3.2 Farben sind Zeit/Stimmungen

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Abends kam Miga vorbei. Um zehn nach fünf rauschte sie wie meist unangekündigt in ihr ehemaliges Büro. Sie klopfte an die offene Tür. „Feierabend, meine Liebe", verkündete sie und strahlte Guianna an. „Und wie war dein erster Tag in deiner ,vollen' Funktion? Lief's gut?" 

Guianna stand schnell auf. „Hi", lächelte sie, fühlte sich aber ein wenig unwohl. Musste sie nun Miga rapportieren? „Es klappte relativ gut. Aber gibt sicher noch Luft nach oben.", meinte sie dann vage und versuchte locker zu wirken. 

Miga winkte ab. „Natürlich. Niemand erwartet, dass du gleich alles perfekt machst. Kriegst du schon hin." Sie warf sich auf's Sofa. „Und wie läuft's mit meinem Bruder-Monster?" 

Guianna, wegen Migas Antwort von Erleichterung durchflutet, antwortete auf deren letzte Frage daher überschwänglich. „Wie du siehst leb ich noch", erwiderte sie gespielt ernsthaft, lachte dann und liess sich auf den Sessel plumpsen. „Wie läuft's im Studium?" 

„Er kann schon bissig sein, auch wenn er's meistens nicht direkt so meint, wie er's sagt.", philosophierte Miga. Offenbar war sie noch nicht bereit sich vom vorigen Thema zu trennen. „Ich hab sechsundzwanzig Jahre versucht ihm Anstand beizubringen und ihn sozial- und gesellschaftskonform zu machen, aber ich bin gescheitert.", seufzte sie theatralisch und lachte dann. „Nun widme ich mich anderen Aufgaben." Sie richtete sich im Sessel auf. „Dass der Mensch ein Sohlengänger und der Hund ein Zehengänger ist weisst du bestimmt, aber wusstest du, dass der Hund dadurch, dass er ein Zehengänger ist, längere Schritte machen kann und...." 

Es folgte eine längere Ausführung über die Anatomie der Hunde und Vorteile und Nachteile, die daraus folgen. Miga war voller Begeisterung und kaum zu stoppen. Guianna kam sich bald vor wie Puh, der von Rabbit vollgequatscht wird und nur noch in regelmässigem Abstand mit „Mh" und „Ganz deiner Meinung" und Ähnlichem antwortete. Nur mit dem Unterschied, dass sie grundsätzlich schon interessiert war, nur hatte sie nicht die Möglichkeit mehr zu sagen als Puh-ähnliche Antworten. „... allerdings besteht deshalb die erhöhte Gefahr, dass sie sich den Magen verdreh'n....", fuhr Miga gerade fort und zog ihr Handy hervor um ihr eine Abbildung zu zeigen. 

Da fiel ihr Blick auf die Zeitangabe. „So spät schon?!", zischte sie erschrocken und schoss vom Sofa hoch. „Sorry. Ich muss los. Hab noch was los heut Abend.", ergänzte sie und Guianna registriere überrascht, dass Miga ein bisschen rot wurde dabei. Erst jetzt fiel ihr auch auf, dass Miga zu dem Sommerrock hübsche Sandalen mit Absatz trug und nicht in FlipFlops oder Turnschuhen aufgetaucht war wie letzten Male.

 „Viel Spass!", wünschte sie und brachte damit Miga unbeabsichtigt kurz aus dem Konzept. „Äh, Danke", stotterte sie. Dann hatte sie ihre Sicherheit zurückerlangt und grinste. „Das Angebot gilt noch. Meldest dich einfach, wenn du eine Beruhigungsspritze für mein Brudermonster brauchst. Die Behandlung ist inklusive." 

„Mach ich", versicherte Guianna in verschwörerischem Ton, was Miga ein noch breiteres Lächeln hervorlockte. ,Wir sind in einem Bund', sagte ihr schwesterlicher Blick. Dann winkte sie ihr noch einmal zu und stürmte aus dem Zimmer hinaus ins anliegende Zimmer zu ihrem Bruder. 

Guianna blieb stehen. ,Wir sind in einem Bund'. Letztes Mal hatte sie das verschwörerische und verbindende Herumwitzeln noch mit Freude erfüllt. Nun jedoch fühlte es sich ungut an. Der Nachgeschmack ihres zustimmenden ,Mach ich' lag noch immer auf ihrer Zunge -  und er war bitter. 

Ein Bund mit der selbstbewussten, extrovertierten, herzlichen Miga, der alles zu gelingen schien, konnte an sich nichts Schlechtes sein. Irgendwie hatte sie es sich vielleicht sogar heimlich gewünscht - als ob dann etwas von Migas Art, von der selbstverständlichen Freiheit mit der sie sich selbst war, auf sie abfärben würde. Ein solcher Bund musste nichts Schlechtes sein und auch nicht mehr als ein Wortgeplänkel, ein Running-Gag. Aber nicht gegen ihn.

Des Genies SekretärinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt