Fucked up

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Kai

Dezember 2022

„One day someone will hug you so tight, that all your broken pieces will fit back together."
-unknown

Ich glaube es nicht. Das muss ein Alptraum sein. Das muss einfach ein verfickter Alptraum sein, verdammt!
Ohne Shirt stehe ich in meiner Haustür und davor steht... Es kann nicht sein und doch ist es wahr...
Davor steht tatsächlich meine Familie. Meine Mutter sieht geschockt zwischen mir und Jule hin und her, Jan sieht überrascht aus, Lea schmunzelt wissend und mein Vater... Mein Vater sieht mich voller Wut, Hass und Ekel an. Innerlich brodelt es in ihm, sein Kopf ist schon ganz rot. Ob er wohl gleich hier auf meinem Innenhof explodieren wird? Alles in mir zieht sich zusammen und das liegt nicht an der Kälte.
Er weiß es. Mein Vater weiß von uns und mein Leben ist komplett vorbei. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich reagieren soll.
Jule erwacht als erster aus seiner Starre und nimmt meine Hand. Sanft drückt er sie und der Blick meines Vaters fällt auf unsere miteinander verschränkten Finger. Mein erster Impuls ist es Julians Hand wieder loszulassen. Aber dafür ist es jetzt ohnehin zu spät. Was ich gesagt habe, war wohl mehr als offensichtlich. Die fehlende Kleidung macht es nur schlimmer. Dann fängt Jan sich wieder und dann meine Mutter, die Jule ziemlich gernhat. Lea scheint sich ohnehin schon die ganze Zeit zu freuen. Ich habe ihn zu den Leverkusener Zeiten das ein oder andere Mal mit nach Aachen genommen und meine Familie hat ihn immer schon gern gemocht. Als meinen besten Freund allerdings. Meinen Vater hat er dabei vielleicht auch kurz gesehen, vielleicht auch nicht. Er hat nie viel von Julian gehalten, schon gar nicht, weil er die Dinge rund um den Fußball immer zu leichtnimmt. In den Augen meines Vaters zumindest. Er hat nie verstanden, warum wir so gut befreundet waren. Aber weil Jule auch schon damals kurz eine Freundin hatte, hat er ihn scheinbar nie als „Bedrohung" gesehen. Zumindest wirkt er im Moment nicht so, als hätte er hiermit gerechnet. Ich weiß gar nicht, wie ich noch so normal hier stehen kann. Letztens habe ich nur bei dem Gedanken an diese Situation eine Panikattacke bekommen.
Ohne große Worte schließt Lea ihre Arme um mich und streicht mir über den nackten Rücken.
Danach umarmt sie Julian fest und flüstert ihm etwas zu. Er nickt und lächelt ihr zu. Zu gern wüsste ich, was meine ältere Schwester gesagt hat. Mama umarmt mich ebenfalls und schiebt mich dabei zurück ins Haus.
„Es ist viel zu kalt, Kaichen. Du erkältest dich noch und du genauso, Julian." Ich rühre mich nicht von dir Stelle. Noch viel zu perplex und geschockt bin ich von der Situation.
„Rein, bevor euch noch jemand sieht", herrscht mein Vater uns schließlich an. Jules Augenbraue hebt sich und er folgt argwöhnisch schnaubend dem Wunsch meines Vaters. Der Rest meiner Familie betritt das Haus und die Tür fällt mit einem Knall zu. Balou und Pooch begrüßen völlig unbekümmert meine Mutter, Lea und Jan. Mein Vater schiebt die beiden unsanft weg und in mir staut sich die Wut. Wenn er noch einmal meine Hunde anfasst, raste ich aus.
„Was fällt dir eigentlich ein? Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt?", knurrt er aufgebracht. Irgendetwas in mir zerspringt und ich sacke zusammen wie ein kleiner Junge. Was habe ich auch sonst von ihm erwartet? Ich hasse mich so sehr dafür, aber ich knicke sofort ein. Ich weiß, dass ich für mich und Jule einstehen sollte, aber ich kann nicht. Beschämt weiche ich seinem Blick aus und starre auf den Boden.
„Was ist nur in dich gefahren, Ralf?", fragt Mama schockiert. Ihr war wohl nicht klar, dass er diese Ansicht auch mir gegenüber haben würde
„Mein eigener Sohn ist eine verdammte Schwuchtel, Anne. Das ist in mich gefahren", regt er sich auf. Lea schüttelt schockiert den Kopf.
„Weißt du, was du uns damit antust, Kai? Willst du etwa alles wegwerfen, wofür wir so viel geopfert haben? Wie kann man so egoistisch sein?", versucht er mir ein Schuldgefühl einzureden. Das schlimme ist, dass es funktioniert.
„Es tut mir leid, Papa. Ich wollte nicht... ich... Niemand wird es herausfinden, wenn wir vorsichtig sind", versuche ich leise zu erklären.
„Nenn mich nicht Papa. Du widerst mich an, Kai Lukas! Sowas kann nicht mein Sohn sein", ruft er. Tränen brennen in meinen Augen und ich senke wieder den Blick.
„I-Ich weiß, dass es falsch ist. Aber ich... Ich liebe Julian. Ich habe versucht es nicht zu tun, mich fernzuhalten und ihn zu vergessen, aber es geht nicht. Ich kann nicht und, wenn wir aufpassen, dann-"
Er schnaubt verächtlich und bringt mich damit zum Schweigen.
„Du bist krank, einfach nur krank. Merkst du nicht wie ekelhaft das ist? Wenn ich mir nur vorstelle, was ihr getan hättet, wenn wir nicht hier wären, wird mir schlecht!", donnert er los.
Ich habe nicht mal mehr die Kraft ihn anzusehen. Die Wut, Trauer und Enttäuschung in meinem Inneren sind zu viel für mich. Alles passiert auf einmal und ich weiß nicht wohin mit mir.
„Ich habe dir gesagt was passiert, wenn ich dich nochmal erwische, Kai Lukas. Du weißt, was du mir antust. Ich habe dich gewarnt. Das Einzige, was dir vielleicht noch hilft ist eine Therapie", regt er sich weiter auf. Jule schüttelt den Kopf.
„Jetzt ist es aber mal gut! Kai hat Ihnen gar nichts angetan! Sein einziges Verbrechen ist es, einen Mann zu lieben, was im Jahr 2022 eigentlich normal sein sollte", verteidigt er mich. Mein Vater lacht bitter und mein Herz zieht sich zusammen. Es tut so weh, dass er so von mir denkt und mir dieses ekelhafte Gefühl gibt.
„Danke, aber ich nehme keine Ratschläge von kleinen Tunten an. Geh lieber ein paar Schwänze lutschen, davon hast du sicher mehr Ahnung", weist er Jule zurecht. In diesem Moment legt sich ein Schalter in mir um. Vom kleinen Häufchen Elend, werde ich zum fucking Hulk. Niemand darf so mit meinem Freund sprechen. Schon gar nicht, wenn ich danebenstehe.
„Halt die Fresse! Sprich gefälligst nicht so mit meinem Freund, sonst kannst du was erleben!", brülle ich ihn an. Keine Ahnung, woher ich die Kraft nehme. Die andern schauen mich erschreckt an. Nur mein Vater lacht hämisch.
„Du bist eine Schande für diese Familie, Kai Lukas. Du stellst so eine kleine Tucke vor deinen eigenen Vater", seufzt er kopfschüttelnd.
„Ich dachte du bist nicht mehr mein Vater", gifte ich ihn an. Er verdreht gelangweilt die Augen und winkt ab.
„Wenn ich die Champions League gewinne, dann bin ich gut genug, oder? Wenn ich Tore schieße und du mit mir angeben kannst, dann willst du mein Vater sein. Aber in den Momenten, wo es wichtig wäre, bist du der beschissenste Vater, den man sich vorstellen kann", fahre ich ihn an. Meine Augen voller Tränen, die Hände zu Fäusten geballt.
„Du kleine Schwuchtel, ich werde dir zeigen was für ein Vater ich bin. Die Presse freut sich sicher über eure Story", droht er uns und mein Herz sinkt plötzlich tiefer.
„Einen Teufel wirst du tun", mischt Mama sich jetzt ein, „und überhaupt wie kannst du so mit unserem Sohn sprechen?" Julian legt seine Arme um mich, während ich versuche die Tränen zurückzuhalten, die jetzt stärker in meinen Augen brennen. Ich kann jetzt nicht heulen. Ich will meinen Vater nicht noch mehr Gründe geben mich fertigzumachen.
„Er hat es nicht anders verdient, Anne. Siehst du nicht, was er uns damit antut?", fragt er sie. Lea und Jan sehen ebenso schockiert aus wie Jule und meine Mutter. Für mich ist das hier nichts Neues, was es trotzdem nicht weniger schmerzhaft macht.
„Nein Ralf, ich sehe nicht, was er uns damit antut. Kai ist immer noch unser Sohn und er ist verliebt und glücklich. Wie kann das etwas schlechtes sein?"
„Er ist einer von denen, Anne. Einer von diesen Arschfickern. Das ist widernatürlich. Das ist krank und gehört verboten", versucht er ihr allen Ernstes zu erklären.
„Deine Einstellung zu diesem Thema habe ich noch nie verstanden und sie hat mich meist nicht weiter belastet, weil es uns nicht betroffen hat. Aber hier und jetzt geht es um unseren Sohn. Es geht um unseren Kai, der sich in Julian verliebt hat. Wir sollten uns verdammt nochmal freuen", versucht sie ihrem Mann ins Gewissen zu reden. Der verschränkt allerdings nur die Arme vor der Brust und schüttelt enttäuscht von Mama den Kopf. Sie ignoriert ihn daraufhin einfach und fängt an ihre Sachen abzulegen und an die Garderobe zu hängen. Jan und Lea sehen leicht verunsichert aus, aber machen es dann doch genauso.
„Ich muss mich für meinen Mann entschuldigen. Tut mir leid, Julian. Natürlich sind wir sehr froh darüber, dass ihr zwei euch gefunden habt", lächelt Mama ehrlich. Jule lächelt dankbar zurück.
„Tut mir leid, dass wir so unangekündigt hier reinschneien. Wir wollten dir eine Freude machen, Kai. Weil du doch letztes Weihnachten so einsam warst", erklärt sie und führt mich in mein eigenes Wohnzimmer, wo ich mir als erstes wieder etwas anziehe und Jule seine Sachen ebenfalls reiche.
„I-ist schon gut, Mama", nuschle ich.
„Ich weiß gar nicht was ich sagen soll", plappert Lea auf einmal los, „ich freue mich einfach so für euch. Und ich find's so cool, dass du schwul bist, Kaichen!" Ich spüre wie meine Wangen warm werden und ich kratze mich als Reaktion verlegen am Kopf.
„Gut, dass es Jule ist. Ihr passt echt perfekt zusammen", meint jetzt auch Jan und klopft mir auf den Rücken. Sie hassen mich nicht. Meine Mutter und auch meine Geschwister scheinen mich sogar zu akzeptieren. Das ist so unwirklich für mich. Ich hatte immer gedacht sie würden genauso reagieren wie mein Vater.
„Ermutigt diese Schwuchtel doch nicht auch noch! Es ist widerlich und falsch, was Kai Lukas da abzieht und überhaupt-"
„Es reicht! Sie können nicht einfach hierherkommen und so mit Kai sprechen!", ruft mein Freund und baut sich vor meinem Vater auf. Nie hätte ich gedacht, an diesen Punkt kommen zu müssen. Papa hätte niemals hiervon erfahren dürfen. Nie, nie, niemals. Mir fällt das Atmen schwer und die Hand meines Bruders auf meiner Schulter gibt mir die Kraft auf den Beinen zu bleiben.
„Wie kann man so ein homophobes Arschloch sein? Merken Sie eigentlich was Sie Kai damit antun?", wettert Jule weiter. Auch wenn ich es schätze, wie sehr er sich für mich einsetzt, bin ich gleichzeitig ziemlich verängstigt, was als Reaktion von meinem Vater darauffolgen wird. Wenn er meinem Freund auch nur ein Haar krümmt, raste ich aus.
„Ich kann mit meinem Sohn so sprechen, wie es mir passt! Misch du dich nicht ein!", brüllt er den blonden an und schubst ihn ein Stück zurück.
„Ralf!", ruft meine Mutter schockiert aus und ich stelle mich in einem Reflex sofort vor Julian. Egal wie viel Angst ich vor meinem Vater und seiner Ablehnung habe, ich werde es nicht zulassen, dass er Jule so behandelt. Nicht wenn ich es verhindern kann.
„Fass ihn noch einmal an und du kannst was erleben", knurre ich bedrohlich. Papa lacht bitter auf und sieht mich genauso an, wie ich es befürchtet hatte.
„Was willst du tun? Schlägst du deinen Vater? Dafür bist du nicht männlich genug. Du warst schon immer verweichlicht und schwach. Kein Wunder, dass eine Schwuchtel aus dir geworden ist", zischt er. Seine Worte sind nur da, um mich zu verletzten. Und das tun sie. Jedes einzelne fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Aber er hat recht. Ich bin schwach. Schwach, weil ich ihm die Macht über meine Gefühle gebe. Ihm erlaube mir wehzutun, ihm gestatte in mein Haus zu kommen und so mit mir zu reden. Schwach, weil ich ihn so mit Jule reden lasse und ihm nicht mal richtig die Stirn bieten kann.
Aber jetzt reicht es! Es ist genug. Kein Wort will ich mehr von seinem Bullshit hören.
„Raus hier! Ich will, dass du sofort mein Haus verlässt!", fordere ich so ruhig wie es mir möglich ist. Er hebt eine Braue und lässt seinen Blick abschätzig von oben nach unten an mir herab wandern.
„Gerne, aber bilde dir bloß nicht ein, dass ich nochmal wiederkomme. Du kannst dich melden, wenn du bereit für eine Therapie bist und diese Tucke nicht mehr hier ist", sagt er lächelnd und drückt meine Schulter so sehr, dass es wehtut.
Angespannt versuche ich keine Reaktion zu zeigen. Diesen Sieg will ich ihm nicht auch noch geben. Sagen kann ich allerdings auch nichts. Mir steckt ein Kloß in der Größe des Mount Everest im Hals und ich bin mir sicher, ich würde weinen, wenn ich versuchen würde, jetzt noch einen Ton hervorzubringen. Die Erleichterung als er endlich geht ist so immens, dass ich laut aufatme. Die Tür fällt endlich hinter meinem Erzeuger zu und Julian ist sofort bei mir.

Er legt einen Arm um meine Hüfte und zieht mich unendlich sanft in eine Umarmung, die ich gerne erwidere. Dann hält er mich ganz fest in seinen Armen und gibt mir damit die Erlaubnis loszulassen. Gibt mir die Stärke, die es braucht, damit ich mich nicht mehr zusammenreißen muss. Die Tränen fließen ganz voll allein und das Schluchzen folgt wenig später. Jule hält mich weiter und streicht mir über den Rücken. Küsst meine Schläfe und flüstert mir zu, dass er für mich da ist. Ich weiß nicht, wie lange wir dastehen, bis er sich von mir löst und Mama mich an seiner Stelle ich den Arm nimmt. Umringt von Lea und Jan, die versuchen mich aufzubauen, lasse ich mich weiter in ihre Arme sinken.
„Das meint dein Vater nicht so", versucht sie mich aufzumuntern. Aber ich weiß es besser. Er meint das genauso. Er findet mich abstoßend, aber das ist nichts Neues. Keine weltbewegende Erkenntnis, zumindest nicht für mich. Papa hat mir schon vor langer Zeit klargemacht, was er von mir und meiner Sexualität hält.
„Doch Mama, das meint er so", weine ich und lasse dem Schmerz freien Lauf. Es ist als würden all die über die Jahre angestauten Gefühle sich plötzlich einen Weg nach draußen verschaffen. Alles, was ich so lange in mir verschlossen hatte. Nur Jule und meine Freunde haben einen winzigen Teil davon zu Gesicht bekommen. Jetzt vor Mama kann ich mich überhaupt nicht mehr zusammenreißen.
„Ach mein Schatz, er braucht sicher nur Zeit. Er wird euch früher oder später akzeptieren. Ganz sicher", meint sie und ich wünsche mir so sehr, dass sie recht hat. So wie sie immer recht hat.
„Er hatte schon lange genug Zeit. Aber ich hoffe, dass du recht hast", nuschle ich. Mama streicht mir über den Rücken und hält mich weiter fest.
„Weiß er es schon lange?", fragt sie und ich nicke nur weil die Tränen mir das Sprechen wieder schwer machen. Ich komme mir vor wie die größte Memme. Wer heult denn so rum? Aber ich kann mich noch nicht beruhigen.
„Nimm dir das bloß nicht zu Herzen, mein Kaichen. Du bist genau richtig, so wie du bist", flüstert sie und wuschelt mir durch die Haare. Das ist sehr viel leichter gesagt als getan. Aber sie hat natürlich recht. Und sie ist nicht die erste Person, die mir versucht klarzumachen, dass mein Vater unrecht hat. Timo, Mase, Dec und vor allem Jule haben auch schon versucht mir das einzubläuen. Und es zeigt Wirkung. Langsam, aber sicher bekomme ich ein sehr viel gesünderes Bild von mir selbst.
Es tut weh sowas von seinem eigenen Vater zu hören, keine Frage. Aber der Selbsthass bleibt dieses Mal aus. Ich liebe Jule zu sehr und bin zu egoistisch, um auch nur darüber nachzudenken ihn wieder von mir wegzustoßen. Dann bin ich eben ein Fußballer, der auf Männer steht. Das ist kein Weltuntergang, oder?
Mason und Declan schaffen es auch und sie sind sicher nicht die einzigen.
„Ich weiß und ich lasse mir auch nichts anderes mehr einreden", sage ich mit fester Stimme und wische mir die Tränen aus den Augen. Ich habe genug geweint. Ich will gar nicht wissen was Papa davon halten würde.
Wir lösen uns voneinander und ich finde sofort Jules Blick. Er lächelt, voller Stolz, voller Zuversicht und mein Herz schlägt höher.
„Ach Kai ich freu mich so für euch zwei", grinst Lea und zieht mich in eine Umarmung.
„Ich freue mich auch für euch", versichert Jan uns und nickt Jule zu.
„Könnte mir auch niemand besseren für dich vorstellen", schmunzelt er. Ich glaube sowas ähnliches haben die beiden eben schon gesagt.
„Jaja ihr wiederholt euch", ziehe ich sie deswegen auf. Jan schubst mich leicht und Lea verdreht die Augen.
„Oh mein Gott, ich hatte also doch recht. Du warst super verknallt, also du dein Handy und Jules Rentierfoto angehimmelt hast", ruft Lea plötzlich. Ich spüre meine Wangen rot werden.
„Halt doch die Klappe", seufze ich beschämt. Aber es ist schon zu spät. Jule ist längst hellhörig geworden und hat dieses verschlagene Grinsen im Gesicht.
„Du hast dieses alberne Bild von mir angehimmelt?", fragt er leicht spöttisch.
„Ne sicher nicht. Ich hab dich nur ausgelacht", versuche ich mich rauszureden. Jan prustet los und sogar Mama lacht.
„Du hättest seinen Blick sehen sollen. Er war absolut hingerissen", lacht Jan.
„War ich überhaupt nicht. Was du wieder redest", wehre ich halbherzig ab.
„Ist schon gut Havy. Ich verstehe dich, bei meinem Anblick geht das wohl nicht anders", meint mein Freund so arrogant, dass ich unwillkürlich lachen muss.
„Du eingebildeter Spinner", schmunzle ich und ziehe ihn unerwartet in eine Umarmung. Jule gluckst und lehnt sich an mich.
„Eingebildet? Ich? Niemals", kichert er. Ich stupse ihn mit meiner Nase an und lehne meine Stirn an seinen Kopf.
„Du laberst echt immer nur scheiße", nuschle ich und halte ihn fester. Es ist als hätte sich die Stimmung komplett gewandelt, seitdem meine Tränen versiegt sind. Wir sind ausgelassen und ich fühle mich irgendwie befreit. Und das, obwohl mein Vater alles andere als positiv auf unsere Beziehung reagiert hat. Vielleicht braucht Papa wirklich Zeit. Und bis dahin... Bis dahin habe ich den Rest meiner Familie hinter mir. Ich könnte schon wieder heulen. Nur dieses Mal vor Glück. Vielleicht liegt es auch an meinem Vater, dass es so unwirklich für mich ist, dass sie mich akzeptieren auch mit einer anderen Sexualität.
Immer bin ich davon ausgegangen, dass sie mich genauso behandeln würden wie er. Dass ich den gleichen Blick bei meiner Mutter und meinen Geschwistern zu sehen bekäme. Aber alles, was ich in ihren Gesichtern sehe, ist Zuneigung. Jule drückt mir einen Kuss auf die Wange und löst sich von mir.
Während ich noch immer etwas perplex bin, schlägt er vor sich endlich hinzusetzen und versorgt meine Familie mit Gehränken. Dann stößt er mit Jan bei einem Bier an und startet ein Gespräch über die Bundesliga und die WM. Lea und Mama haben hingegen diesen ganz bestimmten Blick drauf.
Diesen neugierigen, mit dem sie mich immer schon angesehen haben, wenn die beiden dachten sie könnten mir irgendwelche brisanten Infos über ein Mädchen in meinem Leben entlocken.
„Komm zu uns, Kai", bittet Mama mich und ich kann mich schon denken, was jetzt folgt. Ergeben rutsche ich näher zu den beiden rüber.
„Na dann erzähl mal", fordert Lea. Ich stelle mich erstmal ahnungslos und sehe sie fragend an.
„Was genau?" Sie verdreht die Augen.
„Stell dich nicht noch dümmer, als du bist. Natürlich von Jule und dir!", seufzt sie. Ich räuspere mich und werfe dem älteren einen Hilfesuchenden Blick zu. Das scheint er nicht mal zu bemerken so sehr ist er ins Gespräch mit Jan vertieft.
„Na komm schon, Kaichen. Wie lange seid ihr denn zusammen?", hakt jetzt auch Mama nach.
„Also... wir... äh... Ich weiß nicht so richtig-"
„Sag mal weißt du etwa nicht, wie lange wir zusammen sind?", fragt Jule plötzlich gespielt schockiert. Wie kann man so nerven? Der weiß doch ganz genau, warum ich so zögere.
„Dann erklär du doch mal", brumme ich und sehe ihn erwartungsvoll an.
„Wir sind zusammen seit dem 17. September", antwortet er trocken.
„Ja ganz toll, das hätte ich auch hinbekommen. Und das andere Datum lässt du dann unter den Tisch fallen, oder wie?" Mama und Lea schauen verwirrt zwischen uns hin und her.
„Wusste ich, dass du auch direkt das ganze Drama auspacken wolltest?" Sofort wird Lea hellhörig.
„Drama? Was für ein Drama?", fragt sie neugierig. Das habe ich mir wohl selbst zuzuschreiben. Nicht sonderlich clever im Nachhinein.
„Wie waren im November 2018 schon mal zusammen. In Leverkusen damals noch. Aber da... Keine Ahnung... da habe ich mich noch verhalten wie ein Arschloch. Dann haben wir uns getrennt und Jule ist gewechselt und ich auch. Dann hatte er eine Freundin, ich hatte was mit einem anderen, aber bin nie über Julian hinweggekommen. Aber er hatte dann Anna und die hat er dann mit mir betrogen. Jule wollte sich dann irgendwann auch mal von ihr trennen und als ich zu Besuch in Dortmund war hat sie uns erwischt und jetzt... Jetzt sind wir hier", erzähle ich unsere Geschichte im Schnelldurchlauf. Wie schmerzhaft und dramatisch das Ganze wirklich für mich war, lasse ich weg. Das müssen sie nicht jetzt hören. Es ist viel wichtiger, dass wir jetzt an diesem Punkt sind und uns gegenseitig glücklich machen.
„Irgendwann auch mal?", wiederholt der Blonde meine Worte. Meine Verletztheit war wohl doch überdeutlich aus meinen Worten herauszuhören.
„So habe ich das nicht gemeint. Das weißt du doch, oder?" Er seufzt und nickt schließlich.
„Also geht das das seit über vier Jahren und du hast uns nichts davon erzählt?", fragt Jan vielleicht etwas enttäuscht. Wundert ihn das nach Papas Reaktion?
„Du hast doch gesehen, was Papa davon hält. Glaubst du, nachdem er es wusste, hatte ich noch Lust darauf auch von euch so behandelt zu werden?" Meine Stimme klingt bissiger, als ich es beabsichtigt habe und ich bereue es sofort. Als könnte er was dafür. Jan hätte mich nie anders behandelt. Das weiß ich jetzt.
„Seit wann wusste er es?", fragt Mama und ihre Augen sind glasig.
„Seitdem ich 15 war", erzähle ich und sie presst die Lippen aufeinander. Eine Träne löst sich aus ihrem Auge und läuft ihr langsam über die Wange.
„Hätte ich es doch nur gewusst, dann hätte ich dich irgendwie unterstützen können. Gott, es tut mir so leid mein Kaichen. Sowas sollte niemand durchmachen müssen." Sie nimmt meine Hand, drückt sie kurz und lächelt mitfühlend. Ihre Augen immer noch gefüllt mit Tränen.
„Es war nicht leicht, das stimmt. Aber Julian und die Jungs haben mir geholfen mich zu akzeptieren und zu verstehen, dass es völlig in Ordnung ist ein schwuler Fußballer zu sein. Und so langsam glaube ich selbst auch daran", erzähle ich und mein Freund lächelt stolz und nimmt einen Schluck von seinem Bier.
„Du hast wirklich so eine tolle Entwicklung gemacht, Baby", lobt er mich. Wie jedes Mal freue ich mich unheimlich darüber, dass Jule das so anerkennt. Auch wenn er mir manche Dinge gefühlt noch nicht so zutraut. Aber ich denke das ist normal und braucht einfach seine Zeit.
„Ihr zwei seid wirklich ein sehr schönes Paar. Es ist gut, dass ihr wieder zusammengefunden habt", lächelt Mama und mir wird warm ums Herz. Damit haben wir die erste Fragerunde tatsächlich halbwegs erfolgreich hinter uns bringen können. Lea und meine Mutter konzentrieren sich nämlich auf andere Themen. Ich beteilige mich an der Unterhaltung über die restliche Bundesliga Saison und lande mit Jan und Jule irgendwann wieder beim Thema Chelsea und den letzten dramatischen Entwicklungen. Dabei kuschle ich mich an die Seite meines Freundes und genieße es ihm so nah sein zu können, während meine Familie bei mir ist. Dass es so dazu kommen würde, hätte ich mir im Traum nicht ausmalen können. Mama unterbricht unser Gespräch nach einiger Zeit, um mit uns über Weihnachten zu sprechen und die Pläne, die sie gemacht hat. Von Essen bis Bescherung und meinem Spiel am 27. Dezember. Jule und ich sind beide begeistert, jetzt doch kein Essen bestellen zu müssen. Und das Essen von meiner Mutter, schmeckt mir nach Omas doch immer noch am besten.
„Kommt Oma auch?", frage ich die anderen. Meine Mutter nickt lächelnd.
„Ja, sie kommt auch. Aber der Flug kam ihr zu früh. Du weißt ja wie sie ist", erklärt Mama schmunzelnd.
„Ich lasse Oma aber nicht mit einem normalen Flug kommen. Ich werde ihr einen Flieger bestellen. Sie muss nur sagen wann", meine ich sofort. Meine Oma ist mir einer der aller liebsten Menschen auf der Welt. Ich glaube sie ist die einzige, der ich fast täglich auf WhatsApp schreibe.
„Ich weiß, ich weiß", seufzt Mama. Da fällt mir plötzlich ein entscheidendes Detail ein.
„Mama? Meinst du Oma hat was dagegen?"
„Gegen dich und Julian?", hakt sie nach. Ich nicke und sie schüttelt sofort den Kopf. Jan winkt auch sofort ab.
„Du bist ihr Lieblingsenkel, wahrscheinlich wird sie euch zwei nicht mehr in Ruhe lassen und euch direkt eine Hochzeit aufdrängen wollen. Aber schlimmeres habt ihr nicht zu befürchten", lacht mein Bruder.
„Deine Oma wird dich immer lieben, Kaichen", versichert Mama mir auch nochmal. Erleichtert atme ich auf.
„Hochzeit?", fragt Jule plötzlich verstört. Ich lache auf.
„Digga ist der Gedanke mich heiraten zu müssen so schlimm, ja?", ziehe ich ihn auf.
Er hebt unschuldig die Hände.
„Nein, natürlich nicht. Aber-" Ich drücke ihm einen Kuss auf den Mund und bringe ihn damit zum Schweigen.
„Entspann dich Babe, das hat Zeit."
„Mein Gott seid ihr süß", quietscht Lea und wir beide verziehen das Gesicht. Worüber wir kurz darauf lachen müssen. Meine Brust ist wieder so warm und gefüllt von lauter Glücksgefühlen, die ich noch vor ein paar Stunden nicht vermutet hätte.
Klar, es ist nicht perfekt. Mein eigener Vater verachtet mich nach wie vor und hat damit gedroht meine Beziehung öffentlich zu machen... Wie könnte man das als perfekt bezeichnen?
Aber es ist fast Weihachten und die Liebe meines Lebens ist hier in meinem Arm und meine Familie, die mich in allem unterstützt und trotz allem liebt. Das ist schon ein guter Anfang, finde ich.


Jetzt wisst ihr endlich, wer vor der Tür stand 👀

Manche von euch hatten das schon richtig vermutet. Aber der Satz mit der Erkenntnis in „ihren Augen" hat nochmal für Verwirrung gesorgt.
Aber nein, zum Glück hat Anna kein Comeback bekommen 😅
War auch so schmerzhaft und dramatisch genug finde ich 🥲
Aber ich bin sehr stolz auf Kai und liebe die Unterstützung seiner restlichen Familie sehr 🥹

Ich hoffe euch hat es trotzt längerer Wartezeit gefallen ❤️

- Carmi 🤘🏻

You broke me first- BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt