Kapitel 21

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Ich wusste nicht so recht, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht. Die nächste Ebbe würde 23:15 Uhr eintreten - also ziemlich spät. Auch wenn ich das letzte Mal (fast) draufgegangen war, musste ich mich erneut durch das Watt schlagen und meine Angst überwinden. Denn dieses Mal hatte ich drei Stunden bis zur nächsten Flut Zeit. Mit Sicherheit werde ich dann auch rechtzeitig zurückgehen. Derselbe Fehler würde mir nicht wieder passieren. Bis 23 Uhr dauerte es noch eine ganze Weile. Ich sollte bis dahin noch essen, schlafen und meinen Rucksack packen. Zwar bräuchte ich den Schlaf, aber ob ich überhaupt ein Auge zu bekam, war fraglich.

Sollte ich erwischt werden, hatte ich ein großes Problem. Hoffen wir einfach, dass ich es ungesehen rein und wieder rausschaffte. Aber ich musste noch eine Lücke in dem Plan überdenken. Als ich vor ein paar Tagen da gewesen war, kam es nicht zu diesem Problem, aber dieses Mal wird es bestimmt dazu kommen. Statt denselben Weg zurückzunehmen, war ich auf direktem Weg zum Strand gerannt, aber noch mal ging das nicht. Ich musste dort lang zurück, wo ich herkommen werden würde. Nämlich die Klippe nicht nur runter, sondern auch wieder hoch. Wie sollte ich das schaffen? Sie waren sicher steil und rutschig vom Wasser. Ich zweifelte stark daran, dort hochklettern zu können. Deshalb musste ich vorsorgen. Eine Leiter wäre das Einfachste gewesen, aber vielleicht nicht gerade das transportfähigste geschweige denn das stabilste auf dem Schlick. Sie würde nur einsinken und mich vermutlich nicht gerade sicher hinauf bringen. Was würde sich wohl jemand denken, der mich mitten in der Nach mit einer Leiter zum Strand gehen sah?

Eine Strickleiter hatte ich allerdings nicht. Wahrscheinlich konnte ich mir jetzt auch keine mehr beschaffen, weder im Laden noch von den Nachbarn. Außerdem sollte niemand Verdacht schöpfen. Vor allem, nachdem ich mit meinem Gesicht in die Öffentlichkeit getreten war und erklärt hatte, was wirklich in jener Nacht geschehen war, konnte jeder eins und eins leicht zusammenzählen. Ich durfte also nichts mehr tun, was mich verdächtig machte. Das könnte zukünftig noch schwierig werden.

Zurück zu meinem jetzigen Problem. Mit der Strickleiter war ich schon auf dem richtigen Weg. Am Ende griff ich bestimmt sowieso auf die klassische Art und Weise zurück, nämlich ein einfaches Seil. Nur hoffte ich genug Muskelkraft und Kraftausdauer aufbringen zu können, um mich daran hoch zu hangeln. Ich unterschätzte das nicht. Mir war klar, wie dermaßen anstrengend das war und ich hatte danach nicht mehr die nötige Kraft, nachdem ich die Distanz zwischen den Kugeln und den Klippen schnellstmöglich hinter mich gebracht haben würde. Aber wenn ich etwas Anderes aufbringen könnte ... Na klar! Ich machte die Strickleiter einfach selbst. Warum war ich darauf nicht schon eher gekommen? Zwei Seile konnte ich doch bestimmt auftreiben und für die Stäbe fand ich sicherlich draußen genug Äste, ansonsten wurden es eben meine Kochlöffel. Die hielten doch auch einiges aus, oder?

Und damit verbrachte ich schließlich die Stunden vor 23 Uhr. In meinem Rucksack befand sich Taschenlampe, Kamera - weil ich kein Handy hatte, - Strickleiter, Wattschuhe, ein all-round Taschenmesser und einen Schluck zu trinken. Ich wollte jede Spur verwischen, die zu dem, was ich heute vorhatte, führte. Deshalb zog ich auf dem Weg dahin Straßenschuhe an. Falls mich jemand sah, konnte derjenige dann keinen eindeutigen Beweis für mein Vorhaben bringen, vorausgesetzt er sah mich auf der Straße. Wahrscheinlich erkannte mich sowieso niemand, jedoch konnte ich nicht vorsichtig genug sein. Vermutlich sahen die meisten eh keinen Unterschied zwischen normalen Schuhen und Wattschuhen. Meine Übervorsichtigkeit ließ mich schon paranoid werden, aber egal.

Schließlich machte ich mich auf den Weg. Die Luft war kühl und trug die Frische des Meeres mit sich. Das Mondlicht schien heute Nacht heller als sonst. Ich wusste nicht, ob das Fluch oder Segen war. Bessere Sicht für mich bedeutete auch bessere Sicht für andere. Aber dieses Mal würde ich vorsichtiger sein. Es durfte nicht noch einmal so etwas geschehen wie zuvor. Deshalb musste ich nicht nur genügend Zeit einplanen, sondern auch die Überwachungskameras umgehen - falls das überhaupt möglich war. Die Kameras hatten mich von der Seite gezeigt, also standen sie links, wenn man von meiner Wohnung hinaus sieht. Jetzt würde ich so laufen, dass ich für diese Aufnahme hinter den Raumschiffkugeln war. Sicher hatten sie mehr als nur zwei Kameras, aber wenn ich Glück hatte, ging meine Theorie auf. Ich stand mittlerweile am Rande der Klippen und sah hinunter. Das Wasser war bereits zurückgegangen. Nun schmückten Pfützen und Sand den Boden. Nach der kurzen Überwindung sprang ich runter und versank dabei ein wenig im schlammigen Morast. Ich lief eine ganze Weile an den Klippen entlang, bis ich der Meinung war, dass ich für die Kameras hinter den Kugeln verschwand. Hoffentlich hatten sie mich durch die Entfernung und die Dunkelheit nicht erfasst. Aber ich hatte im Fernsehen die Auflösung bei Nacht gesehen und das beruhigte mich, denn sie war nicht gestochen scharf, was auch bei der Entfernung verständlich ist.

Nach einigen Minuten erreichte ich die großen Metallkugeln. Sie waren größer als in meiner Erinnerung, doch das täuschte. Würden sie mir erneut ihre Pforte öffnen und mich hineinlassen? Hauptsache, die Aliens empfingen mich freundlich, statt mich zu verjagen, so wie es das eine Alien vom letzten Mal verlangt hatte. Glücklicherweise hatte er sich nicht durchsetzen können. Demokratie war selbst in einer anderen Galaxie bekannt. Das war doch schon mal beruhigend. Aber aller Anfang war schwer. Ich konnte seine Entscheidung verstehen, da er nicht wusste, ob ich gefährlich für sie werden könnte oder nicht. Letztendlich hatte er nur versucht, seine Mannschaft zu schützen.

Aber nun stand ich wieder hier. Also legte ich meine Hand auf das kühle Material und schloss die Augen. Eine kleine Energiewelle durchflutete überraschenderweise meinen gesamten Körper. Doch ich ließ es zu. Er füllte mich mit Wärme, die ich genoss. Nur konnte ich mich nicht erinnern, dass das zuvor auch geschehen war. Vielleicht war ich durch Taylas Alienenergie empfindlicher geworden. Oder es lag nicht an mir, sondern an dem Schiff. Gleich würde ich die Außerirdischen erneut treffen. Vor Aufregung kribbelte es mir in den Fingerspitzen und ich bemühte mich ein Zittern zu unterdrücken. Mein Herz begann schneller zu schlagen, was es immer tat, bevor ich einen Vortrag halten musste. Ich atmete einmal tief durch und beruhigte mich. Es machte ich ein wenig nervös, dass ich nicht wusste, wie die Aliens durch die neusten Ereignisse auf mich reagieren würden. Immerhin wusste ich, wozu sie imstande waren. Normalerweise sollte mich das nicht aus der Bahn werfen. Ich nahm die Hand von der Oberfläche, wodurch sich der Energiestrom unterbrach.

Irgendwie musste ich den Aliens meine Anwesenheit mitteilen. Am besten ich rief laut und hoffte dabei, dass es keine ungebetenen Zuhörer gab. Es dauerte tatsächlich auch nicht lang, ehe sich Türen der Kugel auseinanderschoben und mir den Blick ins Innere gewährten. Mehrere Lichtkugeln tummelten sich am Eingang. Sie murmelten leise Fragen. »Was hat ein Sterblicher hier zu suchen?« - »Ein Mensch, bei uns?« - »Was hat das zu bedeuten?« Es war mir unangenehm im Mittelpunkt zu stehen und dabei von augenlosen Außerirdischen wie ein Objekt beglotzt zu werden. Das hätte ich mir nicht einmal im Traum ausgedacht. Einer von ihnen schwebte vor. »Was führt dich zu uns zurück?« Seine Stimme erkannte ich. Es war Taylas Vater. »Und wo ist Zischß?«, wollte er wissen. Wie sollte ich ihm nur beibringen, dass ich es selbst nicht wusste? Davor graute es mir. Aber noch schlimmer war, dass meine letzte Hoffnung, sie hier zu finden, erloschen war. Wo war sie nur? Würde ich sie je wieder sehen? Irgendetwas musste passiert sein, aber von ihr fehlte jede Spur.

»Ich hatte gehofft, ihr wisst es.« Tayla war dort draußen - allein und einsam, auf einem ihr unbekannten Planeten, weit von ihrer eigenen Galaxie entfernt. Niemand wusste, wo sie war oder wie es ihr ging. Ich schluckte. War es wieder einmal meine Schuld? Immerhin war ich zuletzt ihre Aufsichtsperson gewesen. Ein Schaudern durchfuhr mich. Würde mich jetzt der Zorn der Aliens treffen?

Alienwar - Ist das der Untergang?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt