Overburdened

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Julian

"It's easy to say you're over someone if you aren't seeing them. The challenge is to look them in the eye and see their smile and hear their voice and still be able to say, "this is not what I want anymore". "
- unknown

Mai 2022

Mein Kissen riecht noch immer nach ihm. Der Geruch ist nur noch ganz leicht wahrnehmbar, aber er ist da. Er ist da und erinnert mich daran, was in diesem Bett passiert ist, bevor Anna angereist ist. Ich schlucke schwer und beobachte meine Freundin die gleichmäßig atmend neben mir liegt. Sie sieht so friedlich aus, während sie auf dem Rücken liegt und schon schläft. Ihre Gesichtszüge sind komplett entspannt, während sie friedlich und ahnungslos von den Dingen, die ich ihr schon angetan habe, schläft.
Ich schäme mich unheimlich dafür, dass ich mich schon wieder nicht unter Kontrolle hatte.
Doch es war nur ein Fehler. Ein Fehler, der mir so nicht mehr passieren darf. Nicht mehr passieren wird! Das schlechte Gewissen fühlt sich an, als würde mir ständig jemand die Kehle zudrücken, und zwar nicht auf die gute Art.
Was für eine Scheiß Situation. Fast genauso beschissen, wie mein Gespräch mit Kai heute Morgen.
Ganz fair war es sicher nicht von mir, zu erwarten, dass die Anwesenheit meiner Freundin ihn nicht weiter beschäftigt. Trotzdem hätte er mich nicht direkt so angreifen müssen. Aber das ist nicht der Grund, warum ich jetzt gerade wachliege. Etwas anderes, was Kai gesagt hat, will mir nicht aus dem Kopf gehen.
Die ganze Zeit bin ich davon ausgegangen, dass er und Mason Mount ein Paar sind. Ich dachte ich wäre nicht der Einzige, der fremdgeht. Nicht der Einzige, der diesen Fehler begeht. Keine Ahnung wie ich mich mit dieser Information fühlen soll. Es nervt mich unheimlich, dass er mich belogen hat.
Es gibt wenig Dinge, die ich so sehr hasse wie Lügen. Ziemlich lächerlich, dass es gerade mir so geht. Vor allem im Moment, wo ich doch derjenige bin, der pausenlos lügen muss. Aber warum war Kai nicht einfach ehrlich zu mir? Warum hat er mich in dem Glauben gelassen? Ich war so verdammt eifersüchtig auf diesen Mason. Jedes Bild von den beiden habe ich gehasst, jeden Torjubel, jede Umarmung, jede verfluchte Interaktion. Selbst wenn sie nicht zusammen sind, waren sie sich doch so nah, dass es mich gestört hat.
Aber warum? Ich habe immer noch kein verdammtes Recht dazu. Ich verlange von Kai, dass er nicht eifersüchtig auf Anna sein soll, doch bin es selbst jedes Mal, wenn ich ihn mit einem anderen sehe.
Ich komme selbst nicht mehr mit, was meine Gedanken und Gefühle angeht.
Kai ist Single und vielleicht liegt das auch ein bisschen daran, dass er noch etwas für mich übrig hat. Oder das ist eine Wunschvorstellung von mir. Aber es ist sowieso egal. Das kommt alles zu spät. Ich habe so lange gewartet, so lange, dass irgendwas kommt. Dass er mir irgendein Zeichen gibt, sich meldet, mich anruft oder wenigstens betrunken oder so versucht mit mir zu sprechen. Aber nichts von dem kam. Alles zu spät. Ich habe mich in Anna verliebt und Kai hat weitergemacht, wenn nicht mit Mason, dann mit anderen, da bin ich sicher. Mein Hirn arbeitet so angestrengt an einer Lösung, dass es ein Wunder ist, dass mir kein Qualm aus den Ohren steigt wie in einem albernen Cartoon. Aber alles ist so kompliziert geworden, dass ich kaum mehr weiß wo mir der Kopf steht. Ich liebe Anna und doch lässt Kai mich nicht los. Keine Ahnung, was ich tun soll...

Am nächsten Morgen bin ich so müde, dass ich es kaum aus dem Bett schaffe. Eigentlich werde ich nur wach, weil Anna mir einen Kaffee ans Bett bringt. Sie ist echt die Beste. Schweigend trinken wir nebeneinander unseren Kaffee und lehnen zusammen am Kopfteil des Bettes.
„Morgen", brumme ich nach einer Weile und drücke Anna einen Kuss auf die Wange.
„Morgen Juli", gibt sie lächelnd zurück und lehnt sich mit dem Kopf an meiner Schulter an. Es dauert nochmal etwas länger, bis ich in der Lage bin, wirklich aufzustehen und mich anzuziehen.
Die Blondine sitzt auf dem Bett und sieht mir dabei zu.
„Was ist der Plan für heute?", fragt sie mich gähnend. Sie sieht noch so niedlich verschlafen aus, dass ich mich einfach zu ihr herunterbeuge und ihr einen Kuss auf die Stirn drücke.
„Naja wie immer glaube ich. Erstmal Frühstück, dann eine kurze Einheit und dann frei bis heute Nachmittag, wo wir dann dieses Teambuilding Zeug machen." Sie nickt und streckt sich gähnend.
„Ich glaube ich gehe heute mal mit Paula im Ort frühstücken. Ich brauche endlich mal einen richtig guten Iced coffee", meint sie und ich streiche ich lächelnd die Haare zurück.
„Mach das mein Engel."

Kai ignoriert mich genauso wie ich ihn ignoriere. Beim Training hat er sogar aufgegeben mir Anweisungen zuzubrüllen oder mich um den Ball zu bitten. Er passt mir nicht mal zu und tauscht die Gruppe mit Marco als wir in einem Team landen. Er hält sich komplett von mir fern und hängt nur an Toni und Timo. Es ist für alle offensichtlich, dass etwas zwischen uns vorgefallen sein muss. Selbst Anna hat mich schon danach gefragt. Bei meiner Antwort musste ich schon wieder lügen. Ich habe ihr irgendeine Geschichte über eine Meinungsverschiedenheit aufgetischt, die so nie stattgefunden hat. Das hat ihr als Antwort erstmal gereicht.
Ich jogge neben Timo her, der mir schon den ganzen Tag bitterböse Blicke zuwirft.
„Wollen wir später wieder eine Runde zocken?", frage ich ihn, in dem Wissen, dass Anna mit seiner Freundin unterwegs sein wird.
Sonst verbringe ich meine Zeit mit Anna. Jede freie Sekunde bin ich mit ihr zusammen und genieße jeden Moment davon. Aber wenn sie nicht da ist, muss ich mich ja irgendwie beschäftigen.
„Ne lass mal Jule. Ich habe gerade nicht so Bock auf deinen Scheiß. Außerdem mache ich schon was mit Kai", schnaubt er und starrt geradeaus. Hat Kai ihn erzählt, was zwischen uns vorgefallen ist?
Dass Kai vor ihm geoutet ist, war mir klar, aber dass er meine Bisexualität so rumerzählt, tut weh. Vor allem, weil ich noch nie mit jemandem darüber gesprochen habe. Ich muss das alles mit mir selbst ausmachen. Ich war damit immer auf mich gestellt. Und wofür das Ganze, wenn Kai es nicht für sich behalten kann?
„Aha okay, was genau meinst du damit?", frage ich ihn schon etwas genervt.
„Tu doch nicht so. Du weißt genau, was du mit Kai gemacht hast und du weißt auch, was du ihm und Anna damit antust. Aber das war's jetzt. Ich werde dafür sorgen, dass du ihn endlich in Ruhe lässt", knurrt Timo. Ich reiße die Augen auf.
„Ich ihn in Ruhe lassen? Er ist doch derjenige der immer meine Nähe sucht", verteidige ich mich. Timo bleibt stehen und schiebt mich etwas von der Laufstrecke weg.
„Ist es das, was du dir einredest? Kai hat so gute Fortschritte gemacht. Es ging ihm so viel besser und dann bist du aufgetaucht und hast all seine Wunden wieder aufgerissen", zischt er jetzt richtig wütend. So habe ich Timo echt noch nie gesehen. Ich soll Kais Wunden aufgerissen haben? Er hat mich zum Fremdgehen gebracht, obwohl ich auch mit schuld bin. Aber wäre er nicht so heiß und so viel in meiner Nähe gewesen dann...
„Du hast echt keine Ahnung, oder? Du weißt gar nicht, wie sehr er wegen dir leidet. Wahrscheinlich ist es dir auch einfach egal. So wie dir deine Freundin egal ist." Ich schüttle den Kopf. Das ist nicht fair. Das kann er nicht über mich sagen. Das stimmt einfach nicht.
„Nein, Anna ist mir nicht egal. Ich liebe sie und ich darf sie auf keinen Fall verlieren", beteuere ich. Aber Kai ist mir eben auch nicht egal und das ist das Problem. Timo lacht bitter auf.
„Gut, wenn das so ist, dann halt dich endlich mal von Kai fern. Er braucht dich nicht damit du ihn immer wieder zurückwirfst. Er wird einen anderen finden, der ihn so behandelt wie er es verdient und dann wird es dir leidtun", knurrt der kleinere und will weiterlaufen, als ich ihn am Handgelenk zurückhalte.
„Nur zur Info: Ich habe auch wegen ihm gelitten. Keine Ahnung, was der dir erzählt hat, aber ich war nicht derjenige, der alles vor die Wand gefahren hat", brumme ich möglichst ruhig. Timo verdreht die Augen.
„Ja schon klar, ich weiß das. Ihr habt euch alle beide wie dickköpfige Vollidioten benommen. Aber du kannst das nicht alles auf ihn abwälzen, Julian. Es sind immer zwei Leute beteiligt und du behandelst Kai gerade wie Dreck", schnaubt er und reißt sich von mir los. Ich atme zittrig aus, als ich ihm hinterher schaue. Hat er recht? Bin ich wirklich so schlecht für Kai?
Dass ich ihn nicht kalt lasse, war mir klar, sonst hätten wir nicht zweimal miteinander geschlafen... Aber was Timo sagt ist doch überzogen, oder?
Warum beschäftige ich mich überhaupt damit? Ich sollte mich lieber auf Anna konzentrieren. Andererseits könnte er recht haben. Ich habe mich nicht gerade fair verhalten. Vielleicht sollte ich mich bei Kai entschuldigen. Aber dann würde ich mich ja nicht von ihm fernhalten, wie Timo es verlangt.
„Los Jule! Laufen nicht rumstehen!", ruft der Trainer und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Super, noch ein weiteres Problem ohne Lösung auf der Liste.

You broke me first- BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt