Pull me closer

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Julian

November 2018

„People always say "there's plenty of fish in the sea"... yeah but I got my eyes fixed on that specific emotionally distant salmon who has commitment issues."
-  Unknown

Ich kann nichts gegen das mulmige Gefühl in meinem Bauch tun. Nervös kaue ich auf der Unterlippe und schaue mich gehetzt auf dem Platz um. Ich fahre mir durch die blonden Haare und ziehe mir danach den zweiten Handschuh an. Mein Atem bildet eine weiße Wolke vor meinen Lippen und ich ziehe den roten Trainingspullover noch fester um meinen zitternden Körper. Müde blinzle ich in die Novembersonne und halte dann weiter nach meinem besten Freund Ausschau. Wer hat sich eigentlich ausgedacht das Training schon um halb 10 anzusetzen? Es ist beschissen kalt und viel zu früh für mich ist es auch noch. Und er ist auch immer noch nicht da.
Kai ist ziemlich spät dran heute und die Angst in mir wächst von selbst immer weiter. In letzter Zeit führe ich mich auf wie die größte Memme. Normalerweise versuche ich mir nicht so viel Gedanken zu machen. Tja leider macht Kai das unmöglich. Diese Angst ist ständig da.
Die unbändige Angst davor, dass es schon wieder zu viel für den jüngeren war. Sie ist so sehr Teil von mir, dass es sich beinah natürlich anfühlt. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie häufig wir das jetzt schon durchgemacht haben in den letzten 10 Monaten. Unsere Situation folgt immer dem gleichen Muster: Wir kommen uns näher als beste Freunde das vielleicht sollten und Kais Reaktion darauf ist meistens die Flucht.
Niemals werde ich den Ausdruck auf seinem Gesicht vergessen, nachdem wir uns das erste Mal geküsst haben. Dieser Gesichtsausdruck der in so extremen Widerspruch zu den Gefühlen in meinem Inneren stand. Ohne ein weiteres Wort, ist er gleich aus der Wohnung gestürmt und hat mich allein gelassen. Allein mit dieser Angst die seitdem mein ständiger Begleiter ist. Ich schlucke und versuche nicht daran zu denken... Vergebens.
Kai hat sich damals vom Training abgemeldet und bestimmt zwei Wochen nicht mehr mit mir geredet, oder auf meine Nachrichten reagiert. So lange, bis er plötzlich wieder mit mir gesprochen hat. Einfach so aus dem Nichts war zwischen und alles wie vorher. Nur dass wir natürlich nie über den Kuss gesprochen haben. Wir waren einfach wieder beste Freunde und das hat auch gut funktioniert.
Zumindest bis Kai mich nach einer Rangelei auf seiner Couch wieder um den Verstand geküsst hat. Nur das bei diesem Mal keiner von uns aufgehört hat und wir noch weiter gegangen sind. Miteinander geschlafen haben wir zwar nicht, aber uns gegenseitig befriedigt und das war schon deutlich mehr als jemals zwischen zwei Männern passieren sollte, die sich als Freunde betitelten.
Wieder ging Kai mir danach aus dem Weg und ich litt mehr darunter, als ich es jemals vor ihm zugeben würde.
Dabei blieb es natürlich nicht. Sonst würde ich jetzt nicht so peinlich nervös auf dem Trainingsplatz stehen und zwischen meinen Mitspielern nach Kai Ausschau halten.
Es ist noch nicht lange so anders zwischen uns. Vielleicht seit zwei oder drei Wochen. Tage, die sich für mich angefühlt haben wie die Ruhe vor einem schweren Sturm.
Es fing an als der dunkelhaarige Lockenkopf mich nicht wie sonst immer aus seiner Wohnung geworfen hat, nachdem wir am Morgen nach einer langen Nacht im Club halbnackt nebeneinander wach wurden. Im Gegenteil, Kai hat mich sogar näher an sich gezogen und nicht mehr losgelassen. Und seitdem ist es fast zur Normalität geworden, dass wir uns küssen, wenn wir allein sind und andere Dinge miteinander anstellen, die weit darüber hinausgehen.
So gerne ich glauben will, dass der jüngere jetzt nicht mehr weglaufen wird... Es ist ziemlich unrealistisch. Ich weiß ja nicht mal, was wir sind.
Dass ich nicht komplett heterosexuell bin, habe ich schon vor Jahren gemerkt. Als ich einen Klassenkameraden sehr viel attraktiver fand, als es normal ist für jemanden, der eigentlich nur auf Mädchen steht. Natürlich habe ich das nie an die große Glocke gehängt und Kai ist, abgesehen von einem Kuss mit besagtem Klassenkameraden, auch alles an Erfahrung mit Männern, was ich vorzuweisen habe. Aber immerhin weiß ich mich selbst einzuordnen. Wie das bei Kai aussieht...? Keine Ahnung. Darüber hat der jüngere auch nicht mit mir reden wollen. Zumindest bis jetzt nicht. Vermutlich spricht er auch nicht mit irgendeinem anderen Menschen darüber. So ist Kai einfach und in dem Fall kann ich das auch bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Schließlich muss man in unserer Position noch zehnmal vorsichtiger sein. Selbst 2018 gibt es nicht einen offen homo- oder bisexuellen Fußballer in der Bundesliga oder einer anderen europäischen Liga im Fußball oder einer anderen Sportart.

You broke me first- BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt