Kapitel 26

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Kurz darauf stieg ich in das fremde Auto und band mir, wenn auch widerstrebend, das Tuch vor die Augen. »Fahren wir lange?«, fragte ich und bereute jetzt schon meine Entscheidung. »Steig niemals zu Fremden ins Auto« war mit das Erste, was ich als Kind gelernt hatte, doch gerade tat ich das genaue Gegenteil. Warum musste ich nur so dämlich sein? Konnte ich nicht einfach wieder aussteigen und ihm drohen, damit er mir das sagte, was ich wissen wollte? Natürlich tanze ich nach seiner Nase.

»Nicht lange«, kam Kians Antwort neben mir von dem Fahrersitz. So konnte das nicht weiter gehen! Ohne Vorwarnung riss ich mir die Augenbinde wieder runter, warf die Tür auf und stürmte aus dem PKW. Er würde mich mit Sicherheit nicht blind durch die Stadt kutschieren, wenn ich nicht mal wusste, wo es genau hinging. Wieso hatte ich mich nur für einen winzigen Moment dazu überreden lassen?

»Ich mach das nicht«, sagte ich und erreichte mit schnellen Schritten mein eigenes Auto. Alles in mir drängte mich von hier weg. Gerade als ich nach dem Türgriff fassen wollte, legte sich Kians Hand auf meine.

Verständnisvoll sah er mir in die Augen. Am liebsten hätte ich ihn von mir gestoßen und wäre weggerannt. Doch ich blieb. »Ich kann deine Reaktion verstehen ... Wir lassen das mit der Augenbinde sein, wenn es muss, aber komm bitte mit«, flehte er mich schon fast an. Warum schlich sich jetzt Mitleid in meine Gefühle? Wieso fühlte ich mich auf einmal schuldig, weil ich gehen wollte? Wahrscheinlich, weil ich Tayla sonst im Stich lassen würde. Ich musste sie finden. Das hielt ich mir noch einmal deutlich vor Augen.

Seufzend senkte ich den Blick. »Ich werde mir anhören, was ihr zu sagen habt«, begann ich und damit erhellte sich sofort sein Gesicht, doch als ich weitersprach, fror sein Lächeln ein. »Unter einer Bedingung: Ich werde fahren.«

»Aber dann weißt du, wo wir wohnen. Ich würde das Vertrauen der anderen ausnutzen«, sagte er bedrückt. »Nein, das kann ich nicht.« Kian schüttelte den Kopf.

»Ich dachte, du solltest mich zu ihnen bringen«, antwortete ich stutzig. Er sollte sich mal in meine Lage versetzen. Hier war ich diejenige, die das größere Risiko einging! Langsam hatte ich das Diskutieren satt. Kian musste sich mit meiner Entscheidung abfinden. Doch dieser schien gerade einen Kampf mit sich selbst zu führen, wobei er sich immer wieder die Haare raufte. Ich betrachtete ihn wortlos. Wieso schafften wir überhaupt ein Problem, wo keines sein musste? Wir könnten uns doch einfach woanders treffen. »Warum machst du es so kompliziert? Umgeht doch einfach das Problem, indem wir einen anderen Treffpunkt ausmachen«, teilte ich ihm schließlich mit.

Zu meiner Enttäuschung schüttelte er den Kopf. Ich wurde einfach nicht schlau aus dieser Situation. Und schon gar nicht aus ihm. »Wir dürften uns normalerweise gar nicht mehr hier aufhalten. Wir sind viele Leute. Da bräuchten wir schon mehrere Autos, die wir auch gar nicht haben. Außerdem, wo willst du dich sonst treffen, was nicht weit weg ist und wo uns niemand sieht.« Okay, das waren weit mehr Probleme, als ich erwartet hatte. Da kam ich wohl nicht drumherum. Auch wenn ich auf gar keinen Fall zu vielen fremden Leuten an einen mir unbekannten Ort und noch dazu in einem Evakuierungsgebiet gehen wollte. Doch sie hatten etwas, das ich wissen musste. Selbst, wenn ich mich dazu in Lebensgefahr begab ... hier ging es nicht um mich, sondern um etwas weitaus Größeres als mich, nämlich um mehrere Alien- und Menschenleben und um einen Krieg, der im schlimmsten Fall zum dritten Weltkrieg werden konnte. Aber soweit würde es nicht kommen. Ich musste einfach darauf vertrauen, dass mein Schicksal gnädig mit mir war.

Das Brummen eines Motors war in der Ferne zu hören. Zu meinem Pech war diese Ferne am Ende der Straße, denn dort kreuzte sie die Hauptstraße, von der man allerdings nur einen kleinen Abschnitt sah. Kurz darauf tauchte ein schwarzes Auto auf, gefolgt von weiteren. Ich zog Kian schnell hinter mein Auto, damit sie uns nicht entdeckten. Kian schien im ersten Moment verwirrt, doch als ich in die Richtung der Hauptstraße zeigte, verstand er. Leider blieb es nicht nur bei den Autos, auch Panzer des Militärs konnte ich darunter ausmachen. War es schon zu spät? Hatten sie bereits mit den Vorbereitungen für den Krieg begonnen? Sicher. Aber inwieweit? Hoffentlich kehrten sie nur eine Armee zusammen und blieben ruhig. Doch sobald die Aliens in eineinhalb Tagen ihre Kugeln verlassen würden und die Stadt auf den Kopf stellten, war es auch damit vorbei.

Ich packte Kian am Oberarm und sah ihm fest in die Augen. »Hör endlich auf, so ein Theater um den Weg zum Treffen zu machen«, beschwor ich ihn. »Die Lage ist nämlich sehr viel ernster als erwartet. Willst du etwa an dem Ausbruch eines Krieges schuld sein?« Natürlich erwartete ich keine Antwort, aber meine Worte schienen in ihm etwas auszulösen.

Stumm schüttelte er den Kopf. Unwillkürlich nahm er mehr Haltung an und hob das Kinn ein wenig. »Du hast recht«, stimmte er mir zu und deutete mir zu folgen. Die Fahrzeuge waren mittlerweile aus unserem Sichtfeld gefahren, weshalb wir uns nicht mehr zu verstecken brauchten. Kian öffnete den Kofferraum seines Autos. Dieser war sehr geräumig und fast leer, nur ein paar Einkaufskörbe und ein Rucksack standen an der Seite. Keine Ahnung, was er darin suchte, aber ich verlor das Interesse, ihm dabei zuzuschauen, weshalb ich mich auf die Umgebung konzentrierte.

Mehrstöckige Häuser reihten sich aneinander, sodass sie eine fast lückenlose Wand ergaben. Im unteren Stockwerk befand sich meist ein Geschäft mit großen Schaufenstern. Der Anblick war äußerst ungewohnt. Sonst tummelten sich mehrere Menschen auf den Fußwegen und Autos auf den Straßen, doch jetzt war alles still. Keine Menschenseele weit und breit. Wunderte mich auch nicht.

Das Rascheln von Kian neben mir, der in seinem Rucksack gekramt hatte, war verstummt. Irrte ich mich oder war er nervös? Wer weiß. Vielleicht bildete ich mir auch einfach nur ein, dass er sich zunehmend verkrampfte. Doch so langsam kam es mir seltsam vor. Aber mal ernsthaft, was könnte er mir schon antun? Schließlich war ich diejenige mit Kräften, mit verbesserten Fähigkeiten. Wenn es darauf ankam, konnte ich sicher die Oberhand gewinnen - auch wenn mir meine Fähigkeiten noch neu und wahrscheinlich noch ziemlich unbekannt waren. Nur weil er ein Mann und ich eine Frau war, hieß das noch lange nichts.

Plötzlich schossen seine Hände vor und ergriffen die meine. Es kam so unerwartet, dass ich nur überwältigt dastand. Kaum hatte ich mich versehen, waren meine Gelenke mit Kabelbindern zusammengebunden. Als hätte er mehr als zwei Hände, legte er mir auch schon ein Tuch um die Augen. Bevor mein Gehirn überhaupt realisierte, was das für mich bedeutete, gab mir Kian einen heftigen Stoß, sodass ich zur Seite fiel und unsanft in den Kofferraum prallte. Blind und mit gefesselten Händen hatte ich mich schlecht abfangen können, weshalb ich mir bestimmt viele blaue Flecken zuzog. Er hatte dafür keine fünf Sekunden gebraucht. Mit einem Knall versperrte mir die Heckklappe meine letzte Fluchtmöglichkeit. Als ich mich aufsetzte, nachdem ich mich von dem Schock erholt und die Augenbinde abgenommen hatte, musste ich feststellen, dass der Kofferraum von dem Rest des Wageninneren durch ein Netz getrennt war. Meine Finger krallten sich in die Maschen. Dieser gestörte Kerl! Statt es wie ein normaler Mensch zu klären, entführte er mich einfach mal. Klar, warum nicht?! So lösten sich auch alle Probleme. »Hast du sie noch alle? Was zur Hölle ist dein verdammtes Problem?«, fuhr ich ihn an, sobald er auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte und sparte mir jegliche Nettigkeit. Damit war Schluss! »Und denkst du ernsthaft, dass ich die Augenbinde auflasse? Du weißt schon, dass ich sie selbst mit gefesselten Händen wieder abnehmen kann, oder?« Ich gab ihm gar nicht erst die Möglichkeit, auf meine Fragen zu antworten, denn jetzt kam ich erst so richtig in Fahrt.

Alienwar - Ist das der Untergang?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt