Kapitel 12

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Ich trieb die letzten Minuten meines Lebens kraftlos im Meer. Meine Haut war taub. Meine Arme und Beine regungsunfähig, denn jede noch so kleine Bewegung schmerzte fürchterlich. Wie tausende von Stecknadeln bohrte sich die Kälte des Wassers unter meine Haut. Ich sah keinen Sinn mehr weiterzukämpfen. Selbst wenn ich es erneut zur Oberfläche schaffen sollte und einen weiteren Atemzug holen könnte, wären es nur weitere quälend langsam vergehende Sekunden, die ich mir damit bescheren würde. Retten konnten sie mich nicht mehr. Dafür war es zu spät. Bald war meine Luft verbraucht und ich würde bewusstlos weitertreiben bis zum bitteren Ende, von dem ich dann nichts mehr mitbekommen würde. Körperlich stellte ich mich schon auf die Ruhezeit ein. Dennoch lastete die Situation schwer auf meinen Schultern, auch, wenn man sich die Wassermassen wegdachte. Ich hatte versagt.

Es brachte nichts, sich noch zu rühren, ich fühlte mich nur noch schwer an, obwohl es im Wasser normalerweise andersrum war. Ich hatte bereits aufgegeben. Ich war nicht länger in der Lage, mich noch einmal einem Überlebenskampf über Wasser zu widmen. Dazu reichte meine Kraft nicht mehr aus.

Die Sicht vor meinen Augen verschwamm zu einem unscharfen Bild. Es gab keine Aussicht auf Rettung und ich musste mir auch keine mehr machen. Falsche Hoffnung brauchte ich nicht.

Ich verlor mit meinem Leben alles, aber nicht viel. Das machte es leichter. Trotzdem war es schwer.

Mittlerweile fühlte ich keine Angst mehr, sondern gar nichts. In mir war Leere.

Ein heller Fleck erschien vor mir. Endlich, das Licht der Nachwelt. Sie rief mich. Eine Wolke der Leichtigkeit umgab mich. Sie fühlte sich richtig an und so herzlich, viel besser als die dunkle nasse See. Ich schloss die Augen und mein Bewusstsein schwand. Mein Leben musste ich loslassen. Jetzt konnte ich nichts mehr tun. Es war vorbei.

Es war vorbei.
Es hielt mich nichts mehr fest.
Meine Seele verließ den Körper.
Ich hörte auf zu fühlen, zu denken, zu leben.
Auch wenn es sich richtig anfühlte, dennoch war es falsch. Mein Lebenselixier war aufgebraucht. Nichts hielt mich noch fest.

Dunkelheit umgab mich wie der Tod. Das Licht besiegte es wie die Nachwelt. Konnte meine Seele weiterleben? Gab es die Wiedergeburt? All meine Fragen bekamen keine Antwort.

Ich wollte nicht mehr von hier weg. Es gab keine Sorgen nur Frieden und Vollkommenheit. Alles, was ich sah, war Licht und Energie erfüllte mich. Die Kälte schwand und Wärme umgab mich. Die Nässe war weit entfernt. Das Meer, was mich in den Tod gelockt hatte, war weit weg. Ich atmete erleichtert auf. Es war vorbei.

Bilder blitzten vor meinem inneren Auge auf. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. Es waren Erinnerungen. Sogar jene, die längst in Vergessenheit geraten waren. Doch jetzt hatten sie zu mir zurückgefunden. Ein letztes Mal durchlebte ich mein Leben. Ich war zufrieden. Zwar hätte ich vieles besser machen können, aber ich war nicht perfekt. Sondern ein Mensch.

Die Kraft von hundert Leben wurde mir geschenkt. Ein wunderschönes Gefühl. Wie ein Adrenalinkick. Ich verweilte in diesem Augenblick und genoss ihn mit jeder Faser meines Körpers. Doch er hielt nicht lange an. Mit einem Schlag wurde ich in die Realität zurückgeworfen. Nein, ich wollte dableiben, nicht in die Finsternis zurück.

Ich schlug die Augen auf und fuhr hoch. Wo war ich? Was war passiert? Unter meinen Fingern spürte ich weiches Gras. Eine Prise frischer Meeresluft wehte mir entgegen. Es war immer noch dunkel, aber der Mond und die Sterne spendeten genug Licht. Als ich die Umgebung betrachtete, fiel mir auf, dass ich auf den Klippen lag, die sich neben mir in die Tiefe stürzten. Zu anderen Seite wucherten Bäume und Gestrüpp, sodass ich nicht ausmachen konnte, wo ich war. Aber ich lebte noch. Das war unmöglich. Und doch sagte die Realität das Gegenteil.

Ich verstand nicht, wie das sein konnte. War ich nicht gestorben? Plötzlich tauchte neben mir ein Lichtball auf. Und da wurde mir alles klar. Zischß war mir gefolgt. Sie war es, die mich gerettet hatte, indem sie mir Energie gegeben hatte. Dank ihr lebte ich wieder.

»War ich wirklich tot?«, flüsterte ich geschockt mit brüchiger Stimme. Die Kraft zum Sprechen war scheinbar noch nicht wieder gekommen.

»Ich habe keine Energie mehr in dir gespürt. Das war schrecklich!«, rief sie, aber wirkte erleichtert. Dann war ich also wirklich tot gewesen. Irgendwie konnte ich es mir nicht vorstellen.

»Du hast mich zurück ins Leben geholt«, hauchte ich. Mir fehlten die Worte. Ein Alien hatte mich wiederbelebt.

»Ich weiß.«

»Warum? Und warum bist du mir gefolgt?« Sie sollte nicht hier sein. Es war zu gefährlich für sie, und dennoch war sie mir gefolgt. Genau genommen wüsste sie auch gar nicht, was ihr passieren konnte, aber ich hatte sie gewarnt. Ein Gedanke ließ mich nicht los. Wie hatte sie es überlebt, wenn ich es nicht einmal geschafft hatte? »Wieso konntest du mich retten?«

»Ich brauche keinen Sauerstoff zum Atmen, wie gesagt, nur das Licht. Außerdem hatte ich einen Auftrag zu erfüllen, nämlich außerhalb der Kugel, und dazu brauche ich dich«, erklärte sie. Hatte sie mich nur wegen ihres Auftrags gerettet? Das glaubte ich nicht.

»Wofür genau brauchst du mich?«, fragte ich, obwohl ich es mir schon denken konnte.

»Um weitere Informationen über euren Planeten zu sammeln. Du meintest, ich soll nicht auffallen, weil andere eurer Art Angst haben würden. Zeig mir, was ich machen soll.«

Sie verstand es nicht und das war das Problem. Ich konnte ja schlecht einen Lichtball mit mir umherschleppen. Wie sollte ich das denn erklären? »Es geht nicht. Dazu müsstest du schon wie ein Mensch aussehen. Oder wenigstens wie ein Haustier ... Selbst eine Pflanze würde noch gehen.«

»Das dürfte kein Problem sein. Ich habe erst die Formannahme bestanden«, sagte sie stolz. »Warte, ich probiere es gleich mal aus.« Die Aliens konnten also ihre Form ändern, wiederholte ich in Gedanken. Sie konnten viel mehr, als ich dachte. Zischßs Umrisse verformten sich, verschwommen und wurden länglicher. Als das Licht schwächer wurde, erkannte ich die Gestalt eines dreizehn, höchstens vierzehn jährigen Mädchens. Ihr Haar stand in allen Richtungen, die Augen etwas zu weit auseinander, die Ohren zu weit unten, der Mund zu breit, die Augenbrauen fehlten. Allgemein hatte ihr Körper eine unnatürliche Formgebung. Auf dem zweiten Blick, bemerkte ich, dass sie nur vier Finger hatte und ihre Wimpern ebenfalls fehlten. Trotzdem starrte ich sie eine Weile fasziniert an, bevor ich meine Stimme wiederfand.

»Nein, so kannst du nicht bleiben. Du bist noch nicht ... menschlich genug«, meinte ich. Dann erklärte ich ihr, was genau sie verändern musste. Auch ihr zweites Aussehen war nicht viel besser. Wir brauchten über zehn Minuten, bis sie endlich perfekt unauffällig war.

Lächelnd betrachtete ich mein Meisterwerk. Langes dunkles glattes Haar fiel an ihr herunter. Sie hatte ein perfektes Gesicht und freundliche Augen. Eine zarte Lichtaura umgab sie, aber man könnte genauso gut denken, sie würde von hinten angestrahlt werden, zumindest bei Tag. Aber da sah man es vermutlich eh kaum noch.

»Wow«, machte ich beeindruckt. Mittlerweile war ich aufgestanden. »Du bist wunderschön.«

Sie drehte sich einmal um ihre eigene Achse und betrachtete sich skeptisch. »Und du bist dir sicher, dass ich nicht auffalle?«

Ich schüttelte den Kopf. »Glaub mir. Normaler geht's nicht ... obwohl dein Name.«

»Was stimmt denn nicht mit meinem Namen?«, fragte sie verwundert.

»Niemand heißt hier so und er ist ... auch nicht gerade schön. Jedenfalls nicht aus der Sicht eines Menschen«, versuchte ich mich rasch zu rechtfertigen, denn es war mir schneller rausgerutscht, als ich darüber nachdenken konnte. Hoffentlich hatte ich sie damit nicht beleidigt.

Sie überlegte, bevor ich eine Antwort erhielt. »Ich darf nicht auffallen. Also wie lautet mein neuer Name?« Erleichtert entspannte ich mich. Ich nahm den ersten Namen, der mir in den Sinn kam. »Wie wär's mit Tayla?« Genauso wollte ich mal mein Kind nennen und sie würde sich auch für die nächsten Tage dafür ausgeben.

»Klingt ganz in Ordnung«, sagte Zischß alias Tayla. »Du musst mir nur noch alles beibringen, wie ich mich als Mensch zu verhalten habe.« Ich grinste. Oh ja, das würde ich.

Tayla hatte jetzt ein neues Aussehen, eine neue Identität und musste für die Mission in eine für sie ganz neue Welt. Ich musste dafür sorgen, dass sie nicht auffiel. Wie schwer konnte das schon sein?

Alienwar - Ist das der Untergang?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt