-,Klischee.', dachte sie und blieb kurz stehen, bevor sie mit raschen Schritten wieder zu der Empfangsdame aufschloss. ,Klischee oder Traum.'
Grosse Empfangshalle.
Glastüren.
Riesige Fensterfronten.
Grau. Schwarz. Weiss.
Ein paar gepflegte Topfpflanzen.
Gefliester Boden.
Ein Lift aus Glas.
Und dann Türen, lange Gänge, wieder Türen.
Und überall Schlösser. Schlösser mit Zahlencodes. Schlösser mit Fingerprint. Türen, die sich nur durch einen Batch öffnen lassen.
Alles in sich abgeschlossen.
Sequenziert.
Hohe Wände und verschlossene Türen. Glasfronten. Wieder Gänge.
Es schien nur die beiden Extreme zu geben: entweder alles offen und fast nur Glas. Oder alles blickdicht abgesperrt.Ihre Begleiterin blieb stehen. Offenbar waren sie am Ziel angelangt. Am Ziel. Nein, jetzt begann es erst. Ihr Vorstellungsgespräch. Falls man es denn so nennen konnte. Sie hatte ja nicht mal eine Bewerbung geschrieben, sondern war nur von Miga auf die Stelle angesprochen und dann weiter empfohlen worden. Aber er hatte sie auf diese Zeit herbestellt und hier war sie. Hier WAR sie. Atmen! Sie hörte wie die Empfangsdame etwas in eine Sprechanlage sagte, doch sie konnte es nicht verstehen. Ihr pochendes Herz lenkte sie zu sehr ab.
Wenn sie sich nur nicht verhaspelte. War sie nervös, dann lief ihr manchmal ihre eigene Stimme davon. Ihr Herz war eh schon irgendwo jenseits - jenseits des normalen Rhythmus, jenseits ihres Körpers. Davon gerannt. Aber ihr Verstand musst hier bleiben. Ihren verlorenen Körper führen. Sie daran erinnern zu Atmen.
-„Gut.", antwortete die Stimme aus der Anlage. Knapp. Kühl.
,Traum', dachte sie wieder als sich die Tür zur Seite schob. ,Albtraum.' Wie atmete man schon wieder?!Dann lag der Raum vor ihr. Alles kantig. Alles glatt. Alles kühl. Wie seine Stimme. Zwei schwarze Wände. Zwei Glasfronten. Ein riesiger Schreibtisch. Und dahinter er. In einem dieser monströsen, schwarzen Bürostühle. Tja, zum Boss der passende Sessel. Dunkle Kleidung. Den Blick auf sie gerichtet. Hinter ihr schloss sich die Türe wieder. Sie drehte hektisch den Kopf. Sie war alleine. Die Empfangsdame war nicht mitgekommen. Natürlich nicht. Sie schluckte schwer und wandte sich wieder dem Schreibtisch zu. Und ihm dahinter.
-„Setzen Sie sich." Es klang wie ein Befehl, nicht wie eine höfliche Aufforderung. Aber da war kein Stuhl beim Schreibtisch. Sie liess ihren Blick durchs Zimmer gleiten, konnte aber noch immer keine Sitzgelegenheit entdecken. Abgesehen von der Sofaecke in der Mitte der linken Raumhälfte. Aber die konnte sie schlecht hertragen. Sonst war nichts zum drauf sitzen da. Er schien zu derselben Entdeckung gekommen zu sein. -„Bleiben Sie.", meinte er knapp als er aufstand und an ihr vorbei ging.
Die Tür öffnete sich. Die Tür schloss sich. Alleine blieb sie zurück. Dann war er schon wieder da. Er erschien in der sich öffnenden Tür, einen mit braunem Leder überzogenen Bürostuhl vor sich herschiebend. -„Sie können sich auch auf meinen setzen.", meinte er dabei gleichmütig. Sie schüttelte den Kopf. -„Nein, der passt.", sagte sie schnell und nahm ihm den Stuhl ab. Wieder dieses knappe ,gut'. Er umrundete den Schreibtisch und setzte sich wieder. Ihr Blick blieb kurz an dem braunen Bürostuhl hängen. Er passte nicht her. Nicht das er stilistisch gestört hätte. Er schien einfach nur irgendwie fehl am Platz.
„Setzten Sie sich!" Der harsche, ungeduldige Ton liess sie zusammenzucken. Rasch setzte sie sich hin. Sie wollte ihm ihre Mappe mit Lebenslauf und allem über den Tisch reichen, zog sie aber noch vor dem halben Weg wieder zurück. Er hatte keine Anstalten gemacht sie ihr abzunehmen. Vielleicht hatte er es nicht mal gesehen. Sein Blick war auf sie gerichtet. Seine Miene unleserlich. -„Weshalb sollte ich Sie anstellen?"
Die ganze Zeit hatte sie innerlich auf diese Frage gewartet. Aber sie hatte nicht gedacht, dass es seine erste Frage sein würde. Wie sie sie verabscheute. Sich selbst anpreisen wie eine Ware. Nur Billigware muss beworben werden. Ihre Finger schlossen sich fester um die Mappe, die sie an sich gedrückt hatte. Unwillkürlich war sie aufgestanden. Als erwarte sie, dass er sie jeden Augenblick aus dem Zimmer schicken würde. -„Ich habe im Bereich Chemie und Biologie nur das gymnasiale Niveau, aber ich hatte es als Schwerpunktfach belegt.", sagte sie und wich seinem Blick nicht aus.
Er war nicht aufgestanden, als sie es getan hatte. Er brauchte es nicht. Er musst nicht höher als sie sein. Nicht einmal auf Augenhöhe musste er sein, um überlegen zu wirken. Er war auf ganz eigenartige Weise präsent genug. Sie hatte in keiner Weise das Gefühl auf ihn herab zu sehen, ob wohl sie es, rein objektiv gesehen tat.
„Ich kann schnell tippen", fuhr sie fort „habe eine gute Rechtschreibung und ein Gespür für Sprachen." -„Hast du das auswendig gelernt?" Seine Frage war kalt, gar leicht spöttisch. Oder nicht? Seltsamerweise konnte sie atmen als sie spürte, dass sein Blick den ihren für einen Moment erwiderte, bevor er wegschweifte. -„Ja.", war ihre knappe Antwort und sie überraschte sie mehr als er sie seinerseits mit seiner Frage überrumpelt hatte. Sie hatte selbst nicht mit einer so klaren eigenen Antwort gerechnet. Aber der Geschmack auf den Lippen war besser als jede noch so gute Umrede. Ob er auch überrascht war? Wenn, dann liess er es sich nicht anmerken.
Er sass noch immer. Sollte sie sich auch wieder setzten? -„Gut." Einfach so in den Raum gesagt. Ihr Blick fokussierte sich noch mehr auf ihn. Sie atmete. „Bianca wird dir deinen Schreibtisch zeigen. Sie können gleich anfangen. Wenn Sie wollen. Den Vertrag kriegen Sie heute Abend. Er ist für dich jederzeit und ohne Frist kündbar. Wenn Sie einverstanden sind, dann bleiben Sie einen Monat auf Probe und wir sehen weiter."
Sie starrte ihn an. Er hatte es nebensächlich gesagt. Nicht als würde er sie gerade für einen ziemlich guten Lohn einstellen. Nicht mal richtig angesehen hatte er sie, sondern Blätter auf seinem Tisch geordnet. Gerade hob er den Kopf und sah sie an. Rasch nickte sie. Vielleicht sollte sie irgendetwas sagen. Aber es kam ihr nichts in den Sinn und er schien auch nichts zu erwarten. Stattdessen rief er diese Bianca an und sagte ihr, dass sie zu seinem Büro im obersten Stock kommen und der Neuen den Raum zeigen solle. Die Neue. Das war dann wohl sie.
Sie wartete einen Moment ab, aber er schien gar nicht zu bemerken, dass sie überhaupt noch da war. Also hob die Hand, deutete hinter sich und formte lautlos mit den Lippen, dass sie gehe. Keine Reaktion von ihm. So wandte sie sich unsicher ab und ging zur Tür. Wie brachte man dieses Ding dazu sich zu bewegen? Türfalle gab's ja keine. Hatte er nicht vorhin- als er einen Stuhl holte- einen dieser Schalter gedrückt? Sie wagte es nicht, einfach aufs Geratewohl zu drücken. Bestenfalls würde sie ihm einfach das Licht ausmachen. Was sonst noch so alles passieren könnte, versuchte sie sich gar nicht erst auszudenken.
„Der zweite von Links.", hörte sie hinter sich. Sie drehte sich rasch um, doch er beachtete sie schon gar nicht mehr. „Miga kommt heute Abend vorbei." Sie hörte ihm nicht mehr zu und wandte sich wieder den Schaltern zu. Der zweite von links hatte er gesagt. Sie atmete tief ein und drückte. Sie hielt den Atem an. Hoffentlich wars das richtige links. Tatsächlich. Die Tür glitt zur Seite. Das Licht blieb wie es war. Sie brachte auch nicht alle seine Computer zum Abstürzen, weil sie den Strom ausschaltete und einen Bombe zündete sie auch nicht. ,Immerhin ein Anfang', dachte sie als sie den Raum verlies.