*. 7 Deine Farben

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Als er aus dem Labor zurück in die Privatsektion kam, hörte er Miga in ihrem ehemaligen Büro, wie sie begeistert über Hundemägen erzählte. In ihre kurze Sprechpause fiel ein zustimmender Laut der Sekretärin. Mit einem Ruck blieb er stehen, hielt den Atem an und lauschte.

Doch er hörte hauptsächlich Migas Stimme, die mittlerweile das Thema zum Kieferbau eines Hundes gewechselt hatte. Nur hin und wieder erklang zwischendurch die Stimme der Sekretärin, die einen kurzen Kommentar, eine Bemerkung oder auch nur einen Laut einwarf, die eher Miga am Reden hielten, als dass sie einen wirklichen Gesprächsbeitrag darstellten. Dennoch machten nur diese kurzen Einwürfe den Raum heller.

So blieb er stehen - immer atemlos und gespannt wartend bis wieder ein Kommentar von ihr kam. Er mochte ihren Dialekt: Aargauer würde er tippen - weicher als Zürcher, formfester als Berner und wärmer als Basler.

Zwei, drei, fünf Minuten stand er regungslos im Durchgangsbereich und lauschte. Als er schliesslich einsehen musste, dass Miga auch in den weiteren Minuten den Löwenanteil des Gespräches bestreiten würde, riss er sich los und verschwand widerwillig in seinem Büro.

Er vertiefte sich in seine Arbeit und wurde erst wieder aufmerksam, als der Klang von Migas Stimme plötzlich änderte - dieser leicht feierlich, verschwörerische und spasshafte Klang kannte er nur zu gut. Doch er hatte knapp den Inhalt des Gesagten verpasst. Aber er hörte die Antwort der Sekretärin, die genauso verschwörerisch antwortete: „Mach ich".

Für einen Moment wollte sich Verlustangst in ihm ausbreiten, aber er atmete tief durch und verscheuchte sie aus seinen Gedanken. Gerade noch rechtzeitig bevor Miga in sein Zimmer stürzte. „Du, ich muss gleich los, aber wollte mindestens noch kurz Hallo sagen", sprudelte sie sofort los und umarmte ihn dabei kurz. Das alles ging so schnell, dass er noch mitten im Aufstehen war, als sie schon die Umarmung beendete.

„Klappt alles?", fragte sie. „Ja, ja", nickte er abfertigend und fragte sofort zurück: „Wie läufts im Studium?" „Viel Stoff wie immer, aber ich schlag mich durch" , antwortete Miga und war so auf dem Sprung, dass sie sich nicht einmal auf die Tischkante setzte „Ich hab mich verplaudert und jetzt wird's mega knapp mit den öV.", fuhr sie hastig fort. Sie sprach schnell, wie immer wenn sie auf Draht war - oder nervös. „Könnte ich Friedrich ausleihen? Dann schaffe ich es noch rechtzeitig. Oder brauchst du ihn?"

Er lächelte innerlich. Sie hatte schon immer leblose Dinge benannt - und so auch die Autos. „Ich brauche ihn nachher, aber ich kann dich hinfahren." „Perfekt!" Sie atmete erleichtert aus. „Danke!" Sie ging schon zur Türe und ergänzte „Zurück kann ich dann mit den öV oder so."

Er schloss mit zwei grossen Schritten zu ihr auf, aber kehrte dann um. „Den Schlüssel", erklärte er dabei knapp. „Ich geh schon vor", nickte Miga und schon verschwand sie aus dem Durchgangsbereich. Im selben Moment traf sich sein Blick überraschend mit dem der Sekretärin, denn die Türe zu ihrem Büro stand weit offen. Aber sie lächelte nicht, sondern ihre Haltung wurde plötzlich steif. Kaum hatte ihr Blick sich mit dem seinen getroffen, senkte sie rasch ihre Augen und brach den Kontakt unmittelbar ab.

Er fühlte, wie sich seine Hand wie von selbst zur Faust ballte. Irgendetwas war falsch gelaufen. Wieder einmal. Enttäuschung brannte in ihm, als er den Schlüssel mit fahrigen Bewegungen aus der Schublade kramte und hastig aus der Privatsektion ging. Schwer fiel die Türe hinter ihm ins Schloss. Abschliessend. Schon wieder ein Schlusspunkt, an einer Stelle an der er keinen wollte?

Er horchte seinen eigenen, hallenden Schritten nach und war froh, niemanden anzutreffen bis er in der Tiefgarage angelangt war. Sein Blick streifte die kleine Betonmauer. Er verharrte kurz.

In der vierten Klasse hatte er Wochen damit zugebracht, Tessa anzuhimmeln. Tessa mit ihren braunen Augen und dem braunen, glatten Haar, dass sie sich häufig verlegen hinter die Ohren strich.

In einer Pause dann, hatte sie mit dem Verschluss ihrer Brotdose gekämpft, seinen scheuen Blick aufgefangen und genauso scheu gefragt, ob er sie ihr öffnen könne. Er hatte genickt, war von der kleinen Mauer gesprungen und als sie ihm die Dose gab, hatten ihre braunen Augen ihn gestreift und ihre kleine Hand die braunen Haare hinter das rechte Ohr gestrichen.

Die Dose war ganz leicht aufgegangen. Sein Herz war gehüpft - sie hatte bewusst eine Begegnung mit ihm gesucht. Ganz vorsichtig und unsicher hatten sie ein Gespräch begonnen, das sich nur schleppend voran bewegte. Ihm war das egal gewesen. Nur schon das sie so nah bei ihm stand, dass sie mit ihm sprach, setzte lauter Glücksgefühle in ihm frei.

Diese Glücksgefühle hatten allerdings nicht lange Zeit sich zu entfalten, denn schon nach wenigen Minuten kam Miga herbeigewuselt, bemüht irgendjemanden vor irgendwelchen Peinlichkeiten zu retten - Tessa, ihn und wohl vor allem sich selbst.

Mit einem Ruck setzte er sich wieder in Bewegung. Dort vorne stand seine Schwester neben dem Auto, neben Friedrich. Miga. Er stiess die Luft aus.

Miga hatte Tessa sofort in ein Gespräch verwickelt, sie zum Lachen gebracht und nach ein paar Minuten waren sie Freundinnen. Tessa war schnell von seiner „social akwardness" zu überzeugen gewesen und hatte ihn in den weiteren Schuljahren gemieden. Seine ein-zwei unbeholfenen Annäherungsversuche hatte sie galant ignoriert, war aber zugleich eine von Migas engsten Freundinnen geworden.

Er schloss das Auto noch im Herangehen auf und riss die Fahrertüre auf ohne Miga gross zu beachten. „Ist was?", hackte Miga leicht irritiert nach, als sie sich rasch auf den Beifahrersitz fallen liess und die Autotüre zuzog. Mit einer zackigen Bewegung startete er den Motor und legte den Rückwärtsgang ein.

Es hatte eine Weile gebraucht, aber irgendwann hatte er sie komplett aus seinem Herzen hinausgekehrt. „Alles gut!", erwiderte er knapp und parkierte ruckartig rückwarts aus. Tessa war nichts weiter mehr als eine von Migas vielen Freunden.

Mit Schwung fuhr er aus der Ausfahrt. Aber sie war es nicht. Seine Hände fassten das Steuerrad fester als sich trotzige Entschlossenheit in ihm breit machte. Hunziker war keine von Migas Freundinnen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 24 ⏰

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