3.18 Farben sind Stimmungen/Zeit

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Sie sass ihm Bus und starrte auf den Bildschirm ihres Handys. Auf dem Kalenderblatt stand Do. Heute war Donnerstag. Dann war Morgen Freitag. Am Freitag war im Convention Center in Zürich ein Anlass, an den der Boss eingeladen war. Und sie würde ihn begleiten.

 Ihr Puls nahm unangenehme Geschwindigkeiten an. Sie schaltete den Handybildschirm aus. Warum machte sie sich so sehr was daraus? Er hatte sie gefragt und war so selbst das Risiko einer Blamage eingegangen. Konnte ihr doch egal sein, wie's ausging! War es ihr aber nicht. 

Ihr war es nicht egal. Sie wollte ihn seine Welt passen. Sie wollte die passende Prota sein - Zumindest für einen Augenblick, für einen Abend, ein Schauspiel lang. Wenn es sie nur nicht so nervös machen würde. Wenn sie sich nur nicht so überfordert fühlen würde. Warum tat sie sich dass überhaupt an? 

,If you always do what you've always done, you'll always get what you've always got.', erinnerte sie sich plötzlich an das Zitat, dass sie dazu gebracht hatte, sich überhaupt für die Stelle zu bewerben. Sie atmete entschlossen durch. Sie wollte neue Erlebnisse, neue Fähigkeiten, neue Erinnerungen, also musste sie sich Neuem und neuen Herausforderungen öffnen. 

Ihr Puls war allerdings immer noch in prüfungsnahen Geschwindigkeiten als sie aus dem Bus stieg und zum Arbeitsplatz ging. Ach, warum nur tat sie sich dass an. Wieder einmal eine vorschnelle Zusage.

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„Sind Sie sich sicher?" Er stand vor ihr im Durchgangsbereich, das Handy in der Hand und der Blick fragend und ernst auf sie gerichtet. „Nein", platzte sie heraus und konnte nicht verhindern das ihre Stimme gehetzt klang. 

Er nickte mit ausdruckslosem Gesicht. „Ich verstehe es absolut, wenn Sie es nicht möchten." Er sagte es ruhig und früher hätte sie es wohl als hart und ungerührt abgetan, aber jetzt war nicht mehr früher und so hörte sie die leise andere Nuance in seiner Stimme: Verständnis. 

Er nickte ihr abschliessend zu, ohne dass sein Blick sie fand. Dann drehte er sich um und ging. Etwas verloren blieb sie in der Mitte des Raumes zurück und sah ihr eigenes Spiegelbild rund um. Sollte sie sich jetzt nicht erleichtert fühlen? Schliesslich hatte er sie gerade aus ihrem indirekten Versprechen gelöst. Aber da war keine Erleichterung in ihr. 

Sie versuchte zu atmen und sich zu sammeln. Da knallte Kim Min-Gyu seinen schwarzen Ich-halt-mir-die-Leute-vom-Leib-Stock auf den Tisch. Wie ein sanfte Erinnerung stieg eine Szene aus der Serie gestern vor ihrem inneren Auge auf. Seine selbstbewusste Haltung. Der männliche Protagonist sagte mit knapper Stimme etwas und setzte sich demonstrativ hin. Die undurchdringliche Minne. Der entschiedene Tonfall. All das kannte sie. Als Zuschauerin der Serie wusste sie aber auch um die Verletzlichkeit des Protagonisten, obwohl er sich so sicher gab. Ihr Blick schweifte zu dem Raum, in dem der Boss gerade verschwunden war. Ach sie kannte es - diese abweisende Selbstsicherheit. Ihre Finger verflochten sich. Und sie wusste um seine Unsicherheit. Sie hatte gesehen, wie er jedes Mal tief durchatmete, bevor er den Sitzungsraum betrat - als müsse er sich überwinden, als wolle er Mut sammeln. Und sie hatte die Unsicherheit in seinen Augen flimmern sehen. Vielleicht ging es bei der Entscheidung gar nicht so sehr um sie. Mit raschen Schritten eilte sie dorthin, wo er verschwunden war. Er stand hinter dem Schreibtisch und sah einen Stapel Papier durch, aber sofort hob er den Kopf. Sie blieb im Türrahmen stehen. „Sind Sie sich den sicher?", fragte sie und wich seinem Blick aus. „Ich hätte dich auf jede Fall gerne dabei.", sagte er und trat mit zwei raschen Schritten um den Schreibtisch herum, so dass sie sich - wenn auch mit Abstand - schräg gegenüberstanden. Sie spürte, dass er sie ansah und langsam hob sie den Blick. „Deshalb habe ich Sie ja gefragt.", fügte er hinzu und seine Augen nahmen ein ernsthaftes Dunkelbraun an. „Dann komm ich freitags mit.", sagte sie schlicht. Seine Augen wurden hell und sie musste sich zusammenreissen um genug Hirn für den nächsten Satz zu haben. „Und wir sehen danach weiter, ob ich's öfter mache", fuhr sie fort. Er nickte und seine Augen waren noch immer hell. Sie blieb einfach stehen. Lächelte sie gerade? Er sah sie noch immer an. Und seine Augen waren so hell. „Also dann", murmelte sie irgendwann, nickte ihm zu und ging, bevor sie nicht mehr wusste welchen Wochentag sie hatten oder wie man das Wort Enzym buchstabierte.


Des Genies SekretärinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt