2.14 Wenn der Vorhang fällt

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Am nächsten Montag ging sie in der Mittagspause zusammen mit Charline mit ihrem Essen durch die Gänge zum Pausenraum. Von mal zu mal verstand sie sich besser mit Charline. Sie waren über die Ebene mit den Fragen zu Ausbildung, Arbeit, Geschwistern und-oder Haustieren hinaus. Sie wusste, dass Charline im letzten Masterjahr von Bio und Chemie war und seit einiger Zeit hier mithalf. Ausserdem hatte Charline eine Schwester und einen Bruder und war stolze Besitzerin von zwei Rennmäusen und Mitbesitzerin des Familienhundes. Irgendwie waren sie auf das unvermeidliche Thema festen Freund oder nicht gestossen und hatten beide verneint. 

-„Ne. Meine Schwester ist im Moment ebenfalls Single. Aber mein Bruder hat 'ne Freundin.", erzählte Charline gerade und brachte ihr krumm werdendes Tablett wieder in die Waagrechte. „Sie, also die Freundin, ist ein absoluter Hundefan und da sie als Kind keinen Hund haben konnten, war sie über jeden Hund entzückt, denn sie irgendwo antraf." Charline lachte: „Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft mein Bruder plötzlich mit unsrem Highland Collie unterwegs war. Auf einmal war Hockey und Gamen gar nicht mehr so interessant." 

Gemeinsam blieben sie am Eingang zum Pausenzimmer stehen und sahen sich nach freien Plätzen um. Guiannas schweifender Blick kam ruckartig zum Stillstand. Da war er. Er sass an einem der Tische. Mitten in den Menschen und doch für sich. Wie konnte er nur immer so isoliert wirken? Er ass und trotz nichtssagendem Gesichtsausdruck war sie sich sicher, dass er das Geschehen rund um aufs Schärfste wahrnahm. 

Den Blick abwendend, versuchte sie wieder nach zwei freien Stühlen Ausschau zu halten. Sie fragte sich, ob er sie ansah. Es fühlte sich so an. Aber vielleicht nur, weil sie ihn nicht ansah. Es gab zig Blicke, die sie gerade streifen konnten, schliesslich standen sie gerade in einem Raum, wo die meisten sassen. Möglich dass sein Blick sie auch gestreift hatte, aber das war dann wohl auch schon alles. Nicht mehr. 

„Jetzt sind sie schon über ein Jahr zusammen, aber Dagles steht noch immer hoch im Kurs.", fuhr Charline fort und marschierte los. Froh darüber, dass Charline einen Tisch mit zwei leeren Plätzen erspäht hatte und zielstrebig darauf zusteuerte, folgte Guianna ihr.  Sie war erleichtert, aber nicht froh darüber, dass es ein Tisch war, an dem er nicht sass. 

Plaudernd begannen sie zu essen und Guiannas Aufmerksamkeit glitt immer seltener zu jenem Platz. Irgendwann waren sie so in das Thema Lieblingsbücher vertieft, dass sie gar nicht mehr auf die Gespräche der anderen achteten und sich mal eifrig redend vorbeugten, mal lachend zurücklehnten und dabei mehr als nur den Anschein machten, dass sie sich gut verstanden. Maya und Bianca waren beruhigt. Oder auch erleichtert. Beide Kücken auf einem Haufen. Dann konnten sie beide im Blick haben. Dann waren beide gut versorgt. Jedenfalls schien es Guianna so, als sie kurz ihren Blick durch den Raum schweifen liess, während Charline das Coverbild eines Buches auf Google hervorsuchte. Die beiden sassen gemütlich an ihren Tischen und plauderten gelassen. 

Ihr Blick glitt ein zweites Mal zu ihm. Warum nur bildete sie sich ein, dass er.... Ach was. Als ob er nichts anderes zu tun hätte, als zu ihr hinzusehen. Sie verdrehte innerlich über sich selbst die Augen und wollte wieder Charline ihre Aufmerksamkeit schenken, als sie im Augenwinkel sah, dass er aufstand. Schon wieder zu früh. Die Pause war noch nicht um. Ein Blick auf das Handy bestätigte es ihr und ihr Blick huschte zu dem Platz auf dem er nicht mehr sass. Sein Handy. 

Sie schoss von ihrem Platz hoch, bevor sie sich dessen wirklich bewusst war. Erst Charlines erstaunter Blick sagte es ihr. „Ich komm gleich wieder.", erklärte sie dieser und steuerte auf jenen Tisch zu. Als sie das Handy nahm, traf sie der Blick von einer der Mitarbeiterinnen. Erst erstaunt, dann misstrauisch. „Ist das deins?", fragte sie. Guianna schüttelte den Kopf. „Nein. Herr Kim hat es vergessen. Ich bringe es ihm." Da zuckte die andere die Schultern und widmete sich wieder ihrem Gespräch. ,Ist nicht mein Bier', sagte ihr Gesichtsausdruck als sie sich abwandte, aber ihr Blick war bis zur letzten Sekunde scharf und lauernd gewesen. 

Guianna schluckte mühsam den seltsamen Geschmack im Mund herunter. Es war ein ungutes Gefühl zu wissen, dass jemand einen möglicherweise des Diebstahls verdächtigte. Sie zwang sich zu ruhigen Schritten, als sie den Raum durchquerte und erst als sie sich ausser Sichtweite wusste, verfiel sie in Laufschritt. 

Nach dem sie eilig einen Gang hinab gelaufen und um zwei Ecken gebogen war, sah sie ihn. Eine Gestallt im langen, leeren, weissen Gang. Wie ein Shooting. Männliches Model. Thema Einsamkeit. In der Endlosigkeit. Das Echo ihrer eigenen, hastigen Schritte eilte voraus und prallte von den Wänden. 

„Kim", sagte sie und klang diesmal atemlos. Er blieb stehen und drehte sich um. „Sie haben", begann sie und versuchte weniger ausser Atem zu klingen während sie die letzten Schritte auf ihn zu ging. Eckiger Gang. Gleichmässig. Im richtigen Winkel würde es auf einem Foto endlos wirken. Und im Fokus er. „Ihr Handy liegen gelassen.", beendete sie ihren Satz. 

-„Danke.", meinte er knapp, nahm es und ging. Danke? Sie sah ihm nach wie er den Gang hinab ging, um die Ecke bog und verschwand. Danke. Da er weg war, brauchte sie ihre nach oben wandernden Augenbrauen nicht zurückzurufen. Eine Situation, die nicht dringend Worte erfordert, als Konversation bestritten und ein Danke. ,Wir machen uns!', dachte sie, ohne sich ganz sicher zu sein, ob sie ihn oder sich meinte. Sie lächelte und konnte wieder Atmen. Und dann kehrte sie mit hallenden Schritten zur Pause zurück. Auf eine andere Bühne. 

Des Genies SekretärinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt