Emma drehte sich um und schlurfte zurück. Die Tür öffnete sich erneut..
„EMMA!!!!" schrie eine weibliche Stimme. Die Omega blieb erstarrt stehen, ihr Atem stockte.. konnte es denn wirklich sein? Emma drehte sich aufschluchzend um und stürmte in die ausgebreiteten Arme.
„.... Sarah....!" wimmerte sie und presste sich mit aller Kraft an ihre über alles geliebte Freundin.

Und der Eispanzer um ihre Seele bekam die ersten Risse...

EmmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt